Die Realität, in der wir uns nun wiederfinden, hat nichts mehr von dem Glanz vergangener Tage. Manch ein Glücksritter, der mit hohen Summen und noch höheren Krediten das letzte aus seinem Depot herausholen wollte, steht vor einem Scherbenhaufen. Innerhalb kürzester Zeit wurde der deutsche Aktienmarkt in schwindelerregende Höhen katapultiert.

Und jetzt? „Game over“ und „insert new coin“? Das vielbeschworene Pflänzchen Aktienkultur in Deutschland einfach weggefegt? Fast scheint es so, denn diejenigen, die sich an das unheimliche Ding „Aktie“ gewagt hatten, haben verloren. Was ihnen bleibt, ist der Spott der Bausparer-Fraktion. Die haben es freilich schon immer gewußt, daß das nichts ist mit den Aktien, weil ja eh irgendwann alles zusammenbricht.

So düster es momentan auch aussieht, das Ende der Anlageform Aktie ist nicht gekommen. Im Gegenteil. Obwohl es an der Börse bergab ging wie lange nicht mehr, erfreut sich das Aktiensparen in Deutschland einer immer größeren Beliebtheit. Laut einer Kurzstudie des Deutschen Aktieninstituts waren im ersten Halbjahr 2000 durchschnittlich 6,2 Mio. Personen in Deutschland mehr oder weniger stolze Besitzer von Aktien, was einer Steigerung von rund 56 % gegenüber 1992 entspricht. Anteile an Aktienfonds eingerechnet, waren es sogar 11,3 Mio. Einwohner oder fast 18 % der Gesamtbevölkerung.

Zwar ist die Aktie als Anlageform in der Gunst der Deutschen ordentlich gestiegen, aber auf Platz 1 thronen immer noch die Versicherungen, gefolgt vom guten alten Sparbuch. Von den rund 7 Bio. DM, die sich Ende 1999 in privater Hand befanden, waren immerhin 12,7 % oder 896 Mrd. DM in Aktien investiert. Doch jeden Tag nach seinem Depot zu sehen und in einer volatilen Phase trotzdem über Nacht 50 % zu verlieren, scheint vielen zu aufwendig und riskant. So nahm die indirekte Form des Aktienbesitzes über Fonds noch weit stärker zu als der direkte Aktienbesitz. Von 1997 bis Ende Juni 2000 stieg die Zahl der Aktienfonds-Sparer um 246 % auf knapp 8 Mio.

Wer glaubt, daß die Börse als Reinform des Kapitalismus ausschließlich eine Sache der Westdeutschen ist, muß sich eines Besseren belehren lassen. Von 1997 bis zum ersten Halbjahr 2000 stieg in Ostdeutschland die Zahl der Aktienfonds-Besitzer von 1,8 Mio. auf 6,5 Mio., was einem Anteil von 13 % aller Ostdeutschen und einer satten Steigerung um 181 % entspricht.

Grund für diesen Boom ist sicherlich insbesondere die Privatisierung von Telekom, Post & Co., die durch umfangreiche Marketing-Kampagnen breite Bevölkerungsschichten für die neue Anlageform gewinnen konnten. Nicht zu vergessen die Diskussion um die Dringlichkeit einer privaten Ergänzung der Altersvorsorge. Die überdurchschnittlichen Renditen am Neuen Markt, die zumindest bis Anfang des Jahres noch möglich waren, dürften ebenfalls ihren Teil beigetragen haben. Und auch wenn es momentan noch wenig danach aussieht, sollten diese Gründe letztlich doch für eine steigende Nachfrage nach Aktien sorgen.

Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.