Bildnachweis: Bildquelle: Adobe Stock; © tanja kerres/EyeEm.

Kommunikation in der Krise zählt zu den heikelsten Aufgaben jedes Unternehmens. Die Flugindustrie war in den beiden ­(ersten) Coronajahren mit am stärksten betroffen. DAX-Konzern MTU Aero Engines zeigt, wie man mit ­frischen Ideen aus einer Krise wiedererstarken kann.

Foto: © MTU Aero Engines
GoingPublic: Frau Schwing, Herr Zanger, um diese Frage kommt man im zweiten Jahr von Corona nicht herum: Wie haben Sie als Triebwerkshersteller diese herausfordernde Phase gemeistert?

Zanger: MTU Aero Engines hat die Corona­krise bislang sehr ordentlich bewältigt, mit Blick auf das Unternehmen ebenso wie hinsichtlich der Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die gesamte Luftfahrtbranche war von den Auswirkungen der Pandemie mit am schwersten betroffen. Zeitweise kam der Luftverkehr nahezu zum Erliegen. Wir haben allerdings schnell ­reagiert: mit Kurzarbeit, um den Auslastungseinbruch abzufedern, und darüber ­hinaus mit einer Anpassung unserer Kapazitäten. Inzwischen sieht man wieder mehr Flugzeuge am Himmel, aber vom Vor­-Krisen-Niveau sind wir noch weit entfernt.

Der Rückgang u.a. beim Ordereingang war 2020 nicht unbeträchtlich, die Geschäftszahlen waren in allen Bereichen stark rückläufig. Wie erklärungsbedürftig war das Jahr 2020 aus Ihrer Sicht und zeigten Investoren Verständnis?

Zanger: Zu erläutern war unseren Investoren z.B., warum wir für 2019 unsere ansonsten verlässliche Dividende fast komplett ­gestrichen haben. Das war eine von mehreren Maßnahmen, um die Finanzkraft zu ­sichern – wir konnten im ersten Halbjahr 2020 ja nur auf Sicht fliegen. Einen Großteil unseres Umsatzes erzielen wir im sogenannten Aftermarket, also mit der Instandhaltung von Triebwerken. Die Erholung des Aktienkurses zeigt, dass die meisten Investoren unseren Weg durch die Krise und ­unsere Perspektiven zuversichtlich beurteilen. Selbst im Krisenjahr 2020 konnte die MTU eine solide Rendite erwirtschaften.

Und 2021? Im aktuellen Jahr sind noch keinerlei Ad-hoc-News im Archiv auf Ihrer Website zu finden – dabei müsste doch eigentlich im zweiten Coronajahr ebenfalls hoher Kommentierungsbedarf bestehen.

Schwing: Ad-hoc-Pflicht besteht für unerwartete Nachrichten. Insofern ist deren ­Ausbleiben eher ein Zeichen von Verlässlichkeit. Sichtbar wird die Entwicklung des Unternehmens an vielen anderen Nachrichten – von Ausbauprojekten an unseren Standorten über neue Großaufträge bis hin zur Beteiligung an Europas zukünftigem Luftverteidigungssystem FCAS.

Normalisiert sich die Lage aktuell, sprich: Kehrt die Flugindustrie irgendwann auf ein Prä-Corona-Niveau zurück?

Zanger: Der Luftverkehr kommt zurück, denn der Wunsch nach Mobilität ist gerade nach einer solchen Unterbrechung weiter vorhanden. Die Menschen haben ein ­Bedürfnis nach Verbindung und Reisen. Aber die Segmente und Regionen entwickeln sich unterschiedlich: Wir gehen davon aus, dass sich die Kurz- und Mittelstrecke schneller erholt als der interkontinentale Verkehr. Auf der Langstrecke wird es noch einige Jahre dauern, bis das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht wird. Auch werden die nun deutlich breiter genutzten virtuellen Möglichkeiten den Bedarf an Geschäftsreisen beeinflussen. Klar ist aber auch: Ohne persönliche Kontakte lassen sich Netzwerke, Partnerschaften und Kundenbeziehungen zwar eine gewisse Zeit erhalten, nicht aber dauerhaft ausbauen.

Wie steht es vor dem Hintergrund nachhaltiger Antriebsstoffe mit der Zukunft? Ist dies in der Flugindustrie realistisch oder nur eine Art Nebenkriegsschauplatz, da nicht wirklich ­realistisch oder nicht ökonomisch?

Zanger: Zunächst einmal: Alternative Antriebsstoffe und -technologien sind absolut realistisch und zwingend notwendig. Die Anforderungen an den Luftverkehr sind enorm gestiegen: Die politische wie auch die gesellschaftliche Erwartung ist heute eine ganz andere als noch vor einigen Jahren. Trotz der deutlichen Auswirkungen der Pandemie haben wir unsere Anstrengungen auf diesen Themenfeldern weiter intensiviert. Die Zukunft gehört neuen Triebwerkskonzepten und nachhaltigen Kraftstoffen. Diese Sustainable Aviation Fuels (SAF) werden z.B. aus Wasser, CO2 und grünem Strom hergestellt.

„Nachhaltige Antriebstechnologien und Kraftstoffe sind heute realistisch“
Illustration: © MTU Aero Engines
Hat die MTU für diese gestiegenen Anforderungen Lösungen in der Hinterhand oder zumindest in der Entwicklung?

