Whatever it takes – Wer oder was kommt nach Super Mario?

Wahl des EZB-Präsidenten im Oktober stellt EU vor Herausforderungen

Alternative zu Voodoo Economics

Zugespitzt könnte man auch sagen, dass nur Weidmann an der Spitze der EZB der Garant gegen weitergehende exotische und esoterische Experimente in der Geldpolitik wäre. Auch wenn es in den Massenmedien kaum angesprochen wird, so tauchen mit Bezug auf die Experimente der letzten Jahre doch in der Diskussion von Ökonomen Begriffe wie „Voodoo Economics“ auf, um die Politik der EZB zu charakterisieren, die sich allerdings in Gesellschaft der anderen wichtigen Zentralbanken befindet. Eine sogenannte „Japanification“ Europas droht. Schon seit den 1990er Jahren versucht die Bank of Japan ihrer Wirtschaft neuen Schwung zu verleihen. Allerdings wurde schon alles ausprobiert: Dank QE ad infinitum besitzt die japanische Zentralbank die meisten Staatsanleihen und die Staatsverschuldung bewegte sich Ende 2018 mit 237% des BIP weit jenseits dessen, was gemeinhin als tragfähig gilt.

Insgesamt hat sich die globale Staatsverschuldung seit der Finanzkrise vor zehn Jahren auf 45 Bio. USD (= 45.000 Mrd. USD) beinahe verdoppelt. Ein ganz wesentlicher Grund dafür ist, dass die Staatsanleihen der wichtigen Emittenten im Euro-Raum selbst bei Laufzeiten von mehr als fünf Jahren negative Zinssätze aufweisen. Und das wiederum ist Folge und Ziel der EZB-Politik. Mit „stabilen und bestandsfesten monetären Rahmenbedingungen“, wie von der Deutschen Bundesbank in Vor-EUR-Zeiten stets postuliert, hat die aktuelle monetäre Politik der EZB nurmehr wenig gemein. Dies hat mit dazu beigetragen, dass die Staatsverschuldung in Prozent des BIP in Frankreich und Spanien bei 97%, in Italien bei 130% und in Griechenland sogar bei 188% liegt. Zur Erinnerung: Das Maastricht-Kriterium lautete ehemals auf maximal 60%. In Deutschland fiel die Quote übrigens 2018 erstmals wieder unter die Maastricht-Marke. In den USA sind es übrigens 106%.

Helicopter Money als Lösung?

Und so ist die Frage bei der EZB-Präsidentschaft im Grunde die zwischen der Rückkehr zu einer nachhaltigen und rationalen monetären Politik und, krass ausgedrückt, der Fortsetzung von Voodoo Economics mit der absehbaren Konsequenz von „Helicopter Money“. Das ist ein weiterer schöner Terminus, der zwar keinen Eingang in die öffentliche Diskussion findet, jedoch in Kreisen von Zentralbankern durchaus ernsthaft diskutiert wird. Ex-FED-Chef Ben Bernanke hatte diesen Terminus einst in den Zentralbankdiskurs eingeführt. Er besagt, dass notfalls Geld aus einem Helikopter über die Städte niederfallen solle, um die Wirtschaft anzukurbeln und eine Depression zu vermeiden, falls irgendwann grazilere Maßnahmen wie Anleihekäufe nicht mehr ihren Zweck erfüllten.

Mit dem für Börsianer typischen Zynismus könnte man den Politikern ohne Weiteres unterstellen, dass ihnen eine solche Lösung immer noch lieber ist als in einer Rezession oder gar Depression Wählerstimmen und damit Macht und Einfluss zu verlieren. Es war ja auch bisher stets einfacher, die gesamte Verantwortung für die Behebung der Malaise, die aus der Finanzkrise 2008/09 erwachsen ist, auf die EZB abzuwälzen, anstatt politische Reformen auf den Weg zu bringen, die diese Bezeichnung auch verdienen. Als Tatsache kann gelten, dass auch Ökonomen und Zentralbankern klar geworden ist, dass die den Zentralbanken von der Politik aufgezwungene Revitalisierung von Banken und Wirtschaft eben nicht zu den Trickle-down-Effekten* geführt hat, die sie immer versprochen haben. Tatsächlich hat die QE-Politik nur zu einer beschleunigten Vermögenskonzentration geführt und einem breiten Abrutschen der sogenannten Mittelschicht in oftmals prekäre Einkommensverhältnisse.

