25 Jahre Biotech

Die Biotechnologiebranche war in der Pandemie stolz auf die Erfolge von BioNTech; endlich eine große Erfolgsgeschichte aus Deutschland, die auch weltweit Anerkennung fand. Aber ist es wirklich so, dass es sonst keine großen Erfolgsgeschichten gibt? Nein, ganz und gar nicht – sie sind nur nicht so bekannt. Das soll die 2023 eröffnete virtuelle Biotech Hall of Fame ändern.

Das Jubiläumsheft Biotechnologie der Plattform Life Sciences (Erscheinungstermin am 30.9.2023) blickt bereits auf 25 bewegte Jahre deutsche Biotechnologiegeschichte zurück. Als 1999 die erste Ausgabe erschien, zählte die Branche laut EY-Report 279 Entrepreneurial Life Sciences Companies (ELISCOs). Einige auch heute noch sehr erfolgreiche deutsche Biotechpioniere waren damals schon längst am Start. Über die Jahrzehnte ist die Branche kontinuierlich gewachsen, trotz Platzen der Dotcomblase, Finanzkrise, Pandemie und Krieg.

Illustration: Copyright: BIO Deutschland e.V.Aktuell zählen wir rund 750 Biotechunternehmen mit Hauptsitz in Deutschland und noch einmal fast 200 weitere Unternehmen, die hierzulande als Töchter ausländischer Muttergesellschaften tätig sind. Viele davon arbeiten wirtschaftlich. Die Resonanz bei Politik und Öffentlichkeit auf den Erfolg von BioNTech hat uns gezeigt, dass es wichtig ist, den Blick auch auf die vielen anderen Unternehmen bzw. die Unternehmerinnen und Unternehmer zu richten, die die deutsche Biotechnologiebranche stark machen. Diese sind so divers wie die Biotechnologie selbst. Um sie zu würdigen, wurde diesen Sommer die digitale Biotech Hall of Fame eröffnet. Dort finden sich Unternehmen, die eine bemerkenswerte und (wirtschaftlich) erfolgreiche Geschichte vorzuweisen haben. Die „Ruhmeshalle“ ist im Juni dieses Jahres mit zehn Gründungsmitgliedern an den Start gegangen, die wir hier kurz vorstellen möchten.

Pioniere und Urgesteine

Deutschlands erstes dauerhaft erfolgreiches und bis heute größtes Biotechnologieunternehmen ist QIAGEN, die als Spin-off der Universität Düsseldorf 1984 gegründet wurde. Ursprünglich auf die Aufreinigung von DNA-Proben spezialisiert, bietet QIAGEN heute voll integrierte „Sample-to-Insight-Lösungen“ an, von der Probenanalyse bis zur bioinformatischen Auswertung. Etwa 6.200 QIAGENer, wie sie sich nennen, versorgen ihre Kunden weltweit und erzielten 2022 einen Umsatz von mehr als 2 Mrd. USD.

Fünf Jahre später nahm Miltenyi Biotec seinen Anfang mit einem Startkapital von 10.000 DM und vier Mitarbeitern in Bergisch-Gladbach in einer Baracke am Rande eines Waldstücks. Der ursprüng liche Verkaufsschlager des Unternehmens waren Magnetic Activated Cell Sorter (MACS), die Zellen 400-mal schneller sortieren konnten als herkömmliche Geräte. Die Baracke wird heute überragt von den Gebäuden des Hauptquartiers eines Weltunternehmens.

Schon zwei Jahre nach der Gründung 1992 in München hatte MorphoSys eine Bibliothek von 10 Mrd. menschlichen Antikörpern, die Human Combinatorial Antibody Library (HuCAL) etabliert, die zu Forschungszwecken und zur Entwicklung neuer Therapien eingesetzt werden sollte. 2017 dann wurde vom Lizenzpartner Janssen der erste Antikörper von MorphoSys gegen Schuppenflechte zugelassen. 2019 erteilte die FDA erstmals eine Zulassung für ein Medikament aus der eigenen Entwicklungspipeline zur Behandlung einer bestimmten Art von Blutkrebs. Mit Spannung erwartet werden nun für Ende 2023 die Phase-III-Daten für einen weiteren Wirkstoff zur Behandlung der Myelofibrose, einer bösartigen Wucherung des Bindegewebes im Knochenmark, die die Blutbildung dort sukzessive ein
schränkt.

