Die Beantwortung der eingangs gestellten Frage ist durchaus komplex. Denn die Erfahrung aus zehn Jahren ­Netzwerkarbeit im Cluster industrielle Biotechnologie CLIB2021 zeigt, dass sich diese Treiber aufgrund wirtschaftlicher und sozialer ­Rahmenbedingungen kontinuierlich ändern. Von Dennis Herzberg

Bei Rohölpreisen zwischen 100 und 120 USD pro Barrel (Sorte Brent), wie sie in den Jahren vor 2014 über längere Perioden vorlagen, und einem – wie prognostiziert – näher rückenden
Peak Oil waren die Schlagworte „alternative Rohstoffe“ und „Rohstoffflexibilität“ an der Tagesordnung. Der Einsatz von Biomasse erschien allein aufgrund der Preisentwicklung fossiler Rohstoffe und sich (scheinbar) verknappender Ressourcen notwendig und logisch. Aufwendigere ­Prozessschritte für den Aufschluss von Biomasse schienen durch den Preisvorteil der Grundstoffe verkraftbar. Nur wenige Jahre später, nach dem Schiefergas-Boom in den USA, einem auch hierdurch erneut in die Zukunft verschobenem Peak Oil und Preisen von aktuell unter 60 USD pro Barrel Öl, ist der erwartete Preisvorteil nicht mehr gegeben.

„Aktuell ist eine hohe Dynamik für den Einsatz von Biomasse und biotechnologischen ­Prozessen in der Chemie zu erkennen.“

Hohe Dynamik zu erkennen

Dennoch ist aktuell eine hohe Dynamik für den Einsatz von Biomasse und biotechnologischen Prozessen in der Chemie zu erkennen. So hat Genomatica im August 2017 einen neuen Prozess zur Herstellung von biobasiertem 1,3-Butandiol vorgestellt, der bereits im 85 m³-Maßstab läuft (skaliert bei EW Biotech). Verdezyne hat im Juli den Bau einer kommerziellen ­Anlage für 1,12-Dodecandisäure (DDDA) auf biologischer Basis in Malaysia gestartet. Bereits im Juni hat Synvina, ein Joint Venture zwischen BASF und Avantium, eine Förderung durch die EU in Höhe von 25 Mio. EUR für den Aufbau einer Pilot­anlage für Polyethylenfuranoat (PEF) ­bekannt gegeben. Für diese Entwicklungen scheinen offenbar andere Treiber vorzuliegen als die eingangs skizzierten. Auf Basis der Erfahrungen und Marktbeobachtungen bei CLIB begründet sich diese Dynamik nun nicht mehr durch Rohstofffragen, sondern basiert auf Entwicklungen von Seiten der Kundenmärkte der Chemie.

Nicht zuletzt durch die von den UN ­formulierten Sustainable Development Goals und das Pariser Klimaabkommen wächst bei den Verbrauchern die Nach­frage nach umweltfreundlichen Produkten. Hierdurch werden auch die bekannten Brand Owner zunehmend sensibel für diesen Themenraum. So werden von diesen Firmen inzwischen fast durchgängig Nachhaltigkeitsziele formuliert, die Kenn­größen beinhalten, welchen Beitrag das eigene Unternehmen zur Umwelt- und Ressourcenschonung leistet. So wird beispielsweise der Einsatz nicht toxischer oder nicht umweltgefährdender Inhaltsstoffe unter den Themenraum Nachhaltigkeit gefasst. Auch wird eine Senkung des eigenen Carbon Footprints innerhalb definierter Zeiträume vorgegeben.
Letzteres lässt sich am Beispiel IKEA veranschaulichen. Das Unternehmen zielt auf eine 50%-Reduktion der eigenen CO2-Emissionen sowie eine 20%-Reduktion bei den Zulieferern (People & Planet Positive, IKEA Group Sustainability Strategy for 2020). Dies zeigt einerseits auf, welchen Einfluss die Zulieferer bzw. die eingesetzten Rohstoffe auf den Carbon Footprint ­eines Unternehmens haben, andererseits zeigt es auch den wachsenden Druck auf die Zulieferer, nachhaltigere Lösungen anzubieten.

Situation in der Chemie

Diese Situation trifft auch für die chemische Industrie als primären Zulieferer dieser Rohstoffe oder Halbzeuge zu. Auch hier wird ein Großteil der Emissionen durch die Eingangsstoffe verursacht. Zudem sind durch die Effizienzsteigerungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte in den etablierten Prozessen nur noch ­geringe CO2-Einsparungen wirtschaftlich umsetzbar (die Treibhausgasemissionen der Chemie konnten Stand 2011 gegenüber 1990 um 49% gesenkt werden [VCI]). Das größte Potenzial bietet daher die Umstellung auf nachhaltige Rohstoffe in Form biobasierter oder recyclter Stoffströme. Dies wird auch von den Brand Ownern ­gesehen und entsprechend werden Ziele für die Umstellung der Produkte auf nachhaltigere Rohstoffe oder Inhaltsstoffe bis zu einem definierten Zeitpunkt gesetzt. So hat die Firma LEGO im Jahr 2015 bekannt gegeben, dass 20 der bisher eingesetzten Polymere bis zum Jahr 2030 durch nachhaltigere Alternativen ersetzt werden sollen. Hierfür hat LEGO rund 130 Mio. EUR in ein „Sustainable Materials Center“ investiert, in dem solche alternativen Materialien entwickelt und geprüft werden sollen.