Hütchenspiel

Gehen wir mal davon aus, die Wahl von EU-Kommionspräsident und EZB-Vorsitz erfolgen nicht unabhängig voneinander – besagter Kuhhandel (englisch: Horse Trading) –, so ergeben sich gewisse Konstellationen, die realistisch sind und solche, die genau deshalb unrealistisch bleiben (sh. Übersicht). In der ersten Übersicht haben wie die Eignung der Kandidaten von Grün über Gelb bis Orange hinterlegt. Allerdings ergeben sich in der ‚Wahl-Matrix‘ Konstellationen, die gehen und solche, die unwahrscheinlicher sind. Notbene: Die Wahl zum Kommissionspräsidenten findet im Mai statt, die EZB-Wahl erst später im Jahr.

Zuerst muss man also die Horizontal-Zeile oben ablesen: Käme der Franzose Barnier, die Italienerin Mogherini oder der Niederländer Timmermans, wäre die Wahl des EZB-Präsidenten damit terminiert: Zu Barnier wie auch Mogherini wäre nur der Estländer Hansson kompatibel, zu Timmermans würde Ex-IWF-Chefin Lagarde passen. Interessanter wird es bei der Niederländerin Verstager sowie einer Wahl von Lagarde zur Kommissionspräsidentin: Bei beiden wären dann noch drei Optionen und damit etwas mehr Kuhhandel bei Technokraten möglich. Auch gut abzulesen: Die Chancen von Weber auf den Kommissionsvorsitz wie auch von Weidmann auf die EZB-Führung sind nahe Null, eigentlich de facto exakt Null.

Unser Favorit ist die Konstellation Lagarde + Liikanen/Rehn/(Hansson) oder Verstager plus Coeuré/Villeroy. Außenseiterwetten werden auf Timmermans + Lagarde, Mogherini + Liikanen sowie Barnier + Liikanen angenommen. Liikanen ist speziell deshalb Favorit für den EZB-Posten, da er der plausibelste Konsens-Kandidat ist für möglche Konstellationen ist.

Fazit

Machen wir uns nichts vor: Auch 2019 wird es nicht auf die persönliche Eignung der Kandidaten ankommen, weder beim Kommissionsvorsitz, der zuerst gewählt wird, noch später im Jahr beim EZB-Vorsitz. Bei beiden Posten halten wir einen deutschen Kandidaten für aktuell nicht konsenfähig – Goodbye Jens. Ein EZB-Präsident aus einem der Mittelmeer-Anräiner würde traditionell als Fortsetzung der Draghi-Linie interpretiert werden: kurz- und mittelfristig gut für die Börsen, weniger gut für Sparer und langfristige Auswirkungen – bei denen allerdings keiner der Gewählten mehr in der Verantwortung stehen dürfte. Einer drei Skandinavier Liikanen, Hansson, Rehn würde immerhin noch etwas mehr einer Stabilitätsorientierung zugeordnet gesehen werden und wäre gut Banktitel quer durch Europa, weniger für die Börsen allgemein. Das Zitat von US-Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld – das ihn übrigens mit den Job kostete – trifft die Ausgangslage allerdings trefflich: ‚Wir ziehen nicht mit der Armee in den Krieg, die wir uns wünschen oder die wir ggf. haben könnten, sondern mit der, die wir haben.‘ Ein Gefreiter hatte sich über minderwertige schusssichere Westen beklagt und gefragt, wie das sein könne.

Die Titelstory ist eine Vorabveröffentlichung aus dem aktuellen GoingPublic Magazin (erscheint am Wochenende). 

Fußnote
*) Im Deutschen „Pferdeäpfel-Theorie“. These, dass Wirtschaftswachstum und allgemeiner Wohlstand von Reichen nach und nach durch deren Konsum und Investitionen in die unteren Schichten der Gesellschaft durchsickern. Von Ökonomen wie Krugman und Stieglitz zuletzt gänzlich in Frage gestellt.

Autor/Autorin

Falko Bozicevic ist Mitglied des Redaktionsteams des GoingPublic Magazins sowie verantwortlich für das Portal BondGuide (www.bondguide.de)