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Deutschland hat als eines der ersten Länder Europas im Juli 2022 ein Gesetz zur
dauerhaften, gleichberechtigten Einführung der virtuellen Hauptversammlung erlassen. Die in § 118a Aktiengesetz (AktG) gewährten Aktionärsrechte gehen dabei zum
Teil deutlich über die in anderen Ländern gewährten Möglichkeiten hinaus.
Eine Bestandsaufnahme.

Laut einer internen Erhebung von Computershare wurde zwischen Juli 2021 und Juni 2022 weltweit ein Drittel aller HVs ­unserer Kunden als virtuelle oder hybride Versammlungen durchgeführt, also unter ­Ermöglichung der Ausübung von Aktionärsrechten sowohl in Präsenz als auch digital. Auch wenn gerade im Jahr 2022 in einigen Ländern noch pandemiebedingte Beschränkungen gegeben waren oder ­deren Einführung drohte, zeichnet sich schon jetzt für den gleichen Zeitraum 2022/2023 ein ähnliches Bild ab.

Deutschland: Vorreiter bei Aktionärsrechten

Im Gegensatz zu der Notfallgesetzgebung besteht der Grundgedanke der virtuellen Hauptversammlung im Nach-COVID-Zeitalter darin, die Ausübung der Aktionärsrechte ins Vorfeld der Hauptversammlung zu verlagern und den Tag der HV damit von länglichen Diskussionen und endlosen ­Debatten zu entlasten. Dies ist in anderen Jurisdiktionen so nicht zu finden. Dabei ist grundsätzlich zu sehen, dass Hauptversammlungen in anderen Ländern zumeist deutlich kürzer sind, da die Auskunftsrechte, wie man sie aus § 131 AktG kennt, in anderen Ländern nicht oder nur in geringerem Umfang in den gesetzlichen Rahmenbedingungen gegeben sind. Doch was bedeutet virtuelle HV in anderen Ländern?

Schweiz: virtuelle HV seit 1. Januar 2023 zulässig

In der Schweiz wurde bereits 2016 eine ­Gesetzesrevision erlassen, die eine Digitalisierung der Generalversammlung vorsah. Diese wurde durch die Corona-Notfallgesetzgebung noch einmal leicht erweitert, sodass schweizerische Gesellschaften auf Basis von Satzungsermächtigungen seit dem 1. Januar 2023 virtuelle ­Versammlungen durchführen können. ­Unter der virtuellen Generalversammlung ist eine GV mithilfe von elektronischen ­Mitteln zu verstehen (Art. 701d Abs. 1 ­E-OR). Sie findet in einem virtuellen Raum statt, sodass kein Tagungsort und keine physische Präsenz der Teilnehmenden notwendig sind. Die gesetzlichen Anforderungen sind dabei, dass erstens die Teilnehmer zu identifizieren sein müssen, zweitens eine Diskussion der Teilnehmenden ermöglicht wird (Anträge und Redebeiträge sind dabei enthalten), drittens eine Abstimmung in Echtzeit ­gewährleistet wird. Dabei ist ausdrücklich eine Abstimmung per E-Mail nicht zulässig, wohl aber eine Stimmabgabe per Telefon. Schließlich muss viertens die Verhinderung der Verfälschung der Abstimmungsergebnisse sichergestellt sein.

Österreich: keine Regelung über den 30. Juni 2023 hinaus

Im Gegensatz zu Deutschland hat sich ­Österreich im vergangenen Sommer nicht dem zeitlichen Druck einer schnellen dauerhaften Einführung einer gesetzlichen Regelung gebeugt. Es wurde die Corona-Notfallgesetzgebung noch einmal bis zum 30. Juni 2023 verlängert. Die derzeitigen politischen Diskussionen deuten an, dass sich die zukünftige Regelung an den § 118a des deutschen Aktiengesetzes annähern wird.

Überraschenderweise ist zu beobachten, dass einige namhafte österreichische Emittenten für 2023 ein hybrides Versammlungsmodell wählen. Die Fernteilnahme gemäß §102 (3) öAktG, dem ­Pendant zur deutschen Onlineteilnahme, ist seit Langem im Gesetz verankert. ­Dabei muss Aktionären die Stimmabgabe in Echtzeit ebenso gewährt werden wie ein Rederecht mittels akustischer und ggf. ­visueller Zuschaltung.

Luxemburg: virtuelle Hauptversammlungen nicht mehr möglich

Keine Verlängerung der virtuellen Hauptversammlung gab es hingegen in Luxemburg. Die im Rahmen einer Notfallgesetzgebung ermöglichte virtuelle Hauptversammlung, die sogar in Form von Telefonkonferenzen durchgeführt wurde, ist zum 31. Dezember 2022 ausgelaufen, ohne dass eine neue ­gesetzliche Regelung in Sicht wäre.

Fazit

Wenig überraschend sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Sachen virtuelle Hauptversammlung innerhalb Europas genauso divers wie jene für Präsenzversammlungen. Deutschland, das traditionell dem Minderheitenschutz eine große Bedeutung beimisst, setzt diesen auch im virtuellen Format um. Für die Emittenten bedeutet dies einen immensen organisatorischen Aufwand. Die Erfahrung aus den ersten Hauptversammlungen 2023 zeigt, dass institutionelle Investoren nach wie vor Kritik an einer rein virtuellen Hauptversammlung üben. Auch Signale aus weiteren europäischen Märkten wie Italien ­zeigen ähnlich wie Österreich den Trend, Hauptversammlungen auch in hybrider Form durchzuführen, um nationalen Inves­toren genauso entgegenzukommen wie internationalen. Das Angebot einer digitalen Teilnahmemöglichkeit ist durchaus ­zukunftsfähig. Gerade unter den immer wichtiger werdenden ESG-Gesichtspunkten dürfte es insbesondere institutionellen Investoren zugutekommen.

Autor/Autorin

Daniela Gebauer, Senior-Beraterin bei Computershare Deutschland GmbH & Co. KG
Daniela Gebauer

Daniela Gebauer ist Senior-Beraterin bei Computershare Deutschland GmbH & Co. KG.