Erinnern Sie sich noch an Ihre Schulzeit? Und die ewige Frage: Welcher Füllfederhalter ist der bessere: Geha oder Pelikan? Oder gehörten Sie zur erlesenen Fraktion der Lamy-Nutzer? Zugegeben, der Vergleich beinhaltet eine gehörige Portion Metaphorik, doch Parallelen zur Entscheidung zwischen Deutscher Börse, Euronext oder Nasdaq liegen nahe. Welche Börse soll das Mittel der Wahl sein, wenn denn schon mehr als die Heimatbörse in Frage kommt?

Vor einigen Wochen kündigte das Tübinger Biotech-Unternehmen Curetis einen Börsengang an. Zunächst ließen die Verantwortlichen noch offen, auf welches Parkett sie den Sprung ansetzen wollten, doch schließlich ließ CEO Oliver Schacht die Katze aus dem Sack: Die Mehrländerbörse Euronext sollte es sein und neben der Freude darüber, dass sich erneut eine deutsche Life Science-Firma für ein Initial Public Offering (IPO) entschieden hatte, mischte sich ein bisschen Wehmut. Denn einmal mehr hatte die Deutsche Börse in Eschborn/Frankfurt das Nachsehen. Seit 2007 wartet das Handelshaus am Main auf Nachahmer aus dem hoch angesehenen deutschen Biotech-/Lifescience-Sektor. Im vergangenen Jahr zog es das Hallenser Unternehmen Probiodrug ebenfalls an die Euronext, und Affimed aus Heidelberg ging konsequenterweise gleich über den großen Teich an die Nasdaq.

Mediales Interesse
Doch danebenliegt, wer Entscheidungen für die Euronext oder die Nasdaq mit potenziellen Antipathien gegen den heimischen Handelsplatz begründet. Kapital ist schließlich international. Allerdings stehen beispielsweise die Themen „Life Science“ oder „Gesundheit“ bei Privatanlegern in den USA oder den BeNeLux-Staaten viel höher im Kurs als hierzulande. Entsprechend konnte etwa Curetis jüngst im Rahmen seiner Emission auch mehrere Aktienpakete an Family Offices oder Privatleute veräußern, und das bei einer Mindestabnahme von jeweils 100.000 EUR pro Paket, wie CEO Oliver Schacht erklärt.

Trotzdem warnt Schacht davor, den Vergleich „Euronext vs. Deutsche Börse“ überhaupt aufzumachen. „Es ist natürlich politisch gewünscht, dass deutsche Unternehmen auch in Deutschland an die Börse gehen“, so Schacht, der als Gesandter des Fachverbandes BIO Deutschland maßgeblich an der Installation der sogenannten Pre-IPO-Plattform Deutsche Börse Venture Network mitgewirkt hat. „In diesem Sinne ist eine Listingplattform eher medial von größerem Interesse.“ Denn den Investoren, allen voran institutionellen, sei letztlich egal, an welcher Börse sie agierten. Entscheidend bleibt im Zweifelsfall die Qualität des Unternehmens selbst. Natürlich weist Oliver Schacht an dieser Stelle auf die jahrelange Flaute an Life Science-IPOs in Deutschland hin. Und das Interesse privater Anleger an Life Science-Themen lässt sich schließlich nicht erzwingen.

Die Zeiten haben sich geändert
Es sind aber auch andere Zeiten. „Als wir 2005 an die Deutsche Börse gingen, stellte sich die Frage nach der Euronext nicht wirklich“, erinnert sich Enno Spillner, CEO bei 4SC. „Damals war ein Börsengang in Deutschland eine klare Angelegenheit.“ Mehr noch: Einige deutsche Life Science-Unternehmen, die ihr Börsenglück Ende der 90er oder Anfang 2000er Jahre im Ausland gesucht hatten, gegebenenfalls auch mit einem Dual Listing, kehrten nach dem Zusammenbruch des US-Tech-Marktes in ihre Heimat zurück. Inzwischen mag sich die Dynamik zwar geändert haben und die Erfahrungsschätze zugenommen, doch lag es zum damaligen Zeitpunkt durchaus nahe, als Unternehmen mit überwiegend heimischen Venture Capital-Investoren ein Listing in Deutschland anzustreben.

