Was die Aktienkultur betrifft, zählen im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten die Nationen Europas, und hier speziell Deutschland, zu den Entwicklungsländern. Während in den USA über 50 % der privaten Haushalte im Besitz von Wertpapieren sind, liegt die Quote hierzulande nicht mal bei 10 %.
Zwar hat sich die Situation in den letzten Jahren schon deutlich verbessert – der Deutschen Telekom sei Dank – doch gibt es mit Blick auf die USA sicherlich noch einiges aufzuholen. Seit dem Börsengang der Deutschen Telekom Ende 1996 ist die Anlageform Aktie einer breiten Öffentlichkeit schmackhaft gemacht worden. Viele der Neubörsianer lernen in diesen Wochen auch die Schattenseiten des angehenden Aktienbooms kennen.
Der Neue Markt wurde teilweise als Gelddruckmaschine bezeichnet. Während der Übertreibungs-Phasen wie im Frühjahr letzten und dann wieder zur selben Zeit dieses Jahres schien die Börsenwelt in Ordnung. Daß das Ende nahe sein mußte, erkannten erfahrende Anleger daran, daß selbst Zeitschriften, die zuvor nur selten aktienrelevante Themen gebracht hatten, plötzlich die „100-Prozent-Chance mit Internetwerten“ oder „Verdoppeln Sie Ihr Geld am Neuen Markt“ als Titelstory brachten. Von Woche zu Woche steigerte sich das Angebot an Börsenmagazinen.
Als sogar eine große, täglich erscheinende Tageszeitung – in der Vergangenheit nicht gerade in der ersten Reihe bei derlei Themen – ein Börsenbarometer einführte, schalteten die Ampeln auf Rot. Daß viele Journale und Zeitschriften in irgendeiner Form auf diesen aktuellen Trend aufspringen wollten, war zwar verständlich, läutete aber zugleich das vorläufige Ende dieser Euphorie ein. Denn wenn jeder Neueinsteiger nur noch die mühelosen Kursgewinne erwartet, steigen Profis vom Gas und geben dankend ein paar Stücke ab.
Wie sich im Frühsommer 1999 und auch jetzt wieder bewahrheitete, war es richtig, die Party zu verlassen, solange die Musik noch spielte. Daß eine Korrektur den Nasdaq und auch den Neuen Markt früher oder später heimsuchen würde, war eigentlich allen erfahrenen Teilnehmern klar, wurde aber weitgehend ignoriert. Jetzt, wo die „Korrektur“ sich auf bis zu 35 % von den Höchstständen beläuft, ist das Gejammer groß.
In den letzten Wochen war es sogar so, daß man dort, wo vorher von „Verdoppeln“ und „100-Prozent-Chance“ die Rede war, nun Schlagzeilen wie „Der Crash ist da“ oder „Bringen Sie Ihr Geld in Sicherheit“ lesen mußte. Zeitschriften, die vorher auf den fahrenden Börsenzug aufspringen wollten, halten sich plötzlich sehr bedeckt, um nicht ganz dumm auszusehen vor dem Hintergrund einer offensichtlichen Meinungs-Schieflage.
Man kann nicht mal behaupten, daß sich das Umfeld verschlechtert habe. Die zahlreichen Zinserhöhungen in den USA waren hinlänglich erwartet, wurden aber zugunsten einer brummenden Börse gedanklich beiseite geschoben. Nach der lehrreichen Erfahrung einer über 30 %igen Kurskorrektur bei den High Techs, sollte man die Crash-Schlagzeilen derselben Zeitschriften, die zuvor die vermeintlichen Riesengewinne an der Börse angepriesen hatten, ebenfalls wieder als Contra-Indikator verstehen.
Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.