Mentalitätsfragen
„Deutsche Anleger investieren nicht in Biotech!“ – ebenfalls ein oft, wenn auch nicht gerne gehörter Ausspruch des zu Ende gehenden Jahres. Das angeblich mangelhafte Kapitalumfeld wird häufig als Grund aufgeführt, fallen Kapitalerhöhungen nicht in der gewünschten Höhe aus oder werden Börsengänge verschoben oder gleich ganz abgesagt. Auch hier mag der Weg an ausländische Börsenplätze eine Lösung sein. Die Curetis AG hat vor wenigen Wochen einen erfolgreichen Börsengang vollzogen: an der Mehrländerbörse Euronext in Amsterdam. Dies war, neben dem Verkauf von Supremol an den US-Konzern Baxter im Frühjahr, sicherlich einer der Höhepunkte der Saison. Auch im Falle Curetis wurde das Life Science-affine Umfeld der Euronext beschworen. Schließlich ist Anlegerverhalten auch immer eine Frage der Mentalität. Inwieweit man diese beeinflussen oder gar verändern kann, ist ungewiss. Ob privat oder institutionell, der deutsche Anleger hält es lieber risikoärmer, da passt der Kauf umfangreicher Biotech-Aktienpakete weniger ins Bild. Aber wäre es denn wirklich so bedauerlich, wird auch das Jahr 2016 kein IPO eines deutschen Life Science-Unternehmens an der Frankfurter Börse erleben. Faktisch wird es auch im nächsten Jahr zu wenige deutsche Banken und Analysten mit einer ausgewiesenen Life Science-Expertise geben. Der Privatmensch investiert ohnehin zu wenig in Aktien und die Themenvielfalt der Biotechnologie wird ihm auch weiterhin zu komplex und risikoreich erscheinen. Wo deutsche Anleger das Scheitern wittern, sehen ihre Pendants im europäischen Ausland und vor allem in den USA zu allererst die Chance auf Gewinn und unternehmerischen Erfolg. Doch sind Börsengänge in Deutschland kein Muss und das Beharren darauf im Zweifelsfall politisch oder medial aufgebauscht. Das Kapital ist längst international und über Börsengänge deutscher Firmen an der Euronext oder am besten gleich an der Nasdaq sollte man sich im Zweifelsfall freuen und diese als Vorbilder für die kommende Gründergeneration aufwerten.

Neue Trends
Derweil werden Themen wie „E-Health“, „Digital Health“ oder „Big Data“ auch im kommenden Jahr für Aufsehen sorgen. Erfolgreiche Finanzierungsrunden für Start-ups wie Sonormed, Clue oder MySugr haben Ausrufezeichen gesetzt. Längst haben sich einzelne Investoren auf dieses Segment spezialisiert. Zwar liegen die Finanzierungszahlen hier, wie in der gesamten Biotechnologie oder Medizintechnik, noch immer weit hinter den vergleichbaren Kennzahlen, etwa des US-Marktes, zurück. Einige Gründe dafür wurden weiter oben im Text genannt. Doch die eigentliche Herausforderung wird sein, E-Health-Produkten eine wirtschaftlich tragfähige Nachhaltigkeit zu verschaffen. Denn mit Fitness-Apps allein ist es nicht getan. Erste Krankenkassen haben E-Health-Lösungen bereits in ihre Leistungskataloge aufgenommen- das jüngst verabschiedete E-Health-Gesetz wird weitere Wege ebnen. Doch sind tiefergehende Umwälzungen gerade im deutschen Gesundheitssystem nötig, um den Machern von Digital Health oder Big Data hierzulande einen langfristig wirtschaftlichen Erfolg zu ermöglichen. Da geht es nicht allein um Finanzierungsfragen, deren Dringlichkeit im Vergleich zur forschungsintensiveren Biotechnologie ohnehin weniger stark ausgeprägt sein dürfte. Da geht es auch um Datenschutz oder die technische Ausstattung von Krankenhäusern, Ärzten, Patienten und Krankenkassen oder ganz allgemein um Nutzerverhalten. Welchen Weg die „elektrische Medizin“ in Zukunft auch nehmen wird, ergänzend zur Biotechnologie oder Medizintechnik zeigt sie nicht nur die Komplexität einer ganzen Industrie auf, sondern auch die vielfältigen Möglichkeiten – für Unternehmer, Patienten und Investoren gleichermaßen.

Fazit
Die deutsche Life Science-Industrie steht zum Jahreswechsel vor alten und neuen Herausforderungen. Hohe Forschungs- und Entwicklungsstandards werden sich auch künftig mit stagnierenden Gründerzahlen, schwierigen Finanzierungen oder der Suche nach den passenden Anlegern paaren. Doch für die meisten Themen gibt es Lösungen, man muss sie nur erkennen und umsetzen. Das kann auch eine Frage des Willens sein.

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