Besseres Wirkprofil, individuell zugeschnittene Therapien, hohe Preissetzungsmacht: Wie Medikamentenentwickler trotz des steigenden Sparzwangs in der Gesundheitsversorgung neue Megaseller auf den Markt bringen. Von Stefan Riedel

Für den neuen Hoffnungsträger der beiden Biotechfirmen Biogen und ­Ionis Pharma ist es ein Traumstart ins Jahr 2017: Ein gemeinsam entwickeltes Heilmittel gegen Spinale Muskelatrophie hat

Abb. 1: Umsatz der Top-5-Blockbsuter-Krebsmedikament in 2016. Quelle: Eigene Recherche, Unternehmensangaben

im ersten Quartal nach der Zulassung in den USA weitaus höhere Umsätze erzielt als erwartet. Spinraza ist das erste Medikament, das grünes Licht für die Behandlung dieser durch einen Gendefekt ausgelösten Krankheit erhielt. Sie zeigt sich nach der Geburt mit dem fortschreitenden Abbau der motorischen Zellen im Rückenmark. Das Nervenleiden, das bei einem von 25.000 Neugeborenen auftritt, führt in ­seiner extremen Ausprägung nach zwei ­Lebensjahren zum Tod durch Erschlaffen der Atemmuskulatur.

Innovationsprämie für Spinraza

Und die Chancen stehen gut, dass Spinraza bald auch auf die europäischen Märkte kommt. Am 22. April sprach sich das ­zuständige Fachgremium der Behörde EMA für die Zulassung aus. Dazu präsentierte Biogen anlässlich seines Zahlenwerks für das Auftaktquartal positive ­Ergebnisse aus einer zulassungsrelevanten klinischen Studie, in der Spinraza als Therapie gegen zwei weitere Subtypen der Krankheit getestet wurde. Exzellente Aussichten also für das Biotechschwer­gewicht Biogen und für den Newcomer Ionis, denn Spinraza hat seinen Preis. Die per Injektion verabreichte Arznei kostet 125.000 USD pro Behandlungseinheit. Das macht 750.000 USD im ersten und 375.000 USD im zweiten Jahr – pro Patient wohlgemerkt. Dieser hohe Listenpreis veranlasste die großen US-Versicherer dazu, die Kosten meistens nur für den schwerwiegendsten Krankheitstyp abzudecken. Zudem verlangten sie nach den ersten Dosen den Nachweis von Fortschritten im Krankheitsverlauf.

Das Beispiel Spinraza zeigt aber auch, dass die Krankenkassen und Versicherungen auch in Zeiten des wachsenden Kostendrucks weiterhin bereit sind, hohe ­Innovationsprämien für neue Heilmittel zu zahlen. Immer vorausgesetzt, es handelt sich um Krankheiten, für die es bislang nur unzureichende oder gar keine Therapien gibt. Dazu zählen die meisten Krebsarten, Erkrankungen des Nervensystems wie Alzheimer oder erblich bedingte seltene Erkrankungen wie Spinale Muskelatrophie. Schwieriger wird es dagegen für neue Heilmittel für chronische „Volkskrankheiten“ wie Diabetes, Bluthochdruck oder Rheuma. Hier ist bereits eine Vielzahl von Medikamenten verfügbar. Was für klinische Kandidaten bedeutet, dass sie einen künftig höheren Preis durch eine bessere Wirksamkeit und Verträglichkeit in noch größeren Patientengruppen dokumentieren müssen.

Lukrative Orphan Diseases

Dabei unterstützt das regulatorische ­Umfeld neue Therapieansätze. So kommen Medikamente gegen lebensbedrohliche Erkrankungen, für die bisher keine oder nur unzureichende Behandlungsmethoden existieren, in den Vorzug eines beschleunigten Zulassungsverfahrens. In den USA sichert der 1983 verabschiedete Orphan Drug Act über sieben Jahre einen exklusiven Marktzugang für neue Heilmittel gegen Krankheiten, die jährlich im Schnitt bei weniger als 200.000 Personen diagnostiziert werden. Außerdem wird die Hälfte der klinischen Kosten steuerlich erstattet. In Europa liegt die entsprechende Schwelle bei unter 230.000 neuen Patienten.

Die Entwicklung der Heilmittel gegen diese Orphan Diseases ist ein Spiegelbild der Medikamentenentwicklung in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Bestanden die neuen Produkte zunächst aus Antikörpern und Proteinen, stehen jetzt immer mehr Gen- und Zelltherapien vor dem Durchbruch. Krebsmedikamente erzielen dabei die höchsten Umsätze (siehe Abb. 1). „Die Medikamentenentwicklung bei Orphan Diseases als Ganzes steht für die Erfolgsgeschichte Biotech, wenn man sich vor Augen hält, dass sieben der zehn Medikamente mit den höchsten Umsätzen aus den Laboren von Biotechunternehmen stammen und Orphan Drugs sind“, erläutert Christian Lach, Portfolio Manager bei Bellevue Adamant.

