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Schriftzug 25-Jahre GoingPublic Magazin
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Pfeiffer Vacuum ist gut aus der Pandemie gekommen, die Energiewende schafft in vielen Branchen zusätzlichen Bedarf für die Vakuumpumpen des hessischen SDAX-Unternehmens. Ein Gespräch über Rekordumsätze, wichtige Forschungsprojekte für den Klimaschutz und den Sinn und Unsinn von ESG-Reportings.

Going Public: Sehr geehrte Frau Dr. Giesen, für die ersten neun Monate des Geschäftsjahres meldete Ihr Unternehmen Rekordumsätze, Höchststände beim Auftragseingang und ein Betriebsergebnis, welches mit 94 Mio. EUR deutlich höher als sein Pendant im Vergleichszeitraum 2021 liegt. Jetzt soll eine Rezession auf uns zukommen. Inwiefern wird sich das überhaupt auch die Geschäftsaussichten für Vakuumpumpen auswirken?

Dr. Giesen: Wenn man die Zeitung aufschlägt, gibt es tatsächlich unterschiedliche Stimmen. Wo wir von einer möglichen Rezession sicherlich betroffen sein werden, ist der Halbleitersektor. Wir sind mit 50% unseres Geschäfts im Halbleiterbereich tätig; hier müssen wir flexibel sein und sind auch vorbereitet, dass es nicht auf so hohem Niveau weitergehen wird wie bisher. Grundsätzlich erwarten wir aber, dass der nächste Halbleiterzyklus nicht so ausgeprägt ausfallen wird und unsere Kunden weiter investieren werden.

Going Public: Was bedeutet das konkret?

Dr. Britta Giesen ist seit Oktober 2020 Mitglied des Vorstands und seit Januar 2021 Vorstandsvorsitzende der Pfeiffer Vacuum Technology AG. Die Diplom-Wirtschaftsingenieurin (Maschinenbau) war zuvor in leitenden Funktionen u.a. bei ISS Facility Services, ERIKS, thyssenkrupp Access Solutions und KSB tätig. Quelle: Pfeiffer Vacuum

Dr. Giesen: Wir hatten per Ende September über 500 Mio. EUR im Auftragsbestand. Das sind Aufträge, die uns über ein halbes Jahr hinaus auslasten, statt der sonst üblichen Voraussicht von zwei bis drei Monaten. Unabhängig davon, ob dieser Trend weiter anhält, können wir hier erst einmal relativ gelassen sein, auch wenn eine Rezession kommt. Momentan haben wir sehr lange Lieferzeiten. Wir wären daher froh, wenn wir den Auftragsbestand schneller abarbeiten und unseren Kunden kürzere Lieferzeiten anbieten könnten.

Über einen längeren Zeitraum betrachtet sind wir sehr zufrieden: Wir haben die coronabedingte Entschleunigung der Nachfrage gut überstanden und seither Auftragseingänge und Umsätze sehr robust gesteigert. 2021 war unser Problem, dass wir keine Kapazität mehr hatten, um noch mehr Aufträge abzuarbeiten. Gleichzeitig haben wir die Kapazitäten massiv erweitert. Dieses Jahr waren eher die Lieferketten der Engpass; vor allem im Halbleiterbereich waren die Nachfrage und der Zyklus genau so zu erwarten und demgemäß auch die damit verbundene Knappheit von Bauteilen.

GoingPublic: Welche Unsicherheiten sehen Sie insgesamt – und insbesondere im Halbleiterbereich?

Dr. Giesen: Ein Effekt, den wir nicht genau abschätzen können, sind die Sanktionen der USA gegen China. US-Präsident Biden hatte ja im Oktober bestimmt, dass US-Firmen die Entwicklung und Produktion von hoch entwickelten Halbleitern in chinesischen Werken nicht mehr unterstützen dürfen …

GoingPublic: … Damit will die US-Regierung verhindern, dass sie die Technologieführerschaft in dem Bereich an China verliert? …

Dr. Giesen: … Konkret wollen die USA nicht, dass China die wichtigen Steuerungschips für militärische Anwendungen herstellt. Exportbeschränkungen für Produkte mit US-amerikanischem Produktionsanteil gab es ja schon länger. Mit den neuen Verschärfungen wird ein Teil des Marktes noch stärker eingeschränkt als bisher.

Going Public: Wie hat sich die Gemengelage bisher konkret auf die Fertigung und die Zahlen von Pfeiffer Vaccum ausgewirkt?