1993 wurde Evotec BioSystems, heute Evotec, in Hamburg gegründet. Die Kernkompetenz des Unternehmens liegt in den frühen Phasen der Wirkstoffforschung und -entwicklung. Diese Phasen überspannen als Brücke („BRIDGES“) zwischen akademischer und industrieller Forschung einen Zeitraum von bis zu sechs Jahren. Evotec gehört heute zu den erfolgreichsten Unternehmen des TecDAX und hat neben seinem Hauptsitz in Hamburg 17 weitere Standorte.

Das Thema Nachhaltigkeit stand bei Politik und Industrie noch kaum auf der Agenda, als 1993 in Darmstadt das Biotechnology Research And Information Network – B.R.A.I.N. – ins Leben gerufen wurde. Die Gründer waren Pioniere der Nachhaltigkeit, die sich von Anfang an des „Werkzeugkastens der Natur“ bedienten, um biologische Lösungen für Synthesen anzubieten, die einst klassischer Chemie bedurften. BRAIN Biotech gehört deshalb heute zu den führenden Unternehmen auf dem Gebiet der industriellen Biotechnologie.

Ebenfalls noch vor der Jahrtausendwende gegründet wurde das Unternehmen Biospring aus Frankfurt am Main. 1997 als Spinoff der Uni Frankfurt als einfacher „Oligoanbieter“ gestartet, ist es heute ein Weltmarktführer für GMPguide-RNA, die für das GenomeEditing gebraucht wird, und Europas größter Hersteller für synthetische RNA- und DNA-Wirkstoffe. Neben Standorten in Deutschland expandiert Biospring auch in den USA und Asien.

Y2K und folgende

Den BlockbustermRNACoronaimpfstoff aus Deutschland haben neben BioNTech
und Pfizer auch zahlreiche Biotechzulieferer ermöglicht, unter anderem

PlasmidFactory aus Bielefeld. Das Unternehmen ist so alt wie das Jahrhundert und wächst in hohem Tempo heran. Der Umsatz hat sich in jedem der drei vergangenen Jahre verdoppelt. Besonders für mRNAImpfstoffe und CARTZelltherapien werden die hochwertigen Plasmide und Plasmidderivate des Bielefelder Unternehmens in aller Welt immer stärker nachgefragt.

Auf dem Gebiet der Antiinfektiva ist AiCuris aus Wuppertal erfolgreich unterwegs, die 2006 als Ausgründung aus dem Unternehmen Bayer startete. Seit 2017 ist der proprietäre Wirkstoff Letermovir auf dem Markt, der als Prophylaxe vor Knochenmarktransplantationen verabreicht wird, um Infektionen mit dem Cytomegalievirus zu verhindern. Für dieses wichtige und erfolgreiche Medikament wurde AiCuris 2018 mit dem Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten geehrt. Weitere Wirkstoffe sind in der Pipeline.

Biotechinsider hatten die 2008 als universitäres Spin-out gegründete BioNTech schon lange auf dem Schirm – hatte sie doch GO-Bio gewonnen, rekordverdächtige Finanzierungsrunden vorzuweisen und dazu noch 2019 eines der wenigen Biotech-IPOs hingelegt. Ab Ende 2020 wusste dann die ganze Welt, wer BioNTech ist. Der exemplarische Werdegang des Unternehmens, der in vielen Teilen typisch für den oft langwierigen Weg eines deutschen Biotechtherapieentwicklers ist, wurde in der „BioNTech Story“ zusammengefasst.

Last but not least ist CeGaT unter den ersten Zehn der Hall of Fame. Gegründet 2009 in Tübingen, war das Unternehmen schon lange vor der Pandemie mit humangenetischer Diagnostik am Start und nutzte als Erstes überhaupt die Next-Generation-Sequencing-Technologie erfolgreich für diese Zwecke. Schon im zweiten Geschäftsjahr erreichte das Unternehmen den Break-even und überschritt damit die Wirtschaftlichkeitsschwelle. 2011 wurde CeGaT mit dem Deutschen Gründerpreis in der Kategorie bestes Start-up ausgezeichnet.

Ausblick

Die individuellen Geschichten der zehn Gründungsmitglieder der Biotech Hall-of-Fame können hier nachgelesen werden:

Sie sind nur der Anfang.

Unter den Hunderten deutschen Unternehmen finden sich viele weitere erfolgreiche Unternehmensgeschichten. Vorschläge für weitere Nominierungen nimmt die Geschäftsstelle von BIO Deutschland gerne entgegen.

Autor/Autorin

Dr. Claudia Englbrecht
Pressesprecherin & Managerin Öffentlichkeitsarbeit at BIO Deutschland e. V. | Website

Dr. Claudia Englbrecht ist Biologin und bei BIO Deutschland e.V. für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, den Technologietransfer und die Deutschen Biotechnologietage verantwortlich.