Die Biotechnologiebranche hat in den letzten 25 Jahren in Deutschland und weltweit einen beispiellosen Wandel durchlaufen. Im digitalen Zeitalter und mit neuen Technologien geht es in rasantem Tempo weiter. Gerade Bayern zeigt auf diesem Gebiet weiterhin enormes Potenzial.

Eine der bemerkenswertesten Entwicklungen der letzten Jahre ist der Aufstieg der Immun-, Zell- und Gentherapien nach vielen Jahrzehnten Forschung und Entwicklung. Diese Ansätze haben die medizinische Landschaft grundlegend verändert. Aktuell repräsentieren sie auch klinische Meilensteine in der personalisierten Medizin, gezielt und effektiv gegen schwere Erkrankungen bei Patienten vorzugehen.

25 Jahre Biotech

All diese Errungenschaften werden begleitet und beschleunigt durch die fortschreitende Digitalisierung. Sie hat in der Medizin bereits einen tiefgreifenden Wandel herbeigeführt und wird diesen noch weiter ausbauen. Durch die zunehmende Integration von künstlicher Intelligenz, Big-Data-Analysen und natürlich auch telemedizinischen Lösungen wird sich besonders die Art und Weise, wie Gesundheitsdienstleistungen erbracht werden, grundlegend verändern. Diese digitale Transformation ermöglicht eine präzisere Diagnostik, personalisierte Therapieansätze und eine engere Patientenbetreuung.

Automatisierte Diagnostik

Eine wichtige Rolle bei der rechtzeitigen Entdeckung und Behandlung von Krankheiten spielt eine intelligente Diagnostik. In den letzten Jahren hat sich diese Disziplin zu einer mehr und mehr datengetriebenen Wissenschaft entwickelt. Eine daten- und algorithmusgestützte Diagnostik ermöglicht eine präzisere Charakterisierung von Gewebeproben und Bildinformationen und unterstützt so die Entwicklung auch individueller Therapieansätze. Somit eröffnet die enge Verknüpfung von Pathologie und Radiologie mit der Verarbeitung und Nutzung großer Datenmengen neue Wege in der Patientenversorgung.

Das aufstrebende Münchner Start-up deepc widmet sich der verbesserten bildgebenden Diagnostik und hat eine entsprechende Software entwickelt. Diese soll Radiologen dabei unterstützen, auch komplexe Diagnosen schneller und KI-assistiert zu stellen. Die klinische Anwendung einer solchen „Unterstützungssoftware“ ist komplex. Für ein Unternehmen ist es durchaus anspruchsvoll, den jeweils relevanten KI-Algorithmus zu identifizieren und schließlich zu validieren, um den regulatorischen Ansprüchen neben den Herausforderungen des Datenschutzes gerecht zu werden. Dieses junge Start-up hat den zunehmend großen Bedarf im Gesundheitsmarkt der Zukunft erkannt und eine Plattform entwickelt, damit Kliniken, Krankenhäuser und Arztpraxen mit nur einem Klick eine Vielzahl von KI-Anwendungen einsetzen können.

KI-gestützte Medikamentenentwicklung

Die Suche nach neuen und innovativen Medikamenten ist nach wie vor sehr zeit- und kostenintensiv – doch sie hat in den letzten Jahrzehnten einen bemerkenswerten Wandel durchlaufen, der aktuell durch die Integration von digitalen Technologien vorangetrieben wird. Auch spielt die Nutzung von biologischen, klinischen und „Omics-Daten“ (Genomics, Transcriptomics, Metabolomics, Epigenomics etc.) eine große Rolle. Durch die Verwendung von Algorithmen und auch fortgeschrittenem maschinellem Lernen können relevante Muster in komplexen Systemen erkannt und mögliche Zusammenhänge identifiziert werden. Der Einsatz digitaler Technologien ermöglicht zum einen eine bessere Auswahl vielversprechender Wirkstoffkandidaten und die beschleunigte Identifizierung von Biomarkern. Zum anderen lassen sich mittels In-silico-Modellen Vorhersagen über die wahrscheinliche Wirksamkeit von klinischen Kandidaten und potenzielle Nebenwirkungen treffen.

