Seit 1998 erlebe ich die deutsche Biotechnologie, die noch heute auf dem Fundament der damals gegründeten und ­skalierten deutschen Biotechfirmen steht. Die Jahre waren unter anderem von Deeptecherfahrungen, vielfachen Finanzierungsherausforderungen, der Zusammenarbeit mit Corporates, der Umstellung von Geschäftsmodellen und weiten Wegen zum Markt geprägt. Was aber führte in der Zusammenschau zu Erfolgen in der Branche?

2000 begleitete ich die november AG beim zweiten deutschen Biotechbörsengang als CFO. Es herrschte eine gewisse Goldgräberstimmung, denn Verluste waren über den Kapitalmarkt ­finanzierbar und die Bewertungen preisten viel Zukunft ein. Family-and-Friends-­Programme brachten relativ sicher hohe Gewinne, eine Verdoppelung des ersten Kurses gegenüber dem Ausgabepreis war keine Seltenheit. Die Verschiebung des ersten deutschen Biotech-IPOs von MorphoSys AG aufgrund einer Patentklage machte jedoch schlagartig deutlich, wie anspruchsvoll die Lage tatsächlich wurde, als die deutsche Biotechnologiebranche auf den internationalen Märkten Fuß zu fassen begann. Es folgten IPOs von Evotec AG und Medigene AG sowie weitere Biotech-IPOs in Deutschland, die heute noch das Börsenparkett prägen.

Start-ups und Corporates – die harte Nuss!

Nach dem Platzen der Dotcomblase wurde spätestens ab 2002 auch die Finanzierung der Biotechnologie schwieriger. Geschäfts­modelle erfuhren sogleich eine Risiko­reduzierung, indem sie zur Umsatzerzielung auf hybride oder stärker service­orientierte Ansätze umgestellt wurden. Verlockend wurden Finanzierungen mit Verlagerungen, M&A oder Kooperationen mit anderen Unternehmen in den USA oder Asien. Die B.R.A.I.N. AG entwickelte sich durch eine Vielzahl von Koopera­tionen in der industriellen Bioökonomie zu einem neuen Star. Dabei galt es, die harte Nuss zu knacken, die Schnittstelle zwischen Start-up und Großunternehmen sowohl in der direkten Bezahlung als auch dem Upside von künftigen Erfolgen fair zu teilen. Die Prämierung des Unternehmensgründers mit dem deutschen Umweltpreis 2008 für ein waschaktives Enzym, welches das Waschmittel Persil von Henkel ­wesentlich umweltfreundlicher werden ließ, veranschaulichte die positive Wirkung der Biotechnologie: Ihr direkter Impact machte sie für die breite Öffentlichkeit sichtbar. Bis heute zeigt sich jedoch, dass eine beidseitig vorteilhafte und faire Zusammenarbeit von Start-ups mit den Corporates in konservativen Branchen weiterhin nicht selbstverständlich ist.

Symbolbild Börse. Foto: © Kurhan – stock.adobe.com
Symbolbild Börse. Foto: © Kurhan – stock.adobe.com

Reimbursement: Kann der Weg noch länger sein?

Dass der Weg zum Markt ein langer sein kann, zeigt sich beispielhaft bei der 2008 aus dem größten europäischen Sequen­zierdienstleister, der GATC Biotech GmbH, gegründeten LifeCodexx GmbH, heute beides Teile der Eurofins Scientific SE. Das Unternehmen brauchte einen äußerst langen Atem, um erfolgreich einen Markt zu durchdringen. Die Kassenerstattung für den nicht-invasiven, pränatalen PraenaTest ­erfolgte erst im Juli 2022 – und dies, obwohl der Nutzen des Tests exakt nur eine schmerzhaftere und gefährliche Diagnose­form ersetzt, nämlich die Biopsie mit Risiko der Abortion. Glücklicherweise ist Next Generation Sequencing unter Verwendung von Big Data auf einem immer erfolgreicheren Weg, nicht zuletzt durch die Hilfe, die diese Technologien bei der andauernden Bewältigung der Coronapandemie aufweisen. Heute kann beispielsweise die Noscendo GmbH deutlich schneller den Wandel der Mikrobiologie durch Sequencing und Daten bei besseren Diagnosen zur gezielten antiinfektiven Therapie erleben – auch durch Unterstützung einiger Krankenkassen.

Kapital – geduldig, vernetzt und unterstützend kämpferisch!

