Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt ist eine zunehmend dringliche Herausforderung für börsennotierte Gesellschaften in Deutschland. Eine aktuelle Studie des Center for Research in Financial Communication der Universität Leipzig in Kooperation mit dem DIRK, Aurubis, Deutsche Post DHL, Lufthansa Group und Zalando zeigt, dass sich die Nachhaltigkeitskommunikation in einem dynamischen Entwicklungsprozess befindet. Von Prof. Dr. Christian P. Hoffmann und Sandra Binder-Tietz

Basierend auf Experteninterviews, Inhaltsanalysen von IR-Websites und einer Umfrage unter den DIRK-Mitgliedern zeigt sie: Die große Vielfalt im Feld lässt sich idealtypisch in drei aufeinander aufbauende Professionalisierungsgrade unterteilen. Die internen Herausforderungen, Strukturen und Prozesse aber auch der Einsatz von Kommunikationsinstrumenten unterscheiden sich in diesen Graden deutlich. In der Praxis weisen die meisten Gesellschaften einzelne Eigenschaften aus unterschiedlichen Professionalisierungsgraden auf. Eine Verortung im Framework kann dennoch helfen, die eigenen Aktivitäten und Strukturen weiterzuentwickeln. In diesem Beitrag soll überblicksartig auf die drei Grade eingegangen werden. Detaillierte Informationen finden sich in der aktuelle DIRK-Forschungsreihe „Nachhaltigkeit in der Kapitalmarktkommunikation“.

Drei Professionalisierungsgrade der Nachhaltigkeitskommunikation

Im ersten Grad – Pflichtkommunikation – sind Strukturen in dem Maße ausgeprägt, dass die Kommunikation den regulatorischen und rechtlichen Anforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit (bspw. nichtfinanzielle Erklärung) entspricht. Darüber hinaus werden aber wenige Aktivitäten entfaltet. Die vorhandenen Ressourcen und Prozesse sind daher weitgehend durch die Offenlegungspflichten determiniert, das Unternehmen reagiert auf diese, verfolgt aber keine proaktive Kommunikationsstrategie. Entscheider müssen unternehmensintern noch für die Relevanz von Nachhaltigkeit sensibilisiert werden, Strukturen und Prozesse einer systematischen Nachhaltigkeitskommunikation befinden sich im Aufbau.

Im zweiten Grad – aktive Nachhaltigkeitskommunikation – bauen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung und auch das interne ESG-Reporting maßgeblich aus, über die regulatorischen Anforderungen hinaus. Sie stehen dabei vor der Herausforderung, die relevanten ESG-Daten zu definieren, zu erheben und aufzubereiten. Auf der Basis einer erweiterten Nachhaltigkeitsberichterstattung wird auch die Vermittlung von Nachhaltigkeitsthemen an den Kapitalmarkt erweitert. IR und die Nachhaltigkeitsabteilung arbeiten enger zusammen. Die Themenverantwortung liegt dabei in der Regel bei der Nachhaltigkeitsabteilung, aber IR baut eigene Kapazitäten für eine aktive Kommunikation auf (bspw. Budgetierung, Kompetenzausbau). Nachhaltigkeit beginnt, in den klassischen IR-Instrumenten (Website, Equity Story, Präsentationen, etc.) angesprochen zu werden – häufig jedoch auf eine relativ generische Weise.

Die aktive Nachhaltigkeitskommunikation stößt ab einem gewissen Grad der Professionalisierung an Grenzen. Die Zielgruppen des Kapitalmarktes erhalten nun zwar umfassendere Informationen zu Nachhaltigkeitsthemen, kämpfen aber damit, die strategische Relevanz dieser Daten zu erkennen. Die Verknüpfung zu den klassischen Performance-Indikatoren fällt schwer. IR und auch die Nachhaltigkeitsabteilung können dem durch immer mehr Transparenz und Daten nicht abhelfen. Die Herausforderungen liegen hier nicht mehr auf einer operativen, sondern einer strategischen Ebene.

Im dritten Grad – strategische Nachhaltigkeitskommunikation – ist die Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt somit nicht mehr nur aktiv, sie ist auch strategisch. Ziele und Themen sind aus der Strategie abgeleitet und werden durch den Vorstand glaubwürdig vertreten. Es herrscht Transparenz nicht mehr nur zu generischen ESG-Performance-Indikatoren, sondern gezielt zu solchen, die Aufschluss über den strategischen Erfolg des Unternehmens geben. Damit steigt auch die Relevanz der Nachhaltigkeitsberichterstattung und -kommunikation für die Zielgruppen des Kapitalmarktes spürbar an. Nachhaltigkeit wird in die Equity Story und klassische IR-Instrumente (bspw. Roadshow-Präsentation) substanziell integriert.

Zusammenfassung

DAX- und MDAX-Unternehmen weisen in der Tendenz einen gehobenen Grad der Professionalisierung auf. Jedoch zeigt sich in fast allen untersuchten Unternehmen eine Diskrepanz zwischen intern bereits getroffenen Entscheidungen in Bezug auf Nachhaltigkeit und ihrer operativen Umsetzung sowie Sichtbarkeit für die Kapitalmarktteilnehmer.

Die Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt befindet sich im Fluss: – nicht nur weil die Unternehmen unterschiedliche Professionalisierungsgrade aufweisen, sondern auch und insbesondere, weil die Zielgruppen sich erst noch in das Thema einfinden und daher bisher keine einheitlichen und ausreichend transparenten Anforderungen an die Unternehmen stellen. Immer wieder kommt es hier zu „Henne-Ei-Problemen“: IR-Verantwortliche erwarten klare Anforderungen seitens der Investoren und Analysten, diese wiederum erwarten, dass Unternehmen vermitteln, welche Nachhaltigkeitsthemen strategisch relevant und welche ESG-KPIs somit zu berücksichtigen sind. Beide Seiten finden sich am Ende immer wieder durch die Regulierung angetrieben, „mehr“ zu tun, nicht immer mit einer klaren Orientierung, wie aus „mehr“ auch „besser“ werden kann.

DIRK
Abbildung: Professionalisierungsgrade der Nachhaltigkeitskommunikation an den Kapitalmarkt Quelle: DIRK

Autor/Autorin

Prof. Dr. Christian Pieter Hoffmann

Prof. Dr. Christian P. Hoffmann ist Professor für Kommunikationsmanagement an der Uni­versität Leipzig sowie Akademischer Leiter des Center for Research in Financial Communi­cation.

Sandra Binder-Tietz

Sandra Binder-Tietz ist Doktorandin und Research Associate am Center for Research in Financial Communication der Universität Leipzig.