Insgesamt 7.000 Krankheiten sind bislang in den USA als Orphan Drugs klassifiziert. Gerade einmal etwas mehr als 300 Arzneien sind auf dem Markt. Vor allem die erblich bedingten Stoffwechsel- und Nervenerkrankungen, von denen in der Regel jeweils nur einige Tausend Menschen betroffen sind, bieten ein weites ­Betätigungsfeld auch für kleinere Biotechfirmen, meint Ewan McCulloch, Portfolio Manager bei Franklin Templeton Investments: „Wegen der niedrigen Patientenzahl, die für die klinischen Studien erforderlich ist, halten sich die Entwicklungskosten in Grenzen. Wer zuerst die Zulassung ­erhält, hat eine hohe Preissetzungsmacht und kann mit einem kleinen Vertriebsteam die Patientengruppen erschließen.“ Behandlungskosten von 250.000 bis 500.000 USD pro behandeltem Patient relativieren sich etwas angesichts von Produktionskosten von bis zu 150.000 USD.

Nischenplayer fürs Depot

Die US-Firma Biomarin hat sich auf Enzym­ersatztherapien gegen Stoffwechselstörun­gen spezialisiert, während Alexion Pharma Milliardenumsätze mit seinem Produkt ­Soliris erzielt, dessen Listenpreis bei 525.000 USD im Jahr liegt. Diese lukrativen Marktnischen wecken auch das Interesse bei Pharmakonzernen, die wegen sinkender Einnahmen nach Patentabläufen auf der Suche nach Übernahmeobjekten sind. Vertex Pharma wiederum ist dabei, seine führende Marktposition in der Behandlung von Zystischer Fibrose weiter auszubauen. Orkambi und Kalydeco, die beiden Medikamente gegen Mukoviszidose, verbuchten 2016 ein Umsatzplus von 71% auf 1,7 Mrd. USD und sollen in Zukunft in ­weiteren Kombinationstherapien zum ­Einsatz kommen.

Die meisten Blockbuster, also Medikamente mit jährlichen Spitzenumsätzen von mehr als 1 Mrd. USD, werden in den kommenden Jahren in der Krebsmedizin erwartet. Hier wird eine neue Generation von Therapieansätzen wie Checkpoint-­Inhibitoren, Immuntherapien, zellbasierte Therapien und Gentherapien den Durchbruch schaffen. Fortschritte in der ­Diagnostik im Hinblick auf die genetische Prädisposition einzelner Personen für ­bestimmte Tumorarten machen den Weg frei für maßgeschneiderte individuelle ­Behandlungen. Pharmakonzerne wie ­Roche oder Bristol-Myers-Squibb mischen hier ebenso mit wie Biotechfirmen. Kite Pharma steht hier vor der Zulassung des ersten Produkts, bei dem genetisch veränderte körpereigene Immunzellen dazu aktiviert werden, Krebszellen anzugreifen und dauerhaft auszuschalten.

Bei den Nervenerkrankungen ruht die große Hoffnung vor allem darauf, dass auf Sicht der nächsten fünf Jahre bei Alzheimer die ersten Substanzen den Sprung auf den Markt schaffen, welche einen direkten Einfluss auf den Krankheitsverlauf nehmen. Branchenexperten schätzen die ­jährlichen Spitzenumsätze für das erste Produkt hier auf bis zu 15 Mrd. USD. ­Neben weiteren Markteinführungen versuchen Firmen, den Wirkmechanismus ihrer ­bereits verkauften Produkte auf neue Krankheitsfelder auszudehnen. Ein gutes Beispiel ist das Leukämiemittel Revlimid, das bei Celgene für mehr als 60% der ­Gesamterlöse steht. Die Wirkklasse der ­Immunmodulatoren, in der Revlimid zu Hause ist, lässt sich auch als Entzündungshemmer einsetzen. Damit hat Celgene das Einsatzspektrum von verschiedenen Blutkrebsarten auf neue Gebiete wie chronische Darmentzündungen erweitert.

Das Risiko breit streuen

*) in Mrd. USD; Quelle: Eigene Recherche, Unternehmensangaben
*) in Mrd. USD; Quelle: Eigene Recherche, Unternehmensangaben

Angesichts der langen Entwicklungs­phasen für Medikamente müssen Anleger einen mehrjährigen Anlagehorizont mitbringen. Im Schnitt schafft nur jeder achte Wirkstoff, der die klinischen Studien beginnt, den Sprung auf den Markt. Um dieses Risiko von Fehlschlägen besser abzufedern, sollten Branchengrößen, die mit zugelassenen Produkten bereits Geld verdienen, das Schwergewicht im Portfolio bilden. Bestenfalls eine spekulative Beimischung sind Firmen, die mit ihren Kandidaten noch vor dem klinischen Durchbruch ­stehen. Hier ist der Kurshebel wesentlich größer – nach oben wie nach unten.

Wer die Investments in Biotech streuen will, setzt auf ETFs wie den First Trust NYSE Arca Biotech oder den iShares ­Nasdaq Biotechnology, aktiv gemanagte Investmentfonds oder Beteiligungsgesellschaften wie BB Biotech. Der Charme von BB Biotech besteht im Portfoliomix aus höher gewichteten Kernbeteiligungen und kleineren Beteiligungen von Firmen, die mit ihren Technologien und Produkten vor dem Sprung auf den Markt stehen. Eine jährliche Dividendenausschüttung rundet das Renditeprofil ab.

Der Beitrag erschien erstmals in der Ausgabe Personalisierte Medizin 2/2017 der Plattform Life Sciences.

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