Im Bereich der Medikamentenentwicklung hat sich Cortex Discovery auf die Anwendung von KI und Big-Data-Analysen spezialisiert. Das Unternehmen mit Standorten in Regensburg und München analysiert große Mengen an biologischen, chemischen sowie klinischen Daten und kann dadurch chemische Struktur mit physiologischer Funktion und Zielaktivität verbinden. Es ermittelt so sehr effizient mögliche Hits an Medikamentenkandidaten aus einem High-Throughput-Screening (HTS).

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Optimierung klinischer Studien

Die Digitalisierung beeinflusst zudem das Design und die Durchführung klinischer Studien. Durch die Nutzung großer Datenmengen können Forscher Patientenpopulationen genauer charakterisieren und präzisere Studiendesigns entwickeln. Die Nutzung von Patienteninformationen zusammen mit einer KI wird dazu beitragen, die geeigneten Patienten als Studienteilnehmer zu identifizieren und so Behandlungsoptionen anzubieten. Das Münchner Healthtech Climedo Health zeigt sich als Vorreiter auf diesem Gebiet und bietet eine digitale Plattform auch für dezentrale klinische Studien. Es hat mit führenden medizinischen Einrichtungen eine cloudbasierte Plattform zur klinischen Validierung von Medizin- und Pharmaprodukten entwickelt. Damit können Studien beschleunigt, Kosten gespart, Datenfluss und -qualität verbessert und gleichzeitig innovative Studiendesigns gefördert werden.

Virtueller Zwilling liefert richtige Therapie

Doch nicht nur die Entwicklung eines neuen Medikaments oder medizinischen Produkts, sondern auch deren Wahl bei einer Behandlung sowie die Therapiebegleitung sind entscheidend für das Wohl des Patienten. Das Start-up Ebenbuild aus München möchte die Behandlungsmöglichkeiten von Atemwegserkrankungen dauerhaft und deutlich verbessern – mit einem digitalen Lungenzwilling. Auf der Grundlage medizinischer Bildinformationen wird ein virtuelles, patientenspezifisches Modell der Lunge erstellt. Die Technologie unterstützt effiziente und wirksame Behandlungsentscheidungen ebenso wie die Optimierung der Medikamentenverabreichung und die Verfolgung des Krankheitsverlaufs.

Digitalisierung: Potenzial und Herausforderung

Die oben genannten Beispiele sind repräsentativ für den wertvollen Beitrag, den Bayern zur Biotechnologiebranche in Deutschland und international leistet, und für das Potenzial, das die Nutzung von Daten, KI und LLMs wie ChatGPT in der Medizin grundsätzlich birgt. Gemeinsam unterstreichen sie die Bedeutung von interdisziplinärer Zusammenarbeit sowie kreativem Denken und Handeln. Allerdings steht die medizinische Forschung vor einer Reihe von Herausforderungen, wenn es darum geht, ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Wir müssen deshalb auch schneller werden bei wichtigen Themen wie Datenschutz und Interoperabilität, auch gleichzeitig regulatorische Prozesse vereinfachen. So kann Deutschland mit dem weltweiten Innovations- und Entwicklungstempo Schritt halten und zugleich nachhaltig die Weichen stellen für marktfähige biotechnologische Produkte in einem schnell wachsenden globalen Markt.

Autor/Autorin

Prof. Dr. Ralf Huss

Prof. Dr. Ralf Huss ist Geschäftsführer der BioM Biotech Cluster Development GmbH und Sprecher des Bayerischen Biotech-Clusters. Als gelernter Pathologe verfügt er über langjährige Erfahrung sowohl in der internationalen akademischen Forschung als auch in biopharmazeutischen Unternehmen. Seine Forschungs­schwerpunkte lagen in der Immunologie, der Krebs- und Stammzellforschung sowie aktuell in der Anwendung von künstlicher Intelligenz und Daten in der digitalen Medizin und Diagnostik. Bevor er zu BioM kam, war Prof. Dr. Huss stellvertretender Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Augsburg und Gründungsdirektor des Instituts für Digitale Medizin (IDM).