Blutgerinnungsmittel und Therapien zur Behandlung von erblich bedingten Bluterkrankungen zielen auf Milliardenmärkte mit hohem medizinischem Bedarf. Eine neue Generation von Medikamenten beschert Anlegern jede Menge Kurstreiber. Von Dr. Christian Lach
Ohne Blut läuft im menschlichen Organismus im wahrsten Sinne des Wortes gar nichts. Es transportiert Sauerstoff und Nährstoffe in alle Körperregionen und ist mit Abwehrzellen gegen Krankheitserreger ausgestattet, die im Knochenmark produziert werden. Die Blutplättchen wiederum spielen eine zentrale Rolle bei der Blutgerinnung: Werden Blutgefäße verletzt, setzen sie für deren Reparatur das molekulare Zusammenspiel von verschiedenen Gerinnungsfaktoren wie Thrombin, Fibrinogen und Fibrin in Gang.

Geht dieses Gleichgewicht verloren, sind ernsthafte gesundheitliche Schäden die Folge. Ungesunder Lebenswandel, aber auch erblich bedingte Gerinnungsstörungen verursachen Schlaganfälle, Erkrankungen der Herzkranzgefäße, Vorhofflimmern und Lungenembolien. Häufigste Ursachen für Blutungen sind genetische Defekte und Störungen im Autoimmunsystem. Die größte Gefahr geht von Thrombosen aus. Hier nimmt die Zahl der Betroffenen ab dem 60. Lebensjahr sprunghaft zu, wobei Männer häufiger davon betroffen sind als Frauen. Allein in den USA und in Europa sterben jährlich 800.000 Menschen an Embolien. In der Summe sind das mehr Todesfälle als durch AIDS, Autounfälle und Krebs zusammen. Weltweit werden jährlich zehn Millionen Thrombosefälle diagnostiziert.
Dabei unterscheidet die Medizin zwischen arteriellen und venösen Thrombosen. Bei den arteriellen Thrombosen bilden sich aus Blutplättchen Gerinnsel, die den Blutfluss stoppen. Im Verbund mit Ablagerungen an den Gefäßwänden lösen sie einen Herzinfarkt oder Hirnschlag aus. Als venöse Thrombosen bezeichnet man dagegen Ablagerungen, die sich aus der Verklumpung des Gerinnungsfaktors Fibrin mit den roten Blutkörperchen bilden. Tiefe Venentrombosen bilden sich zu 90% in den Beinen und im Becken und führen im schlimmsten Fall zu tödlichen Lungenembolien. In der Regel werden diese beiden Thrombosearten durch Bluthochdruck, Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel verursacht. Eine dritte, weniger häufige Form ist der Verschluss von kleinen Blutgefäßen, der durch bakterielle Infektionen oder die Wirkung von Schlangengiften verursacht wird.
Neue Generation von Blutverdünnern
Aus kommerzieller Sicht bilden die Blutverdünner den global größten Markt bei den Störungen des normalen Blutflusses. Der Umsatz mit Markenprodukten belief sich 2015 auf 15 Mrd. USD und soll bis 2019 auf 20 Mrd. USD steigen. Noch längst nicht ausgedient, aber inzwischen auf dem Rückzug befindet sich die erste Generation der Blutverdünner Heparin und Warfarin. Beide Produkte hemmen an unterschiedlichen molekularen Schaltstellen die Gerinnungskaskade. Das aus Leberextrakt gewonnene und 1937 erstmals zur Blutverdünnung verwendete Heparin verstärkt die Wirkung gegen die blutgerinnungsfördernden Thrombine, während das seit den fünfziger Jahren angewendete Warfarin andere Gerinnungsfaktoren blockiert. Aber auch Asparin wurde in der Vergangenheit dank seiner Wirkung auf Blutplättchen und Gefäßwände als Antithrombotikum eingesetzt.
Patentablauf älterer Blockbuster schafft neuen Raum
Vor der Jahrtausendwende zugelassene Produkte wie Plavix und Lovenox von Sanofi avancierten zu Blockbustern, also Verkaufsschlagern mit jährlichen Milliardenumsätzen. Der Patentablauf dieser Arzneien hat Raum geschaffen für eine Vielzahl von generischen Substanzen. Zugleich hat eine neue Generation von Antikoagulantien den Durchbruch geschafft. Neben einem verbesserten Wirkprofil zeichnen sich diese Substanzen dadurch aus, dass sie nicht mehr injiziert werden müssen, sondern als Tablette eingenommen werden. Von den Umsätzen her Spitzenreiter ist das 2008 in der EU und 2011 in den USA zugelassene Xarelto. Das von den Pharmakonzernen Bayer und Johnson & Johnson verkaufte Produkt generierte 2016 Erlöse von 5,5 Mrd. USD.
