Bildnachweis: natanaelginting – stock.adobe.com, © IVA.

Die meisten Wirtschaftsverbände begrüßen die virtuelle Form von Aktionärsversammlungen. Ob der aktuellen Gesetzesvorlage sind manche Unternehmenslenker jedoch skeptisch, ­Aktionärsvertreter wünschen sich parallel eine Reform der Präsenz-HV, andere die ­Einführung einer hybriden HV. Die Gesetzgebung zieht sich – ein Meinungsbild.

Eigentlich soll das Virtuelle Gesellschafterversammlungen-Gesetz (VirtGesG) am 14. Juli in Kraft treten. Doch kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe des HV Magazins im Juni wurde der seit Anfang Mai heiß diskutierte und inzwischen auch leicht geänderte Gesetzesentwurf als Regierungsvorlage an den Justizausschuss verwiesen. Experten halten nun noch weitere Anpassungen für möglich. Dann könnte sich die parlamentarische Debatte allerdings noch bis in den Herbst ziehen. Doch zunächst zur Praxis: 15 ordentliche Hauptversammlungen sind für diesen Juli in Österreich noch terminiert, zehn davon vor dem 14. Juli. Das Besondere dabei? Für ­diese Unternehmen gilt vorerst die alte ­Gesetzgebung vor der Corona­pandemie; sie tagen also in Präsenz – die Einberufung ­einer virtuellen HV für die vorliegenden Termine wäre nicht mehr möglich gewesen. Das Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Gesetz (COVID-19-GesG), welches eine befristete gesetzliche Grundlage für reine Online-HVs wegen der Kontakt­beschränkungen in der Pandemie ermöglichte, lief in Österreich zum 30. Juni aus – und die geplante Neuregelung ist noch nicht in Kraft. Ob der ursprünglich avisierte 14. Juli für das ein Inkrafttreten des neuen VirtGesG zu halten sein wird, war bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch unsicher.

2023 fast nur Präsenzversammlungen

Das Gros der Unternehmen bevorzugt(e) im Nachgang zur Pandemie ohnehin erst einmal wieder die Präsenzversammlung, schon um die Bindung an das Aktionariat post Corona zu stärken. Nicht einmal eine Handvoll Unternehmen, darunter die ATX-Konzerne BAWAG, CA Immobilien und IMMOFINANZ hatten in der zulässigen Frist bis 30. Juni rein virtuelle Hauptversammlungen durchgeführt. Insofern findet die Gesetzesdebatte zwar inmitten der laufenden HV-Saison, aber eben doch ein Stück weit im luftleeren Raum statt. Gleichwohl setzen sich viele Interessenverbände grundsätzlich dafür ein, dass der Gesetzesentwurf, ggf. mit einigen wenigen Detailänderungen, bald im Parlament verabschiedet werden kann.

Virtuelle HV als wichtiger Schritt zur Digitalisierung

Harald Hagenauer, CIRA

Harald Hagenauer, Vorstandsvorsitzender des Cercle Investor Relations Austria (CIRA) und Leiter Investor Relations, Konzernrevision & Compliance bei der Östereichischen Post, erklärt ­gegenüber dem HV Magazin: „Nach den ­guten Erfahrungen mit der Abwicklung von Hauptversammlungen im schwierigen Umfeld und vor dem Hintergrund weitreichender Veränderungen auch in Deutschland begrüßen wir als CIRA den vorliegenden Ge­setzesentwurf und erachten ihn als wichtigen und richtigen Schritt. Wir ­waren immer der Ansicht, dass auch zeitgemäße Formen einer Hauptversammlung möglich sein dürfen.“ Die angesehene ­Anwaltskanzlei CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH schreibt in ihrem HV-Blog: „Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das VirtGesG einen schon länger überfälligen Schritt in Richtung Digitalisierung im Gesellschaftsrecht darstellt. Es ermöglicht eine einfachere Form der aktiven Partizipation durch die Anleger. Zudem attraktiviert dieses Gesetz ein Stück weit inländische Gesellschaften für ausländische Inves­torInnen, für die zukünftig die aktive Teilnahme an Versammlungen, salopp gesagt, nur einen Klick entfernt ist.“ Managing Partner Dr. Clemens Hasenauer ist allerdings skeptisch, ob und wie ausgiebig die Emittenten die im Gesetzesentwurf vor­gesehen Möglichkeiten in der HV-Praxis ­tatsächlich nutzen werden: „Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass größere Emittenten in der Zukunft nurmehr rein virtuelle HVs abhalten werden. Zudem könnten Emittenten aber auch davon abgeschreckt sein, eine hybride HV (d.h. mit sowohl physischer als auch virtueller Präsenz) durchzuführen, da dies regelmäßig mit dem doppelten Aufwand, zusätzlichen Risiken und entsprechend höheren Kosten verbunden sein wird“, äußert er gegenüber dem HV Magazin. „Letztlich würden diese Überlegungen dann dazu führen, dass Emittenten das ­gewohnte Format der Präsenz-HV auch in Zukunft beibehalten werden.“ Auch CIRA-CEO Hagenauer rechnet weiterhin damit, dass „die überwiegende Zahl der Unternehmen eine klassische physische Hauptversammlung durchführen wird“.