Der Erfolg über die Jahre hat einem Unternehmen wie 4SC schließlich Recht gegeben. Im Frühsommer 2015 wurden beispielsweise über eine Kapitalerhöhung an der heimischen Börse rund 29 Mio. EUR generiert. Dabei konnten neben prominenten deutschen Investoren auch internationale institutionelle Investoren, u.a. aus den USA, Großbritannien, Österreich und der Schweiz gewonnen werden. Im Zweifelsfall scheint also weniger der Börsenplatz entscheidend, als vielmehr die Frage, ob ein Unternehmen in der Lage ist, Erfolge bzw. gute klinische Daten zu liefern und diese entsprechend zu kommunizieren – wo auch immer.

Trotzdem sieht Enno Spillner Nachholbedarf, gerade bei den klassischen großen deutschen Fonds, in denen kaum Aktien deutscher Life Science-Unternehmen zu finden sind. „Die Aktienkultur in Deutschland gestaltet sich immer noch vergleichsweise schwierig“, sagt Spillner mit Blick auf das Geschehen in den BeNeLux-Staaten. Dort sieht er eine größere Affinität bei institutionellen, aber auch bei privaten Anlegern für Biotech- und Pharma-Themen. „An einer Börse wie der Euronext finden Sie ein ganz anderes Volumen im täglichen Aktienhandel“, unterstreicht Spillner, auch wenn das über die tatsächliche Qualität der gelisteten Unternehmen noch wenig Aussage.

Die richtige Konzentration finden
Als die Probiodrug AG damit begann, sich ernsthafte Gedanken um einen Börsengang zu machen, suchten sich die Verantwortlichen eine Plattform mit guten Rahmenbedingungen. „Zu Beginn des Jahres 2014 begann die Euronext sich zu entwickeln“, erinnert sich CEO Konrad Glund. „In Deutschland hingegen passierte aus Sicht von Biotech-Unternehmen sehr wenig.“ Kaum auf Life Science spezialisierte Investoren, wenig Verständnis bei den Banken für Life Science-Themen. „Die Aufnahme in Amsterdam war fantastisch“, freut sich Glund noch heute. Natürlich, die Unternehmen müssen eine bestimmte Qualität vorweisen. „Die Programme müssen klinisch sein“, unterstreicht Glund. Denn auch wenn die Anleger-Bereitschaft an einer Börse Euronext ausgeprägter zu sein scheint – ein Freifahrtschein für eine erfolgreiche Kapitalaufnahme ist das noch lange nicht.

Die Bemängelung politischer Rahmenrichtlinien ist derweil nicht neu, immer wieder werden Forderungen nach Gesetzesänderungen oder „Runden Tischen“ laut. Eine Institution wie das Deutsche Börse Venture Network mag ein Anfang sein. Dabei braucht es gar keine Biotech-spezifischen Veränderungen: „Eine Konzentration auf die Bedürfnisse von Start-ups und KMU reicht völlig aus“, betont 4SC-Vorstand Spillner. Andererseits fehle es aber immer wieder am Verständnis für Life Science oder Pharma. „Wo sind die Analysten, die sich hierzulande auf Life Science verstehen und in der Lage sind, aussagefähige Research Reports zu erstellen?“, fragt Glund. „Wo ist das Verständnis dafür, was Biotech bewirken kann und wie man akademische Arbeit in erfolgreiche Produkte umsetzen kann?“ Und: „Wie viele neue und wirksame Medikamente kann Biotech entwickeln? Und wie profitabel kann Biotech im Erfolgsfall sein?“ Ein Verweis auf den US-Markt bietet sich an dieser Stelle an – wenn die Amerikaner eins im Blut haben, dann doch sicher, wie man sich vermarktet und in Szene setzt.

Verständnis unterstützt Börsengänge
Die Lösung solcher Verständnisfragen mag am Ende auch zu einem verbesserten Kapitalumfeld für Life Science-Börsengänge in Deutschland führen. So gilt es, Skepsis zu überwinden und eine gesunde Bereitschaft zum Wagnis zu entwickeln. Das Erreichen eines Meilensteins muss nicht automatisch zu einem erfolgreichen Exit oder Geldrückfluss führen. Vielleicht kommt aber der Tag, an dem ein Begriff wie „Gentherapie“ bei Anlegern und Investoren in Deutschland eher Interesse und ein „Mehr davon“ erzeugt, statt Unverständnis, Abneigung oder Zurückweisung. Dann klappt’s vielleicht auch mit dem Börsengang. Wo auch immer.

Holger Garbs

Autor/Autorin