Smarte Medizin ist ein interessanter Bereich für Investoren. Einzelne Segmente verschmelzen zusehends – und es wird ­wieder mehr investiert.

Plattform Life Sciences: Wie definieren Sie den Begriff „smarte Medizin“? Könnte man nicht einfach von „digitaler Gesundheitsversorgung“ sprechen?

Dr. Kozlowski: Im Idealfall könnten die ­beiden Begriffe zusammengeführt werden, dann haben wir tatsächlich smarte Gesundheitsversorgung. Aktuell geht es im Prinzip darum, die Software-Hardware-Fortschritte, Telemedizin, webbasierte Diagnostik, KI usw. zu integrieren, um die Gesundheitsversorgung signifikant zu verbessern. Ziel ist, Patienten individueller, präziser, schneller, kostengünstiger sowie breiter zu versorgen, inkl. der Gemeinschaften oder Regionen ohne unmittelbaren ­Zugang zu spezialisierter Gesund­heits­versorgung. Die digitalen Lösungen werden sich weiter spezifizieren; möglicher­weise werden sich deswegen auch neue, spezialisierte Begriffe ergeben, die zu den unterschiedlichen Zwecken passen.

Schauen wir uns vielleicht die Teilbereiche an, etwa Diagnostics oder Therapeutics. Ergeben sich hier aktuell gute Investitions­möglichkeiten?

Digitale Diagnostik und therapeutische ­Diagnostik bieten eine parallele sowie eine solide Ergänzung zu klassischen diagnostischen und therapeutischen Entwicklungsprogrammen. Sie können allein bei bestimmten Patienten, beispielsweise bei Erkrankungen des Nervensystems oder neurologischen Entwicklungsstörungen bei Kindern, zu bedeutenden klinischen Durchbrüchen führen. Wichtig ist hier, dass die digitale Lösung sehr genau eine definierte Zielgruppe von Patienten bedienen kann. Das Wertversprechen im digi­talen Dx- und Tx-Bereich reift und wird ­anspruchsvoller, was unweigerlich zu ­einer Zunahme attraktiver Investitionsmöglichkeiten führen könnte. Interessant finde ich eine Fusion von digitalen und klassischen R&D-Programmen, um Programme – insbesondere bei Krankheiten aus der Kategorie „unmet medical need“ – deutlich effektiver, aber auch generell schneller und kostengünstiger zu gestalten.

Wie sieht es mit der klassischen Wirkstoffentwicklung aus? Der Impfstoff von Pfizer/BioNTech wäre ohne Digitalisierung schließlich nicht möglich gewesen.

Ausgezeichnetes Beispiel. Hier spielte die Digitalisierung eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung, Herstellung und Logistik von Impfstoffen. Alle Schritte werden mit ­einem außergewöhnlichen Maß an Qualität, Reproduzierbarkeit und Zeit durch­geführt. Es ist ein Lehrbuchbeispiel für Forschung und Entwicklung in der ­Gesundheitsbranche, das möglicherweise an anderer Stelle repliziert werden kann. Das Beispiel beweist, dass die Möglich­keiten der digitalen Biowissenschaften ­immens sind, einschließlich des Reichtums von Big Data und seiner Analyse auch für die Zukunft, um etwa besorgnis­erregende Virusvarianten zu identifi­zieren, oder sogar der Möglichkeit, einen Impfstoff oder ein Medikament zu entwickeln, das unabhängig von der Virus­mutationslandschaft stark wirksam ist.

Wie agiert die NRW.BANK auf dem Gebiet der smarten Medizin? In welche Unternehmen sind Sie investiert?

Wir haben ein Portfolio von über 30 Unternehmen, überwiegend in den Bereichen Arzneimittelentwicklung und Medizintechnik, aber auch industrielle Biotechnologie, Diagnostik, Research Tools sowie digitale Gesundheit. Wir haben unsere ersten Investitionen in Digital Health ­bereits im Jahr 2016 getätigt und suchen weiterhin nach Möglichkeiten in diesem Bereich. Wir sind offen für neue überzeugende Geschäftsmodellfälle, aber auch für digitale Lösungen für bestehende Hürden in den Life Sciences. Im Allgemeinen muss die Opportunität einzigartig sein, einschließlich der Möglichkeit der IP-Generierung, der Kombination mit Geräten oder einer breiten Plattformlösung. Mit Personal MedSystems haben wir ein ­Unternehmen im Portfolio, das diese ­Anforderungen erfüllt. Unter der Marke CardioSecur bietet es ein vollwertiges, mobiles EKG an, das sich mit dem Smartphone aufzeichnen, speichern und bei ­Bedarf mit einem Arzt teilen lässt. Die App gibt dem Nutzer aber auch ein direktes Feedback über mögliche Unregelmäßigkeiten und spricht unter Umständen die Empfehlung aus, sofort einen Arzt aufzusuchen.

Mit Blick auf die Finanzierungsrunden: Kommen im Zuge der Digitalisierung des Gesundheitswesens neue Investoren auf den Markt, die bislang eher weniger mit Life Sciences zu tun hatten?

In den letzten zwei Jahren haben Digital-Health-Unternehmen in Europa mehr Geld gesammelt als im ganzen Jahrzehnt zuvor, auch weil Kapital verfügbar ist. In den ­letzten zwei Jahren hat sich das Spektrum der Investoren vergrößert, darunter auch Neueinsteiger im Bereich Life Sciences und Digital Health. Einige Investoren, die auf Life Sciences nicht spezialisiert sind, ­werden möglicherweise aussteigen, aber der Trend zu mehr Kapital wird anhalten. Er wird jedoch in jedem Land unterschiedlich sein. In Europa gab es 2021 rund 30 Exit-Transaktionen im Bereich Digital Health, ­darunter ein Spitzenreiter mit einem offengelegten Wert von 400 USD. Solche Exit-­Dynamik bestätigt die Nachfrage nach entsprechenden digitalen Lösungen weiter. Auch aus lokaler Sicht ist das Engagement Deutschlands zur Digitalisierung von Krankenhäusern ein wichtiger Faktor, um das richtige Ökosystem zur richtigen Zeit zu schaffen. Den Digital-Health-Unternehmen stehen gute Zeiten bevor.

Herr Dr. Kozlowski, ich danke Ihnen für das interessante Gespräch.


Zur Person

Dr. Marek Kozlowski ist Investment­manager im Bereich Venture Capital der NRW.BANK mit dem Fokus auf die Gebiete Therapeutics, Diagnostics und Research Tools. Dr. Kozlowski promovierte in Molekularbiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und am EMBL.

Das Interview erscheint in der Ausgabe „Smarte Medizin“ der Plattform Life Sciences 1/22.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.