Wenn einer ein Leben lebt, dann hat er viel zu entscheiden. Und wenn er es dabei sogar zu einem bisschen Geld bringt, dann erst recht. Doch wie soll man sich dann entscheiden, welche Entscheidungsregeln gibt es?

Die gröbste Unterscheidung ist sicherlich diejenige in emotionale und rationale Kriterien. Einmal aus dem Bauch heraus, und das andere Mal an Sachkriterien ausgerichtet. Bauchentscheidungen sollte man als Börsianer ja keine treffen, heißt es immer. Ich bin da allerdings völlig anderer Meinung. Denn mit dem Verstand kann man dem Markt nicht nahe kommen, entweder man kann das Geschehen nachempfinden oder nicht. Und wenn man es nicht kann, sollte man die Finger vom Markt lassen.

Am besten hat mir das Entscheidungsverfahren der alten Karthager gefallen: Sie haben, so heißt es, alle Gründe für und gegen eine Entscheidung im Vorfeld sorgsam verstandesmäßig hin und her gewogen, sich anschließend betrunken und dann die Entscheidung gefällt.

Doch was heißt eigentlich „rational“ und „verstandes- oder vernunftmäßig“? Bei den alten Germanen stellten Zeichen von Gottheiten durchaus etwas Rationales dar. Auch in wesentlich späteren Zeiten galt beispielsweise die Astrologie als Wissenschaft, bevor sie erst in unseren Tagen tatsächlich wirksam desavouiert wurde.

Die dümmsten Entscheidungsregeln der Menschheitsgeschichte besitzen jedoch in jedem Fall die chartorientierten Börsianer. Sie zeichnen in die Wellenbewegungen der Schwankungen des Lebens gerade Linien hinein und hoffen daraus die Zukunft vorhersehen zu können. Damit fallen sie noch hinter die Steinzeitmenschen zurück, die bei diesem Vergleich sicherlich als intelligente und aufgeklärte Spezies zu betrachten ist.

Denn das Dynamische mit geraden Linien einfangen zu wollen, wäre, als würde man Fische mit einem gekrümmten Pfeil und Bogen erlegen wollen. Hätten sich unsere Vorfahren so dumm angestellt, gäbe es uns sicherlich heute gar nicht. Was ja in mancher Hinsicht nicht unbedingt ein Verlust wäre.

Der Skandal ist jedoch, dass dann, wenn die Aktien jetzt tatsächlich noch einmal durch von hirnlosen Vorsteinzeitmenschen mit Faustkeilen gezeichnete Höhlenmalereien nach unten hindurch brechen, der Welt wirklich eine größere Krise beschert werden könnte. Wie schön und aufgeklärt waren dagegen doch die guten alten Zeiten der Hexenverbrennung und der göttlichen Zeichen am Horizont. Könnten wir es schaffen, unsere Finanzmärkte wenigstens auf dieses Reflexionsniveau zu heben, haben sie und wir vielleicht wirklich eine Überlebenschance.

Bernd Niquet

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