Von: Juliane Weyde, Projektmanagerin bei Harald Link Mergers & Acquisitions, Hamburg, www.linkmergers-international.com

Rechtliche Einschränkungen sowie ein komplexes und dynamisches Umfeld bilden derzeit den Rahmen, mit dem sich die Pharma-Industrie konfrontiert sieht. Noch vor nicht allzu langer Zeit war diese Branche weltweit einer der profitabelsten Geschäftssektoren; inzwischen ist sie jedoch stark unter Druck geraten und arbeitet intensiv daran, sich neu zu erfinden, u. a. auch durch aktives Portfolio-Management (Kauf und Verkauf von Präparaten, Programmen, Beteiligungen und ganzen Unternehmen).

Wachsender Lebensstandard, die älter werdende Bevölkerung und eine allgemeine Tendenz zu einem ungesunden Lebensstil führen zu einem starken Anstieg der Gesundheitskosten. Diese belaufen sich inzwischen bereits auf etwa 11% des deutschen Brutto-Inlandsproduktes und gelten damit schon heute als kaum mehr tragbar. Um diesem Kostenanstieg entgegenzuwirken, erhöhen sich die Anforderungen an die Sicherheit und Effizienz von Präparaten seit einigen Jahren dramatisch. Infolgedessen wird der Marktzugang neuer Arzneien  immer restriktiver gehandhabt und die Umsatzpotenziale der Pharmaunternehmen sinken. Für viele Pharmahersteller ist der Zulassungsprozess inzwischen zu einem kaum vorhersagbaren und problematischen „Nadelöhr“  geworden, weil für diese spätestens seit Inkrafttreten des AMNOG (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz) am 1. Januar 2011 langwierige Wagnisse entstanden sind.

Dieses Gesetz reguliert u. a., dass nur Medikamente mit einem gegenüber ähnlichen Indikationen vorhandenen Mehrwert durch die gesetzliche Krankenkasse erstattet werden. Der Kosten-Nutzen-Quotient wird zum entscheidenden Maßstab für Marktzugang, Existenz und Überlebensfähigkeit von Medikamenten. Ein langwieriger Prozess ist bei der Frage zu durchlaufen, ob eine Erstattungsfähigkeit vorliegt oder nicht. Unterschiedliche Interessengruppen sind involviert und das Ergebnis ist „unsicher“ – nachdem die Pharmaunternehmen für die Entwicklung neuer Präparate bereits hohe finanzielle Vorleistungen erbracht haben.

Auch in den meisten europäischen Märkten wird der Druck auf die pharmazeutische Industrie weiter erhöht. Dabei sind viele verschiedene Arten der Kosteneinsparungen anzutreffen.

Eine weitere Herausforderung ergeben sich durch hohe Sicherheitsanforderungen und Zulassungshürden: Im Durchschnitt wird von 5.000 neu erforschten Substanzen heutzutage nur eine Einzige zugelassen.

Insbesondere die Entwicklung, Produktion und Vermarktung von „Blockbustern“, d.h. Präparate mit mehr als US-Dollar 1 Mrd. Umsatzvolumen pro Jahr, führte seit den 1980er Jahren zum Aufstieg großer Pharmakonzerne. Heutzutage sind die Produktportfolios vieler Pharmaunternehmen hingegen häufig „überaltert“ und viele Blockbuster – Patente laufen aus. Die Abnahme von Patentneuanmeldungen ergibt sich nicht nur aus fehlenden Sprunginnovationen, sondern auch daraus, dass  in nahezu allen Therapiegebieten bereits mannigfache Konkurrenz-Produkte auf dem Markt existieren und viele „neue“ Präparate bestenfalls als Variationen bereits vorhandener Substanzen gelten.