Zanger: Wir erwarten hier in den kommenden Jahrzehnten ein mehrstufiges Vorgehen. Zum einen entwickeln wir die gegenwärtigen Technologien evolutionär weiter. Parallel dazu arbeiten wir an revolutionären Schritten, also neuen Antriebstechnologien. Eine mögliche Lösung wäre der Water-Enhanced ­Turbofan (WET). Dabei wird ein Dampfkraftprozess in den Gasturbinenprozess ­integriert. Ebenso zu den revolutionären Ansätzen zählt die Elektrifizierung des Antriebsstrangs, beispielsweise durch eine Brennstoffzelle. Der am schnellsten wirk­same Weg ist der Einsatz von nachhaltigem Kraftstoff. Das ist auch mit herkömmlichen Triebwerken möglich.

Als alternativer Kraftstoff beispielsweise Wasserstoff, der aus Biomasse, Solarenergie oder mithilfe von Wind gewonnen wurde: Das ist doch eigentlich technisch gar keine Vision mehr, sondern verfügbar – oder?

Zanger: Die Technologie ist da, es fehlen aber ihre Industrialisierung und die ausreichende Verfügbarkeit von Wasserstoff. In der Luftfahrt kommen die Vorteile von Wasserstoff oder daraus hergestellten Kraftstoffen am besten zur Geltung. Batteriebasierte Antriebe sind hier nur für sehr kurze Strecken sinnvoll einsetzbar. Wir stehen voll hinter den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens. Dafür muss unsere Branche bis 2050 die Klima­neutralität erreichen.

Um ESG-Themen führt in diesen Zeiten ebenfalls kein Weg vorbei. Wie relevant sind sie bei der MTU aufgehangen: reines Pflichtprogramm oder Möglichkeit zur Kür bei Themen, die Ihnen am Herzen liegen – welche wären das?

Zanger: ESG-Themen haben in den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Das „E“ ist für unsere Branche dabei zentral. Unsere Produktionsstandorte wollen wir in den nächsten Jahren sukzessive CO2-neutral betreiben, den Standortbetrieb in München stellen wir bereits ab diesem Geschäftsjahr bilanziell klimaneutral. Die größte Wirkung liegt in der Produktentwicklung. Da ist die Umsetzung allerdings sehr komplex und zeit­intensiver. Triebwerke haben eine Lebensdauer von 25 bis 30 Jahren; entsprechend lang dauern Entwicklung und Zulassung.

Schwing: Auch das „S“ würde ich gern hervorheben, denn sozialen Themen und Fragestellungen widmet sich die MTU schon sehr lange. Schwerpunkte sind neben der Ausbildung unserer Fachkräfte auch die persönlichen Weiterentwicklungsmöglichkeiten und das Führungsverständnis. So haben wir in der Pandemie etwa den Abstand unserer regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen von ursprünglich zwei bis drei Jahren auf einen dreimal jährlich stattfindenden „PulsCheck“ umgestellt. Dieses regelmäßige Stimmungsbild hilft uns, kurzfristig auf Themen aus der Belegschaft zu reagieren.

Die MTU ist ja ein internationaler Konzern. Gibt es viele europäische Vorgaben, zusätzlich zu unseren heimischen?

Schwing: Durchaus. Aus den Diskussionen zum nationalen Aktionsplan Menschenrechte haben wir etwa den Impuls aufgegriffen, ein webbasiertes anonymes Meldesystem für mögliche Compliance-Verstöße zu installieren. Mit der EU-Taxonomie wird gerade eine europäische Regelung für nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten eingeführt, die die Transparenz bei ESG-Themen weiter stärken soll.

Und Sie haben seit Kurzem einen Diversity-Beauftragten …

Schwing: Durch das Allgemeine Gleich­be­hand­lungsgesetz (AGG) hatten wir in Deutsch­land bereits eine etablierte Möglichkeit, jeder Art von Ungleichbehandlung oder Diskriminierung nachzugehen. Durch den Diversity-Beauftragten existiert jetzt auch eine Stelle, an die sich unsere internationalen Kolleginnen und Kollegen oder auch externe Stakeholder mit ihren Anliegen wenden können.

Frau Schwing, Herr Zanger, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und die interessanten Einblicke!

Das Interview führten Michael Fuchs und Falko Bozicevic.


ZU DEN INTERVIEWPARTNERN

Ute Schwing ist Senior-Managerin Corporate Responsibility der MTU Aero Engines AG, München. Sie koordiniert das internationale, interdisziplinäre Nachhaltigkeitsteam des Unternehmens.

 

 

Eckhard Zanger ist Leiter Unternehmens­kommunikation und Public Affairs. In dieser Rolle ist er Mitglied des CR-Boards und verantwortet die Nachhaltigkeitskommunikation des DAX-Unternehmens.

 

 

„ONLINE FIRST“

MTU Aero Engines setzte mit ihrem Nachhaltigkeitsbericht sehr früh auf den Reportingansatz „online first“ und wählte für die effiziente Realisierung die Lösung ns.wow des Schweizer Marktführers mms solutions. In den vergangenen Jahren wurde der digitale Nachhaltigkeitsbericht in Zu­sam­men­arbeit mit dem Certified Partner SPARKS CONSULTING kontinuierlich weiterent­wickelt. Mit dem Online Sustainability Report und dem Verzicht auf gedruckte Exemplare wird MTU Aero Engines nicht nur dem Nachhaltigkeitsanspruch gerecht, sondern erschließt sich darüber hinaus das Potenzial der Mehrfachnutzung ihrer wertvollen Inhalte über verschiedene digitale Kanäle.

sustainability.mtu.de / mmssolutions.io / sparks.de