Was das Gesetz vorsieht

Ähnlich wie auch in der deutschen Gesetzgebung sollen gemäß dem vorliegenden VirtGesG die Aktionäre per Satzungsbeschluss entscheiden, ob sie ihren Gesellschaften das Recht zur Durchführung ­einer virtuellen HV geben. Längstens gilt eine Ermächtigung für fünf Jahre, danach bedarf es eines erneuten Beschlusses. ­Alternativ können die Aktionäre auch ­beschließen, den Organen der Aktien­gesellschaft (Vorstand, Aufsichtsrat) in diesem Zeitraum die Entscheidung über die Art der Durchführung ihrer Hauptversammlungen zu überlassen. Auch eine ­hybride HV soll grundsätzlich möglich sein. Anders als in Deutschland zielt das VirtGesG auf eine breitere Grundgesamtheit an Gesellschaften (Kapitalgesellschaften, Genossenschaften) und auch Vereine allgemein, kleine Versicherungsvereine sowie Sparkassen ab. Für Privatstiftungen und Personengesellschaften ist das VirtGesG in der vorliegenden Entwurfsfassung allerdings nicht anwendbar. Letzteres überraschte Fachleute, denn Stiftung und Personengesellschaften ­waren vom COVID-19-­Gesetz noch erfasst gewesen.

Umstrittene Minderheitenschwelle

Zudem ist in dem Gesetzesentwurf vorgesehen, dass Minderheitsaktionäre in Öster­reich grundsätzlich das Recht bekommen, eine Präsenz-HV oder zumindest eine ­hybride HV zu verlangen. Zunächst war hierfür eine Schwelle von 10% vorgesehen, nach Kenntnisnahme

Florian Beckermann, IVA

der verschiedenen Stellungnahmen dazu wurde diese in der nun dem Justizausschuss zugeleiteten Regierungsvorlage auf 5% abgesenkt. Das heißt: Aktionäre, die gemeinsam mindestens 5% des Grundkapitals auf sich vereinen können, können einen Emittenten innerhalb einer bestimmten Frist dazu zwingen, beim nächsten Mal in Präsenz zu t­agen. Während der CIRA in seiner Stellungnahme schon die Schwelle von 10% ­als „unverhältnismäßig niedrig“ eingestuft und die Anhebung auf 20% des Grundkapitals verlangt hatte, hält der Interessenververband für Anleger (IVA) auch die 5%-­
Schwelle für „Makulatur“, so IVA-Präsident Florian Beckermann, da die schützenswerte Minderheit „das Quorum in der Marktrealität mit starken Kernaktionärsgruppen und ­einem international verteilen Streubesitz in den meisten Fällen nicht stemmen kann. Der IVA sei dafür, „die Gesellschaften gar nicht für rein virtuelle HVs zuzulassen, sondern nur die hybride HV als Alternative zur Präsenz-HV gesetzlich vorzusehen“, wie Beckermann auf Nachfrage des HV Magazins bekräftigt.

Börsenpräsident sieht vHV als Ausnahmefall

Prominente Unterstützung erhält der IVA vom Präsidenten der Wiener Börse und CEO der Wienerberger AG, Dr. Heimo Scheuch. Dieser hatte sich bereits kurz nach Erscheinen des Gesetzesentwurfs Anfang Mai in einem viel beachteten Aktionärsbrief explizit gegen dauerhaft mögliche virtuelle HVs ausgesprochen: „Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich als CEO der Wienerberger AG … virtuelle Hauptversammlungen als absoluten Ausnahmefall betrachte und daher grundsätzlich keine virtuelle Hauptversammlung mehr abhalten möchte. … Eine Übernahme der virtuellen Hauptversammlung ins Dauerrecht lehnen wir grundsätzlich ab. Ein authentischer und konstruktiver Austausch mit all unseren Aktionären muss ohne Zwang zur digitalen Teilnahme stattfinden können.“

Aktienforum: Präsenz-HV modernisieren

Das Aktienforum als weitere Vertretung von Aktionärsinteressen in Österreich wiederum begrüßt die Gesetzesinitiative grundsätzlich, bringt aber in Reaktion auf den Entwurf noch einen weiteren Punkt ins Spiel. „Das Aktienforum … möchte ­darüber hinaus anregen, auch die Regeln zur Präsenzhauptversammlung einer Neugestaltung zu unterziehen. Daher ­wäre es wünschenswert, Präsenzhauptversammlungen – vor allem für große Aktiengesellschaften – attraktiver zu ­gestalten. Diesbezüglich würden wir uns einen vom zuständigen Ministerium initiierten offenen Dialog wünschen“, schreibt der Geschäftsführer des Aktienforums, Karl Fuchs, in seiner Stellungnahme zum Gesetz.

Wirtschaftskammer: Virtuelle HV keine Exitstrategie

Er schließt sich damit einer Forderung an, die auch die Wirtschaftskammer Österreich ihrem grundsätzlichen Einverständnis zum VirtGesG beigefügt hat: „Die virtuelle Hauptversammlung sollte keine Exitstrategie für eine Präsenzhauptversammlung sein, sondern ein weiterer Baustein innerhalb mehrerer Möglichkeiten. Es sollte für große Aktiengesellschaften attraktiver gemacht werden, Präsenzhauptversammlungen zu veranstalten“, schreiben Wirtschaftskammer-Präsident Dr. Harald Mahrer und Generalsekretär Karlheinz Kopf.

Fazit

In Dialog treten, bestehende Formate ­reformieren und modernisieren – angesichts der teils unversöhnlichen Positionen zur virtuellen HV könnte dies eine ­gute Lösung sein, um die Fronten zur ­Zukunft der HV in Österreich zu glätten. Nachdem dieses Jahr ohnehin fast alle ­Gesellschaften ihre Aktionärsversammlungen in Präsenz durchgeführt haben (werden), könnten sich Politik, Interessenverbände und Aktionärsvertreter nun durchaus noch ein wenig mehr Zeit lassen, um eine konsensfähige Lösung zu finden.

Autor/Autorin

Simone Boehringer

Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.