Die derzeit anstehenden Patentabläufe stellen die pharmazeutische Industrie vor große Herausforderungen, da die sog. Patenklippe erst ab 2016 überwunden sein wird. So werden von den weltweit 20 umsatzstärksten Produkten bis 2016 zwölf ihren Patentschutz verlieren. Allerdings ist davon auszugehen, dass die neuen Blockbuster kleinere Patientengruppen adressieren und sogar im Marktsegment sogenannter Orphan Drugs (Medikamente für seltene Erkrankungen), Biomarker und Diganostika-gestützte Medikamente anzufinden sein werden.

Die aktuellen Herausforderungen für Pharmaunternehmen verstärken sich dadurch zusätzlich, dass Exklusivitätszeiträume für Originalpräparate verkürzt werden. Im Ergebnis entsteht nicht nur verstärkt internationaler Wettbewerb, sondern rasche und starke Konkurrenz durch Generika-Hersteller, die Originalpräparate von forschenden Pharmaunternehmen nach Ablauf der Patente „kopieren“ und in den Markt bringen. Der weltweite Umsatz mit Generika ist in den letzten Jahren doppelt so schnell gewachsen wie der des Gesamtmarktes. Klassische Generika können oft eine Preisreduktion von 70 bis 80 % gegenüber dem Original realisieren. In Ländern mit einem robusten Generikamarkt und einflussreichen Krankenkassen wie in Deutschland, mit einer der höchsten Generikaquoten im internationalen Vergleich und einer hohen Durchsetzungsquote von Rabattverträgen im generikafähigen Markt,  ist hier bereits eine vergleichsweise hohe Penetration zu beobachten.

Aktuelle Herausforderungen für Pharmaunternehmen.
Aktuelle Herausforderungen für Pharmaunternehmen.

Auch treten „Biosimilars“ (Proteine von genetisch modifizierten Mikroorganismen) als neue und kostengünstige Gruppe von Präparaten verstärkt in den Vordergrund der Diskussion, wenn es um Einsparungen im Gesundheitssektor geht. Bei Biosimilares fällt der Preisabschlag gegenüber den Generika allerdings deutlich geringer aus, welches vor allem an komplexeren, biotechnologischen Herstellungsprozessen und den höheren regulatorischen Hürden bei der Zulassung begründet ist.

Durch die aktuelle „Gesundheitsreform“ ist eine weitere Verschiebung der Machtverhältnisse in Richtung einer noch stärkeren Bedeutung der Bezahler (Krankenversicherungen) zu verzeichnen. Die Verhandlungsstärke der Zahler-Gruppe ist weiter angestiegen und die Kompetenz über die Entscheidung zur Behandlung verschiebt sich mehr und mehr in Richtung der Bezahler. Diese haben für den Arzt inzwischen sogar Listen mit Medikamenten erstellt, die dem Patienten ohne dessen Zuzahlung verschrieben werden dürfen.

Wie aktuelle Studien zeigen, fragen mehr und mehr Patienten ihren Arzt gezielt nach ganz konkreten Behandlungs-Optionen.

Ärzte sind heute aufgrund einer zunehmend hohen Patientenanzahl weniger bereit,  eine Vielzahl von Pharma-Referenten zu empfangen (nach empirischen Untersuchungen im Durschnitt 2,4 Pharma-Referenten pro Tag).

Diese Situation führt nicht allein bei der Krankenversicherung als Zahler zu verstärktem Druck in Richtung Kosten-Management, sondern auch bei den Pharmaunternehmen selbst. Hiervon ist der Pharma-Außendienst als „teuerstes“ Absatzinstrument am meisten betroffen.

Vor dem Hintergrund von Regulierungen, Kostendruck und Bedürfnissen der Ärzte entsteht derzeit somit eine hohe Notwendigkeit für ein neues Geschäftsmodell in der Pharmaindustrie. Alternative und komplementäre Kommunikations- und Vertriebskanäle werden immer wichtiger im Dialog mit Ärzten und Patienten. Dieses neue Geschäftsmodell zu optimieren ist eine der großen aktuellen Herausforderungen für Pharmaunternehmen, wobei zwei Ziele dominieren: Erhöhung von Produktivität und Effizienz sowie verstärkte Kundenorientierung

Daneben findet heute verstärkt ein Wechsel bzw. eine Erweiterung von  verschreibungs-pflichtigen Präparaten zu OTC statt: Relativ neue Lifestyle-Kategorien wie Nahrungsergänzungsmittel oder medizinische Hautpflege, welche einen Paradigmenwechsel von der Krankheits- zur Wellness-Gesellschaft signalisieren, stellen interessante Optionen für Unternehmenswachstum dar.

