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In den ersten vier Wochen des neuen Jahres mussten in der Spitze schmerzhafte Kursrückgänge hingenommen werden: im DAX -4,3% und im TecDAX sogar -14,5%1. Bieten diese starken Kursverwerfungen nicht die Chance, eigene Aktien an der Börse „billig“ zurückzukaufen?

Neuer Rekord in 2021

Aktienrückkaufprogramme sind vor allem bei US-gelisteten Unternehmen sehr populär. So beträgt das Rückkaufvolumen der Unternehmen innerhalb des S&P 500 im letzten Jahr rund 850 Mrd. USD² – das stellt einen ­neuen Rekord dar. Im Jahr 2020 betrug das Volumen noch etwa 520 Mrd. USD. Die Rückkäufer sind insbesondere ­Techunternehmen mit einem Anteil von rund 46%, die dieses Instrument aktiv einsetzen. Apple (92 Mrd. USD), Alphabet (31 Mrd. USD) oder Microsoft (25 Mrd. USD) sind hier die großen Spieler. Erst an zweiter Stelle stehen Banken und ­Versicherer mit rund 21%.

Im Schnitt kapitalisierten die S&P-500-Unternehmen letztes Jahr bei rund 37 Bio. USD, d.h., etwa 2,3% des Börsenwerts wurden zurückgekauft. DAX- und MDAX-Unternehmen kauften 2021 ein Volumen von ca. 20 Mrd. EUR zurück, was ebenfalls einen Rekord darstellt. In den Jahren zuvor schwankte das ­Volumen zwischen 5,5 Mrd. (2020) und 9,5 Mrd. EUR (2018) auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Gemessen an einer mittleren Marktkapitalisierung für die DAX-/MDAX-Unternehmen von rund 1,7 Bio. EUR anno 2021 beträgt der Aktienrückkaufanteil ca. 1,2% am Börsenwert und erreicht damit in etwa nur die Hälfte die der US-Unternehmen.

Diesen und weitere Artikel zu den Themen Börse, Finanzierung und Wachstum finden Sie in der neuen Ausgabe des GoingPublic Magazins 01-2022.

Zweck des Rückkaufprogrammes

Was wird mit einem Aktienrückkauf­programm bezweckt? Zum einen kann der Rückkauf ein Substitut zur Bar­dividende sein, d.h., diese wird durch den „technischen“ Kursanstieg als Folge des Aktienrückkaufs ersetzt. Durch die Reduzierung der außenstehenden Anteile erhöht sich rechnerisch der zu verteilende Gewinn pro Aktie für die Aktio­näre, sodass beim gleichbleibenden Kurs-Gewinn-Verhältnis rechnerisch der Aktienkurs steigt.

Tatsächlich ist TeamViewer dafür ein ­aktuelles Beispiel: Nach Ankündigung ­eines 10%igen Aktienrückkaufprogramms stiegt der Kurs um 15%! In einer Studie von Pickel/Röder konnte neben dem technischen Kursanstieg sogar eine langfristige Überrendite beobachtet werden3. Dieser Wertanstieg entspricht einer „indirekten“ Dividende, die im ­Gegensatz zur Barausschüttung erst dann zu einer Besteuerung auf Ebene der Eigner führt, wenn er den Kurs­anstieg durch Veräußerung realisiert. Diese nachgelagerte Besteuerung kann für den Aktionär von Vorteil sein.

Zum anderen lässt sich mit dem Rückkauf ein Dividendenabschlag auf den ­Aktienkurs vermeiden, der mit einer Bardividende einhergeht. Damit können Aktienrückkäufe zumindest technisch einem Kursverfall entgegenwirken. Ein wichtiges Motiv ist das sogenannte ­Signaling, d.h., das Management sendet mit dem beabsichtigten Rückkauf ein ­Signal in den Markt, dass Vorstand und Aufsichtsrat von einer Unterbewertung ausgehen und mit dem Rückkauf auf eine überproportionale Wertsteigerung setzen. Dieser „Signaleffekt“ ist situationsbezogen ein wichtiges Argument in ­einem schwierigen Kapitalmarktumfeld mit starken Kursverwerfungen. Ein ­anderes Motiv ist die Bereithaltung von fungiblen Aktien für die Bedienung eines Beteiligungsprogramms für Mitarbeiter (ESOP). Die Verwendung eigener Aktien macht die technische Umsetzung von Aktienoptionsprogrammen oder die ­immer beliebter werdenden „Restricted Share Units“ um einiges einfacher, da der komplexe Kapitalerhöhungsprozess umgangen werden kann. Schließlich ist das Instrument für den Erwerb eigener Aktien als Akquisitionswährung bei künftigen M&A-Transaktionen sinnvoll.

Vorschriften zu beachten

Bei der Durchführung eines Aktienrückkaufs über die Börse sind vom Gesetz­geber einige Vorschriften zu beachten. So bedarf es grundsätzlich eines ­Ermächtigungsbeschlusses der Hauptversammlung, der maximal fünf Jahre gilt und im Umfang auf 10% des ­Grund­kapitals beschränkt ist. Zudem schreiben EU-Verordnungen u.a. vor, dass ­Eckpunkte des Rückkaufprogramms ­(geplantes Volumen in Euro und Aktienanzahl, Periode, Zweck sowie ­Börsenplatz) vor dem Start zu veröffentlichen sind. Nach Ausführung des ­jeweiligen Geschäfts muss innerhalb von sieben Handelstagen darüber ­berichtet werden.

Aktienrückkaufprogramme haben für bestimmte Zwecke ihren Charme. Als „Kurspflegeinstrument“ in schwierigen Börsenphasen können Rückkäufe sinnvoll sein. Als Bardividendensubstitut hat sich der Aktienrückkauf unter den US-Unternehmen etabliert. So beträgt der Aktienrückkaufanteil am gesamten Ausschüttungs- und Rückkaufvolumen innerhalb des S&P 500 seit 2018 fast 60%. In Europa spielt die Bardividende weiter eine große Rolle: Im DAX/MDAX liegt dieser Wert bei knapp 20%.

1) Gemessen an den Schlusskursen vom 31.12.2021 mit den niedrigsten Schlusskursen im Januar 2022
2) Folgende Quellen für die hier genannten Statistiken wurden verwendet: S&P-Dow-Jones-Presseveröffentlichungen sowie Statista
3) Untersucht für DAX-, MDAX- und SDAX-Unternehmen in Corporate Finance 2015 (Nr. 11), S. 421–427; Ad-hoc-Mitteilung vom 02.02.2021

https://www.blaettchen-fa.de/

Autor/Autorin

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen ist geschäftsführender Gesellschafter der BLÄTTCHEN FINANCIAL ADVISORY GmbH und seit drei Jahrzehnten als unabhängiger Berater für Kapitalmarktstrategien aktiv. In dieser Zeit konnte er über 100 Pre-IPOs, IPOs und Follow-on-Mandate begleiten. Er ist aktives Mitglied in Aufsichts- und Beiräten sowie Ansprechpartner der Börsen.

Uwe Nespethal

Uwe Nespethal ist ebenfalls geschäftsführender Gesellschafter der BLÄTTCHEN FINANCIAL ADVISORY GmbH und seit über 20 Jahren als unabhängiger Berater in Kapitalmarktstrategien sowie in der Auflegung von kapitalmarktorientierten Incentivierungsprogrammen für Führungskräfte und Mitarbeiter tätig.