Dr. Giesen: Wie andere Industrieunternehmen haben uns verzögerte Lieferungen von Elektronikkomponenten für die Steuerung unserer Pumpen betroffen. Dadurch gab es Engpässe, die sich auch auf unsere Lieferzeiten auswirkten. Trotz der gestörten Lieferketten sind wir in den abgelaufenen Quartalen des Jahres 2022 gewachsen und haben Rekordumsätze erwirtschaftet.

Quelle: stock3 AG

GoingPublic: Hier geht es um Hochvakuumpumpen.

Dr. Giesen: Ja, aber eben nicht nur. Doch sind die Anwendungsgebiete stark wachsend, denn mit Hochvakuumpumpen schaffen wir Reaktionsräume, die luftleer sind. Anwendungsgebiete sind hier beispielsweise Massenspektrometer, Lithografie, Elektronenmikroskopie, Nanotechnologie oder erneuerbare Energien. Das ITER-Projekt z.B., das haben wir mit unseren Pumpen komplett ausgerüstet – der internationale Fusionsreaktor, der in dieser Größe und Komplexität vorher noch nie gebaut wurde, geht 2030 in Betrieb. Dieses internationale Großforschungsprojekt ist ein maßgeblicher Schritt in Richtung zukünftiger Fusionskraftwerke zur Gewinnung von sauberem und nachhaltigem Strom.

GoingPublic: Ziel dieses Projekts ist es – wenn ich das richtig verstanden habe –, zu zeigen, dass durch die Verschmelzung von Wasserstoffatomen unter Einsatz von 50 MW elektrische Energie in Höhe von 500 MW gewonnen werden kann. Eine Verzehnfachung also!

Dr. Giesen: Und damit ein sehr wichtiger Schritt zur Sicherung einer zukünftig klimaneutralen Energieversorgung. Gleichzeitig treiben wir die Steigerung der Energieeffizienz in Produktionsprozessen. Wir müssen nachhaltiger werden in praktisch allen Herstellungsprozessen, um die Klimaziele zu erreichen. Wir streben an, unsere Scope-1- und Scope-2-Emissionen deutlich zu reduzieren, um bis zum Jahr 2030 die Pfeiffer Vacuum Technology AG einschließlich aller Standorte weltweit zu einem vollständig CO2-neutralen Unternehmen entwickelt zu haben.

GoingPublic: Halbleiter und Fusionsreaktoren – jetzt sind wir gleich mit zwei harten Themen ins Gespräch eingestiegen. Pfeiffer Vacuum profitiert mit seinen Technologien von den Umwälzungen in vielen Branchen, die auch in Deutschland große Bedeutung haben, etwa der Autoindustrie. Wie sind hier die Geschäftsaussichten?

Dr. Giesen: In der Tat liefern wir unsere Vakuumlösungen inkl. Beratung und Service weltweit in viele Branchen. Speziell die Automobilindustrie war immer schon ein relativ wichtiger Bereich für uns. Vor allem für die Metallverarbeitung und -beschichtung sowie für die Leckprüfung von Dichtungen der Autohersteller sind wir ein wichtiger Partner, ebenso für die Halbleiterproduzenten, die für ihre Herstellungsprozesse ein Vakuum benötigen. Hinzu kommt die Batterieproduktion; hier gibt es noch weitaus mehr Anwendungsfelder in der Dichtheitsprüfung als in der traditionellen Autoindustrie. Insgesamt nimmt auch die Nachfrage nach der Beschichtung von Bauteilen zu, die hohe Kräfte aushalten müssen und dazu gehärtet werden. Glasbeschichtung ist ebenso ein großes Thema, bei denen unsere Technologien gefragt sind. Generell gilt: Je mehr Schutz ein Material bieten soll, desto eher und besser muss man es beschichten. Bei den Produktionsprozessen dazu kommen wir ins Spiel.

GoingPublic: Ein wahrlich weites Feld. Wir haben vorhin Lieferengpässe speziell bei Elektronik thematisiert. Von welchen anderen Rohstoffen und Vorprodukten ist Pfeiffer Vacuum stark abhängig?

Dr. Giesen: Oh, wir benötigen einiges. Insofern sind wir von vielen Lieferungen abhängig, beispielsweise Aluminium und Edelstahl, Antrieben, aber auch Schmiermittel und Helium – am Ende geht die Pumpe nicht zur Tür hinaus bei uns, ganz gleich, welches Vorprodukt fehlt. Zunächst war es in der Pandemie die Elektronik, die kaum noch zu bekommen war, dann war zwischendrin und nach Kriegsausbruch plötzlich alles schwierig, dann wieder eher die Elektronik. Im Moment stehen wir aber ganz gut da, weil unsere Beschaffungsteams einfach großartige Arbeit geleistet haben und auch agil und kreativ waren.