Allgemein ist eine Entwicklung von Primary-Care-Produkten hin zu Speciality-Care zu verzeichnen, d.h. von vergleichsweise günstigen Medikamenten für einen Massenmarkt hin zu teuren, hochspezialisierten Präparaten (z. B. Onkologie-Therapie).

Viele Pharmaunternehmen versuchen, die verlorenen Umsätze mit Hilfe einer größeren Zahl von kleineren und mittleren Präparaten zu kompensieren. Der „Launch“ eines Produktes in der Nische ist häufig interessanter bzw. lukrativer als nach einer neuen Substanz für bereits existierende Märkte zu forschen. Aufgrund der Notwendigkeit hoher Forschungskapazitäten für eine Vielzahl von Nischenprodukten bzw. hochspezialisierte Präparate, werden immer häufiger einfach Produkte – oder ganze Unternehmen samt ihrer Portfolios- von den großen Unternehmen aufgekauft.

So kaufte beispielsweise der Leverkuser Dax-Konzern Bayer – dessen größte Übernahme seit Schering, für die seinerzeit Euro 17 Mrd. gezahlt wurden – im Mai 2014 für 14,2 Mrd. USD ( 10, 4 Mrd. EUR) das Consumer-Care-Geschäft von Merck & Co. (insbesondere Mittel gegen Erkältungen und Magen-Darm-Infekte), und wird dadurch weltweit zum zweitgrößten Anbieter rezeptfreier Medikamente (OTC-Produkte).  Rezeptfreie Medikamente sind unter den Pharmafirmen heiß begehrt. Sie gelten als stabil im Verkauf und sollen die Risiken im klassischen Pharmageschäft ausgleichen helfen.

Eine weitere M&A-Erfolgsstrategie in der Pharmaindustrie bietet auch Bearbeitung sogenannter „Emerging Markets“. Aufsteigende Länder wie Indien oder Lateinamerika stellen mit ihrem Bevölkerungsreichtum und der einer allgemein positiven wirtschaftlichen Entwicklung sowie einer bisher teilweise recht mangelhaften Gesundheitsversorgung  riesige Wachstumsmärkte dar.

Erfolgsversprechende Strategien zur Diversifikation von forschenden Pharma-Unternehmen mit verschreibungspflichtigen Präparaten.
Erfolgsversprechende Strategien zur Diversifikation von forschenden Pharma-Unternehmen mit verschreibungspflichtigen Präparaten.

Mittelständischen Pharmaunternehmen mit ihren in der Regel geringeren Ressourcen fällt es dagegen häufig schwieriger, sich breiter aufzustellen und neue Märkte zu erobern. Für diese wird es oft ratsamer sein, sich auf  einige wenige Geschäftsfelder zu spezialisieren. Die F&E- und Marketing/Vertriebs-Ausgaben können so fokussiert eingesetzt werden, um gegenüber großen Konzernen konkurrenzfähig zu bleiben.

Eine weitere Option bietet der Zusammenschluss mehrerer Unternehmen zu Allianzen, um Risiko und Kosten zu teilen. Dadurch stehen weitaus mehr Ressourcen und eine breitere Expertise zur Verfügung, als es durch alleiniges Agieren kleinerer Unternehmen möglich wäre.

Insgesamt wird also deutlich, dass es für Pharmaunternehmen – ob große Konzerne oder mittelständisch geprägte Unternehmen – derzeit in zunehmendem Maße unumgänglich erscheint, ihre Geschäftsstrategie zu überdenken und durch aktives Portfolio-Management den aktuellen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen.

 

Autor/Autorin