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Die Nachhaltigkeitsverantwortlichen (ESG) von Unternehmen haben es heutzutage nicht leicht. Nicht nur soll das Unternehmen ein guter Arbeitgeber sein und für die Aktionäre profitabel wirtschaften, sondern nun soll es auch noch einen Beitrag zum Wandel hin zur nachhaltigen Wirtschaft leisten. Ein Einblick in die Sichtweise der Investorenseite.

Die überwiegende Mehrheit der Aktien­fonds, die eine nachhaltige Ausrichtung anstreben, zieht für den Anlageprozess meist ein ESG-Research von externen Ratingagenturen heran. Das heißt, auch kleine Unternehmen werden nicht umhinkommen, personelle Kapazitäten in diesem Bereich aufzubauen und ­entsprechende Ratings anfertigen zu lassen. Eines zeichnet sich nämlich in dem jungen Markt schon ab: Damit ein Unternehmen als nachhaltiges Investment wahr­genommen wird, muss der Beitrag dazu für externe ­Ratingagenturen nachvollziehbar und auch messbar sein, und es sollte am ­Kapitalmarkt auch noch offensiv mittels ­eines perfekten ESG-/SRI-Berichts beworben werden. Denn wenn die Ratingagenturen nicht zufrieden sind mit den Antworten auf ihre oft umfangreichen und komplexen Fragenlisten, dann gibt es ein schlechtes ­Rating, was zu Frust im Unternehmen und bei den Aktionären führt.

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Wie Ratingagenturen vorgehen

Folgender Problematiken auf diesem sich noch wandelnden Ratingmarkt sollten sich Unternehmen, die eine ESG-Bewertung anstreben, bewusst sein:

1. Die Ratingagenturen bewerten natürlich zuerst die weltweit größten Firmen. Dies ist insofern problematisch, als häufig die kleinen, innovativen Firmen, welche als Pure Plays den grünen Wandel vorantreiben, überhaupt kein Rating entfalten.

2. Wenn die Firmen dann doch ein Rating bekommen, ist es unserer Ansicht nach häufig mangelhaft; so wird bisweilen ein eigentlicher Umweltsünder besser beurteilt als ein wirklich nachhaltiges Unternehmen. Grund dafür ist, dass die Unternehmen z.B. den Erfassungsbogen der Ratingagenturen nicht vollständig ausgefüllt haben oder die personellen Kapazitäten nicht vorhalten können, um alle Anforderungen zu erfüllen, oder aber schlicht, dass die Ratingagenturen unserer Ansicht nach falsche Schwerpunkte legen oder einfach keinen guten Job ­machen.

3. ESG besteht nicht nur aus Umwelt, sondern auch aus sozialen Kriterien und ­guter Unternehmensführung. Während eine Verletzung in den letztgenannten Bereichen (z.B. Korruption oder Menschenrechtsverletzungen) immer zu einem ­negativen Rating führen muss, so denken wir doch, dass in der aktuellen Situation des Klimanotstands mehr Gewicht auf den Umweltaspekt gelegt werden sollte. Dies bedeutet insbesondere, dass ein Unternehmen, welches im operativen Geschäft umweltzerstörerisch wirtschaftet, eben nicht durch besondere Anstrengungen mittels publikumswirksamer Hilfsprojekte und einen dicken Hochglanz-ESG-Bericht so viele Punkte erzielt, dass es damit Umweltsauereien ausgleichen und sich sozusagen auf diesem Wege grün waschen kann.

Akzeptanz der Anbieter prüfen

Es gibt inzwischen nicht nur zahlreiche ­Ratingagenturen mit verschiedenen Anforderungen und Vorgehensweisen, sondern auch verschiedene ESG-Standards. Bei den institutionellen Investoren wurden in den vergangenen Monaten sukzessive erste softwarebasierte ESG-Datensysteme eingeführt, die häufig aber als Datenquelle nur einen Anbieter haben. Deshalb könnte es sinnvoll sein, vor einem Rating mit den größten (potenziellen) Investoren das ­Gespräch zu suchen, um deren Akzeptanz eines Ratings vorab zu klären.

Ökologischer Fuß- und Handabdruck einer Windenergieanlage. Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken. Quelle: WIWIN

Auch aus einer anderen Perspektive sollte man sich gründlich überlegen, welchem ESG-Ratinganbieter man sich anvertrauen möchte, denn die größten Anbieter mit den bekannten Namen sind zwar weithin akzeptiert – jedoch ist unserer Meinung nach die Qualität bei den kleinen spezialisierten Häusern oft höher.