Ausgehend von den Brand Ownern lässt sich also ein klarer Trend hin zu nachhaltigeren und biobasierten Materialien feststellen. Nachhaltigkeit ist daher ein klarer Treiber für den Einsatz von Biotechnologie und nachwachsenden Rohstoffen. Der Markt für solche Produkte wächst; es bleibt jedoch der aktuelle Preisnachteil von Produkten und Prozessen auf Basis von Biomasse gegenüber ­ihren fossilbasierten Konkurrenten. Und bisher ist nur in einigen Nischenmärkten zu beobachten, dass Kunden bereit sind, deutliche Aufpreise für Produkte zu ­akzeptieren, deren alleiniger Mehrwert darin besteht, biobasiert zu sein. Da ­momentan nur schwer absehbar erscheint, ob und wann dieser Nachteil durch Effi­zienzsteigerungen und Skaleneffekte aufgeholt werden kann, besteht ein vielversprechender Ansatz darin, zusätzliche Leistungsmerkmale aufzuzeigen.

„Von den Brand Ownern geht ein klarer Trend hin zu nachhaltigeren und biobasierten Materialien aus.“

Projekt „HiPerln“

Solche Leistungsmerkmale können Funk­tionalitäten sein, die mit chemisch-katalytischen Prozessen auf Basis fossiler ­Rohstoffe nur schwer oder gar nicht darstellbar sind. Mit der Identifikation und Prozessentwicklung solcher Verbindungen beschäftigt sich daher auch ein aktuelles Projekt bei CLIB2021. Das vom ­nordrhein-westfälischen Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie geförderte Projekt „Biotechnological Concepts for High Performance Ingredients (HiPerIn)“ geht dabei gezielt von den Bedarfen der Brand Owner aus. Anwendungsbereiche in den Märkten der Nahrungs- und Futtermittel oder der ­Lacke und Beschichtungen sind beispielsweise Aromen, Farbstoffe und Vernetzer. Für diese Anwendungsfelder sollen im Projekt neue, biobasierte Moleküle gefunden und F&E-Projekte zur Etablierung von Produktionsprozessen angestoßen werden.

Ein Beispiel solcher biobasierten Moleküle sind die Isoprenoide. Von dieser ­umfangreichen Stoffgruppe, die als Aromen in Lebensmitteln oder als Bestandteil in Kosmetika eingesetzt wird, lassen sich nur einfache Vertreter durch chemische Synthese herstellen. Komplexere Varianten müssen aufwendig extrahiert werden, wobei dann oft Mischungen verschiedener Isoprenoide vorliegen. Die Weiterentwicklung fermentativer Verfahren zur Produktion spezifischer, komplexer Iso­prenoide kann daher einen Mehrwert ­darstellen und deren Nutzung für neue ­Anwendung durch eine größere Verfügbarkeit ermöglichen.

An dieser Stelle schließt sich auch der Kreis zu den aktuellen weltweiten ­Entwicklungen. Das von Synvina produzierte PEF stellt eine biobasierte Alternative zum weitverbreiteten Polyethylenterephthalat (PET) dar. Neben dem Vorteil, eine biobasierte Alternative zu sein, verfügt PEF über bessere Gasbarriere-Eigenschaften als PET, wodurch eine geringere ­Materialdicke bei gleichbleibender Leistungsfähigkeit erreicht werden kann. Hier werden demnach gleich zwei Mehrwerte kombiniert. In dieser Kombination sind Biotechnologie und Biomasse auch unter den aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine konkurrenzfähige Alternative zu chemisch-katalytischen Prozessen und fossilen Rohstoffen. Zu betonen ist jedoch, dass es hier nicht um ein ­Entweder-oder geht. Gerade die Kombination von biotechnologischen und chemischen Prozessschritten kann innovative und effiziente Produktionsprozesse hervorbringen. Beides wird daher durch die Mitglieder des Clusters weiterverfolgt und vorangetrieben.

ZUM AUTOR:

Dennis Herzberg

 

Dennis Herzberg ist Leiter der Geschäftsstelle von CLIB2021 und koordiniert die operativen Tätigkeiten des Clusters. Er studierte Biowissenschaften, Biotechnologie und Innovationsmanagement an der WWU Münster.

 

 

 


Dieser Artikel ist erschienen in der Ausgabe „Biotechnologie 2017“, die Sie bei uns auf der Seite bequem bestellen oder als E-Magazin lesen können.

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