Mit der 2003 gegründeten US-Firma Portola steht hier seit Kurzem ein Neuling aus der Biotechbranche im Rampenlicht. Der Aktienkurs der seit 2013 börsengelisteten Gesellschaft hat sich allein seit Mitte Juni nahezu verdoppelt. Auslöser für das Kursfeuerwerk war die vorzeitige Zulassung für Betrixaban. Im ersten Quartal 2018 könnte dann die europäische Zulassung für diesen Gerinnungshemmer zur Vorbeugung von venösen Lungenembolien folgen. Darüber hinaus will Portola in Kürze für AdexXa, ein breit anwendbares Gegenmittel für Faktor-Xa-Inhibitoren, welche die Blutgerinnung unterbinden, den Zulassungsantrag einreichen.
Lukrativer Hämophiliemarkt
Bei den erblich bedingten Bluterkrankungen haben zuletzt vor allem neue Therapieansätze gegen Hämophilie A und Hämophilie B erhebliche Fortschritte erzielt. Dabei handelt es sich um plötzlich auftretende Blutungen, die entstehen, weil einzelne Gerinnungsfaktoren fehlgebildet sind und ganz ausfallen. Für die Betroffenen bedeutet das, dass kleinste Verletzungen oder Gelenkblutungen lebensbedrohlich werden. Nach Schätzungen sind von Hämophilie A weltweit rund 440.000 Personen, von Hämophilie B knapp 70.000 Menschen betroffen. Die große Variabilität an Genotypen für diese Krankheit erschwert das Entwickeln einer Therapie, auf die eine möglichst große Anzahl von Patienten anspricht. Dank der Behandlungsmöglichkeiten mit Blutplasma-Faktoren und rekombinanten Gerinnungsfaktoren hat sich allerdings in den letzten 100 Jahren die durchschnittliche Lebenserwartung der von schwerer Hämophilie Betroffenen von 16,5 Jahren auf bis zu 70 Jahre und mehr erhöht. Gleichwohl ist die Behandlung mit zahlreichen negativen Faktoren verbunden. Abgesehen davon, dass bislang keine Heilung von Hämophilie möglich ist, sind für die Behandlung regelmäßige Infusionen nötig, verbunden mit der Infektionsgefahr durch Plasmaprodukte.
Neue Behandlungsmethoden

Zu den neuen Behandlungsmethoden zählen modifizierte und künstliche Gerinnungsfaktoren, die Blockade natürlicher Gerinnungshemmer sowie Gentherapien, die über den Ersatz der Gerinnungsfaktoren VIII und IX eine vollständige dauerhafte Heilung anstreben. Während sich die Gentherapien als Behandlungsoption für die schwersten Formen von Hämophilie noch im klinischen Anfangsstadium befinden, könnte mit Emicizumab ein bispezifischer Antikörper von Hoffmann La Roche aus der Schweiz und Chugai aus Japan 2018 zugelassen werden. Das Produkt muss nur einmal wöchentlich subkutan verabreicht werden und bildet als erstes Medikament den Gerinnungsfaktor VIII nach.
Einen ganz anderen Ansatz verfolgt die Biotechfirma Alnylam mit Fitusiran. Auf der Grundlage der firmeneigenen Antisense-Technologie, bei der die Übertragung bestimmter genetischer Informationen zwischen Molekülen abgeschaltet wird, blockiert Fitusiran natürliche Gerinnungshemmer. Der Vorteil dieses Verfahrens: Es kann bei allen Hämophilieformen angewendet und muss nur einmal monatlich verabreicht werden. Alnylam beabsichtigt, in den nächsten Monaten mit der ersten Studie für die klinische Endphase III zu beginnen.
Bei den Arzneien gegen Hämophilie A teilen sich Shire mit Advate, Bayer mit Kogenate, Pfizer mit Xynthia, Swedish Orphan Biovitrum mit Eloctate und CSL mit Helixate den Markt unter sich auf. Obwohl aktuell noch kein Preisdruck zu erkennen ist, sehen wir es als wahrscheinlich an, dass die Medikamente in dieser Indikation wegen der Wettbewerbsintensität des Marktes in Zukunft auf dem Radar von Versicherern erscheinen werden.
Spezialistenmarkt Hämophilie B
Ganz anders ist das Bild bei Hämophilie B. Mit einem Volumen von rund 1 Mrd. USD und einem bislang auf zwei Produkte konzentrierten Monopol handelt es sich hier um einen ausgesprochenen Spezialistenmarkt, der über eine hohe Preissetzungsmacht verfügt. Ein weiterer Nischenmarkt in der Hämophilie ist die von Willebrand Krankheit, kurz vWK. Zwei neue Produkte, Vonvendi von Shire und CSL-650 von CSL, haben das Potenzial, die Jahresumsätze für vWK-Behandlungen, welche sich bei 170 Mio. USD eingependelt hatten, wieder nach oben zu schieben.
ZUM AUTOR
Dr. Christian Lach ist seit 2015 Portfolio Manager Healthcare Funds & Mandates und verantwortet den BB Adamant Biotech (Lux) Fonds. Zuvor war er als Senior Portfolio Manager Biotechnologie bei Adamant Biomedical Investments tätig. Christian Lach ist Dr. oec. HSG und dipl. natw. ETH.
Dieser Artikel ist erschienen in der Ausgabe „Biotechnologie 2017“, die Sie bei uns auf der Seite bequem bestellen oder als E-Magazin lesen können.