Nachhaltigkeit umsetzen

Grundsätzlich sollte das Ziel aber nicht nur ein gutes ESG-Rating sein, sondern das tatsächliche nachhaltige Wirtschaften im Unternehmen. Und gerade wenn beim ­Ratingprozess Verbesserungspotenziale aufgedeckt werden, dann sollten diese auch umgesetzt werden. Hierzu ist es wichtig, dass das Thema ESG auf Vorstandsebene verantwortet wird. Dabei ist Folgendes zu beachten:

  • Nicht nur das Handeln im eigenen Unternehmen ist ausschlaggebend, sondern es ist wichtig, die komplette ­Lieferkette zu betrachten. Dafür gibt es zwar Audits von entsprechenden Spezialisten vor Ort; trotzdem sollten Manager, die im Ausland mit Zulieferern verhandeln, nicht den Weg in die Fabriken scheuen, um sich ein eigenes Bild von den Gegebenheiten zu machen. Nachhaltigkeit ist Chefsache!
  • Ist die eigene Produktion oder die des Zulieferers von Rohstoffen abhängig, die unter schlechten Arbeits- und Umweltbedingungen oder gar in Krisengebieten abgebaut werden, so muss hier ein Maßnahmenpaket erarbeitet werden, um die Einhaltung von Mindeststandards zu gewährleisten. Menschenrechtsverletzungen, Korruption und schwere Umweltverstöße sind für kein noch so nachhaltiges Produkt und keinen noch so nachhaltigen Service zu rechtfertigen.
  • Hat die Firma kleine Randbereiche, die gegen die gängigen Ausschlusskriterien verstoßen und nicht strategisch wichtig sind, kann eine Trennung von diesen ­Bereichen eine sinnvolle Option sein.
  • Längerfristig wird nicht nur die Herstellung von Gütern oder Services und deren negative oder positive Auswirkung beurteilt werden, sondern auch, welche Folgen die Produkte und Dienstleistungen während ihrer Nutzungsdauer auf Menschen, Tiere und Umwelt haben.

Gerade der letzte Punkt hat es in sich, denn der sogenannte Fußabdruck misst nur die direkten negativen und positiven Einflüsse eines Unternehmen während seines Wirtschaftens insbesondere auf die Umwelt. Wie bereits erläutert, muss auch nach EU-Vorgaben die komplette Liefer­kette miteinbezogen werden, sonst ist die Betrachtung ohnehin ungenügend.

Auf den Lebenszyklus kommt es an

Doch wenn man diesen Fußabdruck als einziges Kriterium für die Nachhaltigkeit eines Unternehmens heranziehen würde, so wären die nachhaltigsten Unternehmen meist im Software- und Internetbereich zu finden. Ein Hersteller von Windturbinen oder Solarpanelen – den Komponenten also, die die Energiewende tatsächlich vorantreiben – würde mit alleinigem Fokus auf den Fußabdruck sehr schlecht dastehen, da die Produktion dieser Güter sehr material- und energieintensiv ist.

Wichtig ist es deshalb, den kompletten Lebenszyklus zu betrachten, also nicht nur Lieferkette und Produktion, sondern auch Nutzung und Betrieb der produzierten ­Güter über die komplette Nutzungsdauer sowie Abbau und Recycling derselben. Nur dann kann man sich ein ­tatsächliches Bild von der Nachhaltigkeit eines Unternehmens machen.

In der Abwägung dieser ganzen Faktoren tun sich die Ratingagenturen aktuell noch recht schwer, was leider teils zu unverständlichen Ratings in der direkten Gegenüberstellung von Unternehmen führt, die auch Experten nicht mehr nachvollziehen können.

Qualität der Ratings verbessern

Deshalb versucht WIWIN, Branchenkollegen von anderen Fonds davon zu überzeugen, dass es sinnvoll sein kann, eine eigene Ratingab­teilung für proprietäres ESG-­Research aufzubauen, während man gleichzeitig auf die Ratingagenturen Einfluss nehmen könnte, um die Qualität von Ratings zu verbessern. Gerade bei der Beur­teilung von kleineren Unternehmen könnte dies ein wichtiger Baustein sein – denn es geht ­weder für das Unternehmen noch für den Investor darum, Checklisten abzuarbeiten, sondern darum, einen Beitrag für nachvollziehbare, klare und sinnvolle Ratings und Einschätzungen zu leisten, um die Wende zu einem nachhaltigen Wirtschaften trans­parent voranzubringen.

www.wiwin.de

Autor/Autorin

Gunter Greiner

Gunter Greiner ist Head of Investments & Portfolio Management bei der Mainzer Investmentplattform WIWIN. Greiner hat mehr als 15 Jahre Erfahrung im Bereich Impact Investment. Seit Frühjahr 2021 ist er als Fondsberater für den grünen Aktienfonds WIWIN just green impact verantwortlich, der laut Zielsetzung ausschließlich in Unternehmen mit konsequenter ESG- und Impact-Strategie investiert.