Biotechunternehmen zählen zweifelsfrei zu den aktuell stark im Fokus stehenden Deeptech-Start-ups und die Biotechnologie ist eine der erklärten Schlüsseltechnologien Deutschlands. Die Finanzierungen sind langfristig und haben ein hohes Volumen. Geduldiges Kapital ist notwendig, während für Folgefinanzierungsrunden eine enge Vernetzung der Investoren und geschicktes Zusammenwirken erforderlich sind. Dennoch enthalten Verträge oft Flat Rounds und detaillierte Cashflow-Sonderrechte. Diese können beim ­Verkauf des Unternehmens zu komplexen Verteilungsstrukturen mit aus­geprägten Zahlungs­wasserfällen führen. Dadurch müssen ­Managementteams und Kapitalgeber entschlossen um den Erfolg kämpfen. Wir messen dabei besser in Multiples und nicht in IRRs, was dem ­Erfolg bei der Langfristigkeit eher Rechnung trägt.

Biotech mit größtem Potenzial im Deeptechbereich?!

Standards in der Therapie und empirisch belegte Erfolgswahrscheinlichkeiten in der Entwicklung sowie eine entsprechend organisierte Pharmaindustrie erlauben dabei, das Problem der langfristigen ­Finanzierung und geschlossenen Finanzierungskette zu reduzieren. Die TVM Capital GmbH beispielsweise hat dazu eine besondere Finanzierung und Zusammenarbeit mit Eli Lilly & Co. entwickelt. Anerkannte „Trüffelschweine“, die Innovationen und Märkte einschätzen können, sind bei der Suche nach den besten Start-ups in der Biotechnologie ein weiterer nicht zu vernachlässigender Erfolgsfaktor. Mit Spannung darf erwartet werden, wie wir diese und weitere Herausforderungen in den ­anderen Schlüsseltechnologien bei Deeptech-Start-ups wiederfinden werden.

Symbolbild Börse. Foto: © madamlead – stock.adobe.com
Symbolbild Börse. Foto: © madamlead – stock.adobe.com

CFOs mit dem Treibstoff Kapital

Angetrieben vom fachlichen und unternehmerischen Erfolg der BioNTech SE, die glücklicherweise auch im Zukunftsrat des Bundeskanzlers vertreten ist, arbeitet die Branche an den nächsten großen Erfolgen. Die Wissenschaft und die Community sind exzellent aufgestellt. Jedoch wird die Finanzierung der Biotechnologie durch in Deutschland weniger langfristig anerkannte Zukunftspotenziale und der ausgeprägten Risikoabneigung belastet. Doch wie in allen Schlüsseltechnologien wird auch der Erfolg der Biotechnologie davon abhängig sein, ob ein gestärktes Finanzökosystem mit hinreichend Kapital als Treibstoff bis zum Erfolg zur Verfügung steht. Corporate Venture Capital wird in diesem Zusammenhang immer wichtiger. Zudem müssen IPOs auch in Deutschland wieder die Finanzierungskette schließen können und eine breite Teilhabe ermög­lichen.

Der Zukunftsfonds kann nur ein ­Anfang sein – und all dessen Instru­mente zur Verbesserung der Finanzierung ­innovativer Start-ups müssen in ­jedem Bereich der Biotechnologie wirken ­können. Die Bedeutung der Finanzierung in der deutschen Biotechnologie hat auch dazu geführt, dass einige CFOs der Vergangenheit heute CEOs sind. Der enge informelle, oft vertrauliche Austausch durch Community Building stärkt die Industrie und wird auch im AK ­Finanzen und Steuern sowie auf dem ­Biotech-CFO-Gipfel von BIO Deutschland (wieder im Juli 2024) weiter intensiv ­gelebt.

Mehr Zukunft wagen für unsere Gesundheit!

Wir konnten bereits zahlreiche Erfolge in der deutschen Biotechnologie feiern. Künftig brauchen wir jedoch noch mehr Kraft und Mut, um alle Weichen, auch bei den Rahmenbedingungen, für eine freie Fahrt der Biotechnologie zu stellen: Das Death Valley muss einfacher überwindbar werden; die Anerkennung der zukünftigen Leistungen mit Marktwerten muss ­gegenüber der Absicherung durch ­Compliance und Risikomanagement mit buchwert­basierten Bilanzen mehr in den Vordergrund rücken. Denn Biotechnologie hat Purpose und Impact – nicht nur zum, sondern auch für das Leben der Menschen!

Autor/Autorin

Prof. Dr. Dirk Honold
CFO, Serial Entrepreneur von Start-ups at Technische Hochschule Nürnberg | Website

Prof. Dr. Dirk Honold ist seit über 25 Jahren als CFO für und als Serial Entrepreneur von Start-ups tätig und sitzt in diversen Aufsichtsräten sowie Beiräten. Seine wissenschaftliche Arbeit konzentriert sich auf die Stärkung des Ökosystems der Start-up-Finanzierung durch Innovationsfinanzierung und (Corporate) Venture Capital sowie auf wertorientierte Führung mit Zukunfts­potenzialen.