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Schriftzug 25-Jahre GoingPublic Magazin
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Die Vorstellung davon, was gute Unternehmensführung ausmacht, unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel. Die Finanzkrise 2008 sowie die jüngste Debatte um nachhaltiges Wirtschaften sorgten für grundlegende Überarbeitungen. Der Kodex brachte mehr Transparenz über die Unternehmensführung, u.a. Vergütungsberichte, mehr Mitspracherechte für Aktionäre und Vieles mehr. Ein Einblick mit Ausblick.

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Die Vorarbeiten zum Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) reichen mehr als zwei Jahrzehnte zurück. So hatte das Deutsche Aktieninstitut bereits 1999 das Sekretariat und die Organisation einer Arbeitsgruppe übernommen, die das Ziel hatte, „im Rahmen der gegenwärtigen Corporate Governance-Diskussion eine deutsche Position herauszuarbeiten und gegebenenfalls einen Code of best practice für deutsche Unternehmen aufzustellen“1. Wenn wir über Deutschland hinausschauen, reichen die Anfänge sogar 25 Jahre zurück. So steht in einem Bericht für die EU-Kommission von 2002, dass die Corporate-Governance-Kodizes in den Mitgliedstaaten überwiegend seit 1997 erarbeitet wurden.2 Definiert wird Corporate Governance in dem Bericht wie folgt:

„Rules and norms of corporate governance are important components of the framework for successful market economies. Although corporate governance can be defined in a variety of ways, generally it involves the mechanisms by which a business enterprise, organised in a limited liability corporate form, is directed and controlled. It usually concerns mechanisms by which corporate managers are held accountable for corporate conduct and performance. Corporate governance is distinct from – and should not be confused with – the topics of business management and corporate responsibility, although they are related.“

Der Kontrast dieser Aussagen zu den aktuellen Entwicklungen im Bereich Corporate Governance könnte nicht größer sein, spielen doch die Weiterentwicklung der Inhalte von Corporate Social Responsibility mit Blick auf „Environmental, Social, Governance“ (ESG) und auch die Lenkung von Kapital dort unterdessen eine große Rolle.

I. Corporate Governance im Wandel

Die Einschätzung, was gute Unternehmensführung ausmacht, wandelt sich mit gesellschaftlichen Strömungen. Ein Beispiel ist die Aufsichtsratsvergütung. So empfahl der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) im Jahr 2002, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats neben einer festen auch eine erfolgsorientierte Vergütung erhalten sollen. Heute regt er hingegen an, dass die Vergütung des Aufsichtsrats in einer Festvergütung bestehen soll. Die Idee, dass auch der Aufsichtsrat in gewisser Weise an die Interessen der Aktionäre gebunden sein soll, ist der Einschätzung gewichen, dass die reine Überwachungsfunktion wichtiger ist.

Grundlegende Veränderungen brachten die Finanzkrise und die Nachhaltigkeitsdebatte. Nach der Finanzkrise von 2008 kam mit dem Thema „kurzfristiges Denken“ Bewegung in die Corporate Governance. 2011 konstatierte die EU-Kommission in einem Grünbuch, dass kurzfristiges Denken der Unternehmensleitungen und Aktionäre zur Finanzkrise beigetragen habe. Die Checks and Balances der Corporate Governance funktionierten nicht, wenn sich die Mehrheit der Aktionäre passiv verhalte und oftmals lediglich an kurzfristigen Gewinnen interessiert sei.3 In der Folge änderte der EU-Gesetzgeber die EU-Aktionärsrechterichtlinie und führte Transparenzpflichten für institutionelle Investoren zur Ausübung von Aktionärsrechten ein. Gleichzeitig wurden die Mitspracherechte der Aktionäre ausgeweitet, z.B. zum Vorstandsvergütungssystem („Say on Pay“).

II. Sustainable Corporate Governance zur Lenkung von Kapitalströmen

Im Rahmen der Nachhaltigkeitsdebatte beschäftigte sich die EU-Kommission mit der öffentlichen Kritik, dass Unternehmensleitungen nur die kurzfristige Profitmaximierung für ihre Aktionäre im Auge hätten und deshalb die Rolle der Stakeholder zu stärken sei.4 Um Abhilfe zu schaffen, sollte das Handeln im Unternehmensinteresse neu definiert werden, sodass bei unternehmerischen Entscheidungen zukünftig auch Umwelt und Soziales zu berücksichtigen und Stakeholder anzuhören seien.5 Ob dies so normiert wird, verhandeln EU-Parlament und -Rat gerade im Rahmen des europäischen Lieferkettengesetzes.

Darüber hinaus hat die EU-Kommission bereits einiges auf den Weg gebracht: Der Green Deal soll mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen erreichen, Finanzströme in nachhaltige Aktivitäten zu lenken, um die Transformation in eine nachhaltige Wirtschaft voranzutreiben. Unter anderem werden Investoren angehalten, ihren Endkunden offenzulegen, wie „nachhaltig“ ihre Finanzprodukte sind. Dahinter steht die Hoffnung, dass sich diese dann für nachhaltige Finanzprodukte entscheiden. Unternehmen werden wiederum verpflichtet, gemäß der EU-Taxonomie-Verordnung die Nachhaltigkeit ihrer Wirtschaftsaktivitäten zu klassifizieren und darüber zu berichten.

Dieser Offenlegungsmechanismus sorgt für eine Allokationstendenz bei Kapital und Unternehmensressourcen. Zumindest die OECD steht diesem Eingriff in die Allokationsfunktion von Kapitalmärkten angesichts weltweit sinkender Zahlen börsennotierter Unternehmen kritisch gegenüber. So spricht sie sich mit Blick auf zukünftige Regulierung ausdrücklich dafür aus, das (klassische) umweltpolitische Instrumentarium, wie die Umweltgesetzgebung, zu nutzen, statt die Corporate Governance hierfür zu instrumentalisieren.6

III. Corporate Governance, das „G“ in ESG

Im Diskurs und in der Regulierung zur Nachhaltigkeit hat sich überall das Schlagwort ESG verfestigt, das die Governance neben Umwelt und Soziales stellt. Während es sich bei Umwelt und Sozialem um Ziele handelt, behandelt die Governance Mittel und Wege zur Erreichung von Zielen, stellt aber selbst keines dar. Diese Unwucht zeigt sich am Beispiel der Vorstandsvergütung, bei der mittlerweile erwartet wird, dass variable Vergütungsbestandteile auch Nachhaltigkeitsziele aus den Bereichen E, S und G abdecken. Überspitzt formuliert: Vorstandsmitglieder für die Einsparung von CO2-Emissionen zu belohnen ist einleuchtend. „Besonders gute Unternehmensführung“ zu belohnen scheint eher erklärungsbedürftig.

Dass nun Governance als Teil von ESG begriffen wird, hat auch Konsequenzen für die Frage, wer Standardsetzer ist. So enthält die EU-Richtlinie zum Corporate Sustainability Reporting (CSRD) auch Corporate-Governance-Bezüge. Ein Ergebnis ist, dass die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), die die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) erarbeitet, auch Governance-Standards vorgelegt hat. Im Detail hat sie dort ausgearbeitet, was genau zur Rolle und Arbeitsweise von Vorstand und Aufsichtsrat sowie zum Vergütungssystem jeweils in Bezug auf Nachhaltigkeit zu berichten ist. Hier wird es zu Überschneidungen mit und Abweichungen von typischen Inhalten von Corporate-Governance-Kodizes kommen. Dies ist deshalb bemerkenswert, weil der Inhalt der Governance-Vorgaben der ESRS im Gegensatz zur Entsprechenserklärung zum Kodex durch den Abschlussprüfer zu prüfen sein (Limited Assurance) und auch einem behördlichen Enforcement unterliegen wird. Das Auseinanderfallen der Prüfungstiefe von Informationen zur allgemeinen Governance und zur Nachhaltigkeitsgovernance wird auch dem Gesetzgeber irgendwann auffallen. Weitere Regulierung ist damit absehbar.

IV. Sustainable Corporate Governance – quo vadis?

In den vergangenen 25 Jahren hat sich die Regulierung von Corporate Governance stark gewandelt. Die stetige Verfeinerung der Checks and Balances im Unternehmen zum Schutz der Aktionäre steht dabei nicht mehr so sehr im Vordergrund wie die Frage, wie Corporate Governance zur Nachhaltigkeit beitragen kann. Aber nicht nur die Corporate Governance, sondern auch die Kapitalmärkte sind in den Dienst der Nachhaltigkeit gestellt worden. Der zitierte Bericht der EU-Kommission von 2002 klammerte Corporate Social Responsibility und strategische Fragen inhaltlich bewusst aus. Es ist fraglich, ob unter guter Unternehmensführung künftig nicht mehr ein guter prozeduraler Ordnungsrahmen verstanden wird, sondern nur noch das gilt, was auch „guten“ Unternehmenszielen dient, also auf ein konkretes Entscheidungsergebnis zielt.

Wie sich das weiterentwickelt, ist schwer zu sagen. In den USA gibt es eine Gegenbewegung in Form eines Anti-ESG-Aktivismus. Bei Chevron, Disney und Starbucks beispielsweise haben Investoren die Einhaltung des reinen Shareholder Value gefordert, da alles andere eine Organpflichtverletzung der Directors darstelle. Es könnte also sein, dass internationale Investoren bei dem Bestreben, Kapital in nachhaltige Unternehmen zu lenken, nicht mitmachen werden. Dann könnte die Lenkungsfunktion von Sustainable Finance nicht nur ihren Zweck verfehlen, sondern sogar Kapital aus Europa abfließen. Ob das dann in Europa zu einer Rückbesinnung der Corporate Governance auf ihren ursprünglichen Kern führt, wird sich zeigen.

www.dai.de

1Im Jahr 2002 wurden dann von dieser „Grundsatzkommission Corporate Governance“ die Frankfurter „Corporate Governance-Grundsätze“ veröffentlicht. Dieser Gruppe gehörte übrigens bereits Prof. Dr. Rolf Nonnenmacher an, der seit 2017 den Vorsitz der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex innehat und das Deutsche Aktieninstitut stellt seit 2013 die Geschäftsstelle der Regierungskommission.
2Weil, Gotshal & Manges LLP (2002): Comparative Study Of Corporate Governance Codes Relevant to the European Union And Its Member States, abrufbar z.B. unter https://ecgi.global/sites/default/files/codes/documents/comparative_study_eu_i_to_v_en.pdf.
3Grünbuch Europäischer Corporate Governance Rahmen, KOM(2011) 164 endgültig, v. 5.4. 2011, S. 4, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52011DC0164&from=DE.
4Europäische Kommission (2020): Study on directors’ duties and sustainable corporate governance, abrufbar unter https://op.europa.eu/s/xfLn. Siehe zur Kritik an der Studie z.B. die Zusammenfassung bei ECGI (2020): Workshop Report. Directors’ Duties and Sustainable Corporate Governance, abrufbar unter https://ecgi.global/sites/default/files/_directors_duties_report_nov_2020_3.pdf.
5Siehe zur Corporate Sustainability Due Diligence (CSDDD) Europäische Kommission (2022): Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A52022PC0071.
6OECD (2022): Public Consultation on Draft Revisions to the G20/OECD Principles of Corporate Governance, abrufbar unter https://www.oecd.org/corporate/public-consultation-review-G20-OECD-principles-corporate-governance.pdf, S. 44 f. Siehe hierzu auch Bortenlänger/Heldt „OECD erteilt der Neuordnung von Directors‘ Duties der EU-Kommission indirekt eine Absage“, BOARD 6/2022.

Autor/Autorin

Dr. Christine Bortenlänger

Seit dem 1. September 2012 ist Dr. Christine Bortenlänger geschäftsführende Vorständin des Deutsche Aktieninstitut in Frankfurt am Main. Sie war von 2000 bis 2012 Vor­stand der Bayerischen Börse und Geschäfts­führerin der Börse München.

Dr. Cordula Heldt

Dr. Cordula Heldt ist Leiterin Corporate Governance und Gesellschaftsrecht beim Deutsches Aktieninstitut.