Zentral- und Osteuropa-Investments haben längerfristig orientierten Anlegern in den letzten zwanzig Jahren über mehrere Wirtschaftszyklen hinweg kräftige Erträge eingebracht – häufig sogar mehr als Veranlagungen in Asien und Lateinamerika. Die Finanz- und die anschließende Eurokrise haben jedoch auch in den Osten ausgestrahlt und viele Investoren stark verunsichert. Hinzu kommt, dass die gesamte Assetklasse Emerging Markets zuletzt enttäuschend performt hat. Jetzt, da Europa seine Rezession überwunden zu haben scheint, meinen viele, dass Osteuropa überproportional von der Erholung profitieren wird. So auch Angelika Millendorfer, Leiterin der Abteilung Emerging Markets Equities bei Raiffeisen Capital Management.

GoingPublic: Frau Millendorfer, in den vergangenen fünf Jahren war vom Osteuropa-Boom nicht mehr viel zu spüren. Warum sollten Anleger diesen Märkten jetzt wieder ihre Aufmerksamkeit schenken?

Angelika Millendorfer,Leiterin der Abteilung Emerging Markets Equities, Raiffeisen Capital Management
Angelika Millendorfer,Leiterin der Abteilung Emerging Markets Equities, Raiffeisen Capital Management

Millendorfer: Nach einigen Jahren unterdurchschnittlicher Wertentwicklung gegenüber anderen Schwellenländern sind die Bewertungen vieler zentral- und osteuropäischer Aktienmärkte, relativ gesehen, „ausgebombt“. Seit einiger Zeit deuten aber einige Indikatoren auf einen langfristigen Trendwechsel hin, so dass die Region künftig wieder überdurchschnittlich abschneiden könnte. Die deutlich niedrigeren Preise bieten eine erhebliche zusätzliche „Sicherheitsmarge“ verglichen mit anderen, zumeist deutlich teureren Aktienmärkten. Während bei vielen entwickelten Regionen die verbesserte konjunkturelle Entwicklung schon eingepreist ist, ist dies in Osteuropa bislang nicht der Fall. Darüber hinaus können viele CEE-Staaten mit solideren Fundamentaldaten punkten. Die meisten haben – mit Ausnahme der Türkei – ihre Leistungsbilanzen stark verbessert und damit die einstige Abhängigkeit von ausländischem Kapital erheblich verringert. Nichtsdestotrotz werden auch sie weiterhin stark von der Geldpolitik und der Konjunktur in den USA sowie in der Eurozone beeinflusst.

GoingPublic: Welche Aktienmärkte können vom konjunkturellen Aufschwung der Euro-Zone am meisten profitieren?
Millendorfer: Wir denken, dass dies jene in Tschechien, Ungarn und Polen sein werden. Mit dem Ende der Rezession in Tschechien, sollten dort die lokalen Aktien ihren Boden erreicht haben. Diese bieten mitunter mehr als 6% Dividendenrenditen. Auch in Ungarn stehen die Zeichen auf Erholung: Ungarische Exportunternehmen – wovon allerdings viele nicht börsennotiert sind – laufen gut, wobei sich bei lokal tätigen Unternehmen wie Banken aufgrund der Wahlen im April politische Risiken auftun könnten. Polens Wirtschaft wird 2014 aufgrund des Aufschwungs in der Eurozone ebenfalls positive Impulse erhalten. Darüber hinaus stimuliert die Regierung die Wirtschaft: Mehr als 50% des Vermögens der Pensionskassen, das in Staatsanleihen investiert ist, zieht die Regierung ab. Mit dem dadurch im Budget freigesetzten Kapital werden Infrastrukturprogramme (Bahnverkehr, Energie) finanziert. Bis August 2014 haben die Polen Zeit zu entscheiden, ob sie ihre verbliebenen Einlagen in den Pensionskassen behalten wollen oder nicht, da diese künftig bis zu 90% in Aktien investieren werden. Eine Reduktion des Bewertungsaufschlags ist aufgrund dieser Veränderungen im zweiten Halbjahr 2014 möglich. Daher sind wir in Polen derzeit noch vorsichtig positioniert und warten auf einen günstigeren Einstiegszeitpunkt. Denn derzeit ist der Markt rund 30% teurer als der regionale Durchschnitt.

GoingPublic: Welche Rolle spielt Russland? In der jüngeren Vergangenheit wurden Anleger von diesem Markt nicht gerade verwöhnt.
Millendorfer: Russland ist inzwischen so niedrig bewertet, dass selbst noch weiter fallende Rohstoffnotierungen eingepreist sind. Manche Rohstoffe wie beispielsweise Aluminium und Nickel notieren inzwischen allerdings schon nahe ihrer Förder- bzw. Produktionskosten, was weiteren Preisrückgängen immer stärker entgegenwirkt. Im Unterschied dazu ist der Ölpreis bislang von starken Korrekturen verschont geblieben und befindet sich nach wie vor auf hohem Niveau. Hinzu kommt, dass Russland weitgehend unabhängig von globalen Finanzströmen ist. Der Leistungsbilanzüberschuss schützt vor Effekten der restriktiveren Geldpolitik der Fed. Auch wenn Russland – aufgrund politischer und rechtlicher Risiken und der starken Anfälligkeit gegenüber niedrigen Öl- und Metallpreisen historisch meist deutlich billiger war als andere Emerging Markets – so sind die Bewertungsunterschiede mittlerweile deutlich höher als im historischen Durchschnitt. Hohe Dividendenrenditen unterstützen den Markt zusätzlich, ebenso die Reform des Aktienhandels, der den Einstieg ausländischer Investoren erleichtert. Die Wachstumssektoren sind aus unserer Sicht Konsum, Telekom und IT.

GoingPublic: Auch die Türkei hat sich im letzten Jahr ziemlich ins Abseits manövriert. Wie sehen Sie die aktuelle Situation dort? Wie sind Sie dort veranlagt?
Millendorfer: Die Türkei hat vor allem viele innenpolitische Probleme. Proteste – zunächst gegen ein Einkaufszentrum im Istanbuler Gezi-Park und später gegen das harsche Vorgehen der Regierung gegen die Demonstranten – und dann die Ankündigung eines Taperings seitens der Fed und die damit verbundenen steigenden Renditen haben den türkischen Kapitalmarkt im Frühsommer des Vorjahres tief erschüttert und starke Abflüsse in Gang gesetzt. Abflüsse, die zwar in keinem Verhältnis zu den enormen Zuflüssen der Jahre davor standen, die aber eine Dynamik auslösten, die den Kapitalmarkt ins Trudeln brachten.

Anstehende Wahlen – Gemeinde- und Präsidentschaftswahlen 2014 sowie die Parlamentswahlen 2015 – und die damit verbundenen politischen Auseinandersetzungen bringen den türkischen Kapitalmarkt weiter unter Druck, ebenso die zögerliche Zinspolitik der türkischen Notenbank. Seit einigen Wochen erschüttert ein weitreichender Korruptionsskandal, der aufgrund eines Richtungsstreits innerhalb des islamistischen Lagers ins Rollen gebracht wurde, das politische Leben. Aufgrund dieser Turbulenzen ist von einem Rückgang des Wirtschaftswachstums auf 2% auszugehen. Wir sind in der Türkei – trotz günstigen Bewertungen – vor allem bei zinssensitiven Titeln untergewichtet.

GoingPublic: Seit November 2013 ist Griechenland wieder ein Schwellenland und damit Teil des Emerging-Europe-Universums. Ein Markt, der sich auch auf Ihrem Radar befindet?
Millendorfer: Durchaus. Da Griechenland im Schwellenländerindex deutlich höher gewichtet ist als im alten Index der entwickelten Märkte, kann die Herabstufung paradoxerweise zusätzliches Kapital nach Griechenland ziehen, indem rein auf Aktienindizes orientierte Investoren ihren Griechenland-Anteil entsprechend aufstocken. Der Abschwung der griechischen Wirtschaft hat sich deutlich verlangsamt. Für 2014 wird seitens des IWF sogar wieder ein positives Wirtschaftswachstum prognostiziert. Dennoch wird die ökonomische Situation herausfordernd bleiben. Die Aktienmärkte haben diese positive Entwicklung schon vorweggenommen – die Athener Börse gehörte mit ca. 30% Performance 2013 zu den weltweit erfolgreichsten. Die Gefahr einer möglichen Überhitzung ist inzwischen durchaus ein Thema und die hohen Bewertungen sind mittlerweile unattraktiv. Der Bankensektor ist aufgrund vieler fauler Kredite nach wie vor in schlechter Verfassung.

GoingPublic: Raiffeisen Capital Management gilt als einer der Zentral- und Osteuropa-Pioniere im Bereich Fondsinvestments. Der Raiffