Wo gibt es unbedingt noch Nachholbedarf in Bezug auf die Entwicklungen der Technologien?

Das mögen unterschiedliche Marktteilnehmer aus unterschiedlichen Perspektiven durchaus unterschiedlich bewerten. Ein Punkt dürfte uns jedoch einen: Es fehlt eine Art gesellschaftlicher Konsens im Umgang mit Technologie. Leider können wir Deutsche in punkto Technologie-Akzeptanz nur schwarz-weiß malen. Ein kritischer, aber konstruktiver Umgang mit Technologie, der durchaus auch nutzenorientiert ist, erscheint nahezu unmöglich. Sobald Technologie nicht mehr in einem Auto verbaut wird, sehen wir in erster Linie die Risiken. Dabei wird die Diskussion von Halbwissen geprägt. Ein Beispiel: Viele Menschen glauben, dass eine Filialbank von einer DDoS-Attacke [Distributed-Denial-of-Service – spezielle Cyberattacke] verschont bleiben kann. Andere denken, dass eine Filialbank in punkto Datensicherheit überlegen ist. Beide Annahmen sind grundsätzlich falsch, sprechen aber für das mangelnde Verständnis.

Welche Trends sehen Sie speziell bei Ihnen im Finanzsektor?

Wenn man sich die gegenwärtigen „pain points“ der Industrie anschaut, wird man sehr schnell zu den zukünftigen Trends kommen. Wir haben steigende Anforderungen bei der Regulierung. Innovative Lösungen könnten den Unternehmen des Finanzsektors helfen, diese steigenden Anforderungen nicht nur zu erfüllen, sondern dabei auch die Kosten zu senken und gleichzeitig den Kundennutzen zu steigern. Nicht ohne Grund entwickelt sich das Segment „RegTech“. Die Kundengewinnung ist für die Mehrheit ein sehr kostspieliges Unterfangen. Alles, was hierbei unterstützend wirken kann, ist willkommen. Aber nicht nur das ist relevant. Viele Banken haben ein Kostenproblem bei der Betreuung der bestehenden Kunden. Dies ist in Zeiten schrumpfender Erlöse fatal. Digitale Lösungen können auch hier einen Ausweg ermöglichen, seien sie kunden- oder transaktionszentriert. Und, last but not least: Die Schaffung neuer Marktplätze und damit die Ermöglichung neuer Verhaltensweisen wird – wie in der Vergangenheit auch – immer ein Thema sein.

Was können „eingestaubte“ traditionelle Bankhäuser von jungen FinTechs lernen?

Digitalisierung ist kein Selbstzweck. FinTech-Unternehmen haben verstanden, dass mittels Digitalisierung ein neuer Kundennutzen entstehen kann. Erstmals hat man begriffen, dass man mittels eines technologischen Angebots einen USP erzeugen kann. Dies war in einer Technikwelt, die von Effizienzzielen alleine getrieben war, nicht Fall. Dass dies dann auch noch besser aussieht und einfacher geht, mag bei dieser Betrachtung überhaupt nicht so sehr ins Gewicht fallen – ist aber deswegen nicht weniger wichtig. Digitalisierung ist highspeed. Dies hat Auswirkungen auf technologische Strukturen ebenso wie auch auf Entscheidungsgeschwindigkeiten und – ganz wichtig – die Unternehmenskultur. Da trennt sich dann letztlich sehr schnell die Spreu vom Weizen.

Aktuell entsteht ja gefühlt ein FinTech-Startup nach dem nächsten. Werden diese Wachstumsunternehmen alle überleben können?

Das viele Investorengeld erzeugt ein „unnatürliches“ Überangebot. Hier werden gegenwärtig eine Menge an Wetten abgeschlossen. Mal sehen, welche Pferde es bis ins Ziel schaffen. Niemand geht davon aus, dass es alle Pferde sein werden. Bei manchen Ansätzen wundert man sich allerdings auch, warum man daraus zwingend ein Unternehmen gründen musste.
Provokativ gesprochen: Werden wir den Tod der klassischen Bank in naher Zukunft erleben?

Je nachdem, was man unter einer „klassischen Bank“ verstehen möchte, ist der Tod bereits schon eingetreten. Und dies durchaus freiwillig. Abgesehen davon gehe ich davon aus, dass die Veränderungsgeschwindigkeit eher steigen als sinken wird. Nun stellt sich die Frage, wie man damit umgeht. Letztlich tritt die alte Schumpeter Philosophie der konstruktiven Selbstzerstörung in Kraft: Wenn man nicht selbst das eigene Geschäft zerstört, wird dies durch einen anderen erledigt. Gemäß dieser Philosophie gehen manche Regionen unserer Welt davon aus, dass die Digitalisierung bis zu 20% der Banken-Arbeitsplätze kosten wird. Dort bereitet die lokale Aufsicht in Zusammenarbeit mit den Hochschulen die Schaffung neuer, digitaler Arbeitskräfte für die Banken der Zukunft vor.

Wie sieht das Banking der Zukunft aus: Gibt es in 20 Jahren überhaupt noch (analoge) Bankfilialen, und wie stellen Sie sich die Beziehung Kunde-Bank in der mittleren Zukunft vor? Welche Visionen verfolgen Sie da?

Reine Bankfilialen wie wir Ältere sie noch kennen, wird es so nicht mehr geben. Unabhängig ob digital oder physisch, die Konzepte werden sich zunehmend mit dem wirklichen Leben der Kunden verweben. Sie müssen sogar, wenn sie überleben wollen. Die Hausbank für das sogenannte Day-to-Day-Banking der Zukunft hat die Chance oder die Notwendigkeit – je nachdem, wie man es sieht – komplett unsichtbar zu werden. Umso integrierter, umso unsichtbarer, umso erfolgreicher.

Herr Kröner, vielen Dank für das überaus spannende Gespräch!

Das Interview führte Svenja Liebig.

Matthias Kröner ist seit 2003 bei der Fidor Bank AG und ist dort Vorstandsvorsitzender. Zuvor war der Diplom-Betriebswirt u.a. als CEO bei der DAB Bank AG tätig.

Das Interview erschien zuerst in der Februar/März-Ausgabe des GoingPublic Magazins.

Titelfoto:  zapp2photo/fotolia.com

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