Montage von Turbopumpen. Quelle: Pfeiffer Vacuum

GoingPublic: Aha, inwiefern?

Dr. Giesen: Als z.B. unser Heliumlieferant nicht mehr liefern konnte, hat unsere Einkaufsmannschaft zum einen schnell einen neuen Lieferanten ausfindig gemacht. Zum anderen hat sie zwischenzeitlich in Baumärkten das Ballongas aufgekauft – und damit vermutlich leider kurzfristig einigen Kindern den Geburtstag verdorben. Aber das ist erst einmal vorbei. Jetzt geht es wie erwähnt darum, den Auftragseingang gut und zügig abzuarbeiten.

GoingPublic: Ihre vielfältige und positive Geschäftsentwicklung gefällt auch Ihrem Mehrheitseigner, der familiengeführten Busch-Gruppe mit Sitz im schwäbischen Maulburg. Die Busch-Tochter Pangea GmbH hat im November angekündigt, mit Ihnen einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abschließen zu wollen. Waren Sie überrascht?

Dr. Giesen: Seit einiger Zeit haben wir die Zusammenarbeit mit der Busch-Gruppe intensiviert, aber Busch ist ein strategischer Investor – insofern ist der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ein nächster Schritt.

GoingPublic: Als Grund für den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nennt Pangea die Vereinfachung in den Entscheidungsabläufen. Das klingt auch ein bisschen nach Kritik an der Unternehmensführung. Wie reagieren Sie?

Dr. Giesen: Ich habe das nicht als Kritik empfunden, sondern mehr als den Wunsch, die Zusammenarbeit zu intensivieren. Ich sehe das eher als einen Schritt hin zu einer gemeinsamen Unternehmensgruppe. Aber auch in einer solchen Situation sieht das deutsche Aktienrecht einen umfassenden Schutz der Minderheitsaktionäre vor, die am Ende entscheiden können, ob sie ihre Aktien der Pangea GmbH anbieten oder eine dauerhaft gesicherte Dividende vorziehen. Bitte haben Sie aber Verständnis, dass es sich um ein laufendes Verfahren handelt und ich insoweit keine spezifischen Angaben machen kann.

GoingPublic: Rechnen Sie mit einem Squeeze-out der Minderheitsaktionäre von Pfeiffer Vaccum?Dr. Giesen: Das ist keine Frage, die mich derzeit beschäftigt. Ein Squeeze-out-Verlangen ist an einen bestimmten Aktienbesitz gekoppelt. Von den gesetzlich vorgegebenen Schwellen ist Busch meines Wissens derzeit noch ein großes Stück entfernt.

GoingPublic: Schauen Sie in Ihrer täglichen Arbeit eigentlich auf den Aktienkurs des eigenen Unternehmens?

Dr. Giesen: Durchaus, aber nicht täglich. Für mich ist der Aktienkurs nicht der entscheidende Maßstab meiner Arbeit, sondern die Qualität der Produkte, die Auftragslage und natürlich die Umsatz- und Ertragszahlen.

GoingPublic: Ist es nicht schwierig, die eigenen Mitarbeiter weiter für die Ertrags- und Umsatzziele des eigenen Unternehmens zu motivieren, wenn der Gewinn dann bald nach Baden-Württemberg überwiesen werden soll?

Dr. Giesen: Wie jeder Aktionär war die Busch-Gruppe über die Tochtergesellschaft Pangea bisher über die Dividende an dem Bilanzgewinn von Pfeiffer Vacuum beteiligt. Im Übrigen kann ich Ihnen versichern, dass wir auch weiterhin unsere Mitarbeiter an allen Standorten wertschätzend behandeln und gut motivieren können, um unsere gemeinsamen strategischen Ziele zu erreichen.

GoingPublic: Also überwiegen doch die Vorteile in einem noch engeren Firmenverbund?

Dr. Giesen: Wir sind in intensiven Gesprächen mit unserem Hauptaktionär und sehen das Potenzial für viele Vorteile. Unser größter internationaler Wettbewerber, Atlas Copco aus Schweden, liegt mit Blick auf den Umsatz noch sehr weit entfernt. Gemeinsam mit der Busch-Gruppe sind wir momentan etwa halb so groß.

GoingPublic: Erlauben Sie mir zum Ende des Interviews, den Bogen noch einmal zu einem aktuellen Thema zu spannen – zu der besorgniserregenden Energiesituation in Deutschland und Europa. Haben Sie Ihre Produktion auf mögliche Blackouts vorbereitet?

Dr. Giesen: Wir haben natürlich solche Szenarien durchgespielt. Unser Werk in Aßlar etwa wird momentan noch auf Gas beheizt, 20 °C benötigen wir in der Produktion. Inzwischen haben wir aber auch schon Ölheizungen installiert, um das Gas notfalls ersetzen zu können. Wir haben sichergestellt, dass alle mit Gas versorgten Werke alternativ versorgt werden. Dafür haben wir mehrere Hunderttausend Euro investiert, und zwar rechtzeitig im April, als die Bedrohung deutlich wurde. Unsere alternativen Ölheizungen sind längst installiert und einsatzfähig.

Das heißt übrigens nicht, dass wir nicht auch von fossilen Energien unabhängiger werden wollen. Pfeiffer Vacuum hat selbst auch langfristige Ziele im Bereich des Klimaschutzes, wie schon erwähnt. Zudem sind wir Gründungsmitglied des Semiconductor Climate Consortium, das sich den klimatischen Herausforderungen innerhalb der Wertschöpfungskette der Halbleiterindustrie stellen will. Wir wissen um unsere Verantwortung.

GoingPublic: Die Unternehmensleitungen in praktisch allen Firmen hatten in den vergangenen drei Jahren zunehmend mit Krisenmanagement zu tun. Für Themen wie die nun bald verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung fehlte daher oft die Zeit. Wie sehen Sie das – werden hier vielleicht auch von staatlicher Seite momentan die falschen Prioritäten gesetzt?

Dr. Giesen: Ja, das kann sein. Mit dem Nachhaltigkeitsreporting an sich ist ja gar nichts gewonnen; im Gegenteil: Damit zieht die Politik in manchen Unternehmen die Kapazitäten ab vom Tun, und das ist deutlich wichtiger. Man kann ja auch nichts tun und viel berichten. Für mich ist das Sustainability-Reporting ein Bürokratiemonster, das einen nicht davon abhalten sollte, mehr auf der operativen Seite zu tun, um zum Klimaschutz beizutragen.

GoingPublic: Harte Worte. Was schlagen Sie alternativ vor?

Dr. Giesen: Wie gesagt: Zwang zum Tun, nicht zum Berichten. Und insgesamt müssen alle Akteure, also wir Unternehmen, Politik und Verbraucher, über unseren Schatten springen – denn der Klimaschutz ist ein Thema, das wir global lösen müssen, um die vorhandenen Energien auszunutzen und umzuwandeln. Dafür muss man auch Geld in die weitere Forschung dazu investieren, wie eben zur oben genannten Wasserstofffusion. Auch im Bereich der nuklearen Mikroreaktoren besteht noch Nachholbedarf. Das alles findet zwar international längst statt, aber bisher leider ohne Deutschland.

Ich möchte betonen, dass hier viele Unternehmen schon weit über ihren Schatten gesprungen sind. Die Politik, habe ich das Gefühl, redet noch, aber allein mit Solar und Wind können wir diese Industrienation nicht am Laufen halten. Wir müssen auch auf andere Technologien setzen, wie eben die Atomenergie oder die Wasserstofffusion.
Den Erfolg des Unternehmens mit dem Klimaschutz zu kombinieren, ist jedenfalls das Thema, das mich täglich antreibt.

GoingPublic: Frau Dr. Giesen, herzlichen Dank für die interessanten Einblicke in eine spannende Branche und Ihre offenen Worte zur Energieversorgung.

Fakten & Zahlen – Pfeiffer Vacuum Technology AG*
Gründung: 1890
Branche: Vakuumpumpenhersteller, Maschinenbau
Unternehmenssitz: Aßlar, Hessen
Umsatz 2021: 771 Mio. EUR
Gewinn (EBIT) 2021: 93,1 Mio. EUR
Mitarbeiter: > 3.700
Börsenstart: 16. Juli 1996
Segment: Prime Standard, SDAX
Market Cap: 1,7 Mrd. EUR (Stand: 13.12.22)
Anteilseigner: Pangea GmbH (63,66%)
www.pfeiffer-vacuum.com/de/
*Quelle: Unternehmensangaben, Finanzen.net

Das Interview führte Simone Boehringer.

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.