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Die Life-Sciences-Branche in Deutschland wird für Investoren immer attraktiver. Doch wie sucht, findet und stärkt man ­Innovationen und warum sind dafür gerade heute Partnerschaften so wichtig?

 

Die Life-Sciences-Branche in Deutsch­land ist äußerst vielfältig und hoch entwickelt. Die robuste Forschungs­landschaft, hoch qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie eine starke Industriepräsenz sorgen für zahlreiche medizinische Durchbrüche. Dieses Ökosystem bietet daher etliche ­Investmentchancen. Doch das VC-Klima in Deutschland zeigt sich derzeit insgesamt sehr durchwachsen. Bis zum zweiten Quartal 2023 verzeichnete das Researchportal PitchBook nicht nur einen starken Rückgang der weltweiten VC-Investitionen; vor allem Deutschland blieb davon nicht ­unberührt.

Die Boomjahre mögen vorüber sein – doch der Markt konsolidiert sich! Ein Blick auf die Fonds der Investoren zeigt, dass mehr finanzielle Mitteln für Life-Sciences-Investitionen vorhanden sind als jemals zuvor. Beispielhaft hierfür sind Zahlen aus den USA, die nach ihrem Rekordjahr 2021 mit 28,3 Mrd. USD auch 2022 mit 21,8 Mrd. USD das zweithöchste Niveau in dem Bereich erreicht hatten. Von diesen Mitteln liegen in den USA, aber eben auch in Europa ­erhebliche Summen noch unangetastet bereit. Zwar hat sich das Dealmaking im Life-Sciences-Bereich verlangsamt, doch auch die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen blieb während eines ­Abschwungs in der Regel stabil, was erklären würde, warum der Rückgang in diesem Sektor nicht so stark ausgefallen ist. Zu den bemerkenswerten Abschlüssen in der ersten Jahreshälfte gehören beispielsweise die Series C von Alentis Therapeutics im Wert von 105 Mio. USD und die Series B von ­Noema Pharma im Wert von 112 Mio. USD.

Transfer von Wissenschaft zu Geschäftsmodellen

Obwohl also das deutsche Biotechöko­system grundsätzlich hervorragend aufgestellt und die Fonds der Investoren gut gefüllt sind, werden nicht wesentlich mehr Investmentchancen wahrgenommen. Das liegt maßgeblich daran, dass es oftmals an einer stringenten und strukturierten Translation in Geschäftsmodelle fehlt: Eine herausragende Innovation allein reicht nicht aus, um im Markt letztlich Fuß fassen zu können. Das gilt auch und insbesondere für erfolgreiche Start-ups. Eine frühzeitige Symbiose zwischen Start-ups und unterstützenden Einrichtungen kann hier helfen, damit vielversprechende ­Innovationen frühzeitig von Investoren als ­solche erkannt und genutzt werden. ­Translation ist ein zentrales Thema für ­erfolgreiche Ausgründungen und später für gesunde Unternehmen.

Herausforderungen in Deutschland

In Deutschland konzentrieren sich viele Forschende immer noch hauptsächlich auf wissenschaftliche Publikationen, während im Ausland bereits erfolgreich wissenschaftliche Erkenntnisse in Geschäftsmodelle mit klarem Ziel der zeitnahen ­Anwendungen umgesetzt werden. Zudem wird der Unternehmergeist in den Universitäten nicht so sehr angetrieben wie im Ausland, z.B. in Cambridge oder Stanford. Das ist auf der einen Seite den weniger entwickelten Strukturen zu verdanken, etwa Ausgründungszentren und einer noch relativ jungen VC Szene. Auf der ­anderen Seite ist es auch eine Frage des Mindsets: Viele deutsche Forscherinnen und Forscher wollen an der Universität bleiben und wagen nicht den Schritt in das Unternehmertum. Dadurch gibt es viele spannende Technologien in Deutschland, die an den Universitäten und Forschungszentren verbleiben und somit nie an den Markt kommen. Wissenschaftler in Deutsch­land verfügen darüber hinaus oft über wenige bis gar keine wirtschaftlichen Kenntnisse. Start-up-affine Universitäten wie die Technische Universität München (TUM) wirken diesem Missstand schon seit Langem durch interdis­ziplinäre Businessplanwettbewerbe und Inkubationsprogramme entgegen – und stehen im ­internationalen Vergleich entsprechend gut da. Doch bei zahlreichen ­anderen ­Universitäten und Forschungszentren ist dies leider nicht der Fall. Dies macht es für VCs besonders schwierig, in Projekte zu investieren, die über keinen ordentlichen Businessplan verfügen. Auch fehlen meist geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für CEO-Rollen.

Symbolbild. Copyright: ipopba. stock.adobe.com
Symbolbild. Copyright: ipopba. stock.adobe.com

Obwohl Universitäten, Institute und Forschungsgruppen in Deutschland also den Anspruch auf Translationsaktivitäten haben und viele unterstützende Einrichtungen deutschlandweit eingeführt wurden (zusätzlich zu Förderungen der Länder und des Bundes), besteht weiterhin großes Potenzial, Wissenschaft in marktfähige Anwendungen zu überführen. Der Transfer in Deutschland muss demnach durch die Zusammenarbeit von Fördermittel­gebern, Tech-Transfer-Stellen, Inkubatoren und Investoren verbessert werden. Gerade die Symbiose zwischen Innovation und im Speziellen den Gründenden mit marktwirtschaftlich ausgerichteten Finanzinves­toren ist von großer Bedeutung. Hier muss es auch der Anspruch gerade an frühphasige I­nvestoren sein, Start-ups konkrete Hilfestellungen anzubieten und in unterschiedlichen Formaten ihre Erfahrung und ihr Wissen an diese weiterzureichen, beispielsweise bei der Optimierung von Businessplänen, der Sicherung von geistigem Eigen­tum (IP), juristischen Fragestellungen und in weiteren Bereichen, die für ­einen ­betriebswirtschaftlichen Erfolg notwendig sind (Projektmanagement, Personalführung etc.), jedoch im wissenschaft­lichen Betrieb der Universitäten nicht ­immer ausreichend beleuchtet werden.

Finanzierung von Innovationen

Vielversprechende Ideen und Innovationen lassen sich vor allem an ihrer „Quelle“ finden, also den Hochschulen und Tech Hubs. Es gilt, mit Professorinnen und Professoren sowie Gründungsinteressierten vor Ort zu sprechen und sie in Themen rund um Entre­preneurship zu coachen. Auch wenn es in den vergangenen zehn bis 20 Jahren viele Initiativen gab, marktwirtschaftliches Denken als eine der Prioritäten innerhalb universitärer Forschung zu fördern, besteht noch reichlich Potenzial zur Stärkung dieses Aspekts. Gerade Start-ups im Süden – vor allem in Bayern – hätten dabei ­exzellente Entwicklungschancen. So ist hier beispielsweise die relevante Industrie stark vertreten. Auch ist das Forschungs- und Entwicklungsniveau an den Hochschulen hier allgemein recht hoch. Dies zeigt sich auch daran, dass sich über die letzten zwei Jahrzehnte starke Hubs und Netzwerke gebildet haben, etwa an der TUM. Das internationale Interesse der Techgiganten ist ebenfalls hoch. München und Bayern sind damit eine der wichtigsten Regionen für Life-Sciences-Innova­tionen geworden.

Der Schlüssel für bessere ­Unternehmensentwicklungen

Partnerschaften sind in der Life-Sciences-Branche von entscheidender Bedeutung, da Investitionen kostspielig sind – besonders für junge Start-ups. Eine frühe ­Zusammenarbeit mit großen internationalen Konsortien ist von zentraler Bedeutung, um professionelles Arbeiten in die eigene Entwicklungsarbeit zu integrieren und von den Abläufen bei womöglich späteren Partnern zu lernen. Professionelle Partnerschaften eröffnen auch langfristige, ­sichere und nachhaltige Investitionen in kapitalintensive Projekte mit hohen Qualitätsstandards, sowohl in der Produktentwicklung als auch im Kundenmanagement.

Sicherheit ermöglicht Investitionen

Die Life-Sciences-Branche bleibt ein fas­zinierendes Terrain für Investitionen und Innovationen in Deutschland. Viele Investmentfonds sind gut gefüllt und weiterhin entstehen herausragende Innovationen. Doch es gilt, sie besonders im frühen ­Stadium, in der sogenannten Seed-Investment-Phase, widerstandsfähiger zu machen, um auch marktwirtschaftlich herausfordernde Zeiten zu überstehen. Investoren sind vorsichtiger geworden und legen mehr Wert auf Rentabilität und Cash­effizienz.

Da sein, wo die Innovationen sind

Der HTGF bleibt in dieser Phase voll engagiert und hat erst zu Beginn des Jahres den HTGF IV mit einem Fondsvolumen von rund 500 Mio. EUR aufgelegt. Somit sind wir bereit, die nächste Generation an deutschen Life-Sciences-Unternehmen zu ­unterstützen. Um auch geografisch näher an dem bayerischen Ökosystem zu sein, eröffnet der HTGF ab Oktober ein kleines Büro in München, das nicht lediglich ­investiert, sondern auch aktiv die ­Symbiose zwischen Innovation, Finanzmittelgebern und großen Unternehmen für Partnerschaften vorantreiben möchte. Eine der Initiativen des HTGF ist ­hierbei die HTGF Academy, die mit ihren Formaten, unabhängig von einer Finanzierung, einen Mehrwert für das Start-up-Ökosystem schaffen möchte. Die Zukunft dieses ­Sektors verspricht weiterhin ­spannende Entwicklungen und Erfolge, trotz der ­Herausforderungen im aktuellen VC-Klima.

25 Jahre Biotechnologie, die Jubiläumsausgabe

Der Artikel ist in der Plattform Life Sciences-Ausgabe „25 Jahre Biotechnologie – What’s next?“ erschienen:

https://www.goingpublic.de/wp-content/uploads/epaper/epaper-Life-Sciences-3-2023/#140

Autor/Autorin

Tilmann Petersen

Tilmann Petersen ist seit 2009 im Start-up-Ökosystem aktiv. Nach Investorentätigkeit bei einer Familienholding war er Co-Founder und Managementmitglied bei Biotech-, Life-Sciences- und Digitaler-Marktplatz-Start-ups. Als CFO von Pioneers.io trug er zur Vernetzung von Start-ups und etablierten Unternehmen bei.

Niels Sharman
Senior Investment Manager at High-Tech Gründerfonds (HTGF) | Website

Niels Sharman unterstützt seit November 2020 das HTGF Life Science & Chemie Investmentteam. Er hat einen Bachelor­abschluss in Biologie von der Ludwig-Maximilians-Universität München und einen Master in Management von der Technischen Universität München. Er hat Erfahrungen in der pharmazeutischen Industrie gesammelt und für zwei Biotech-Start-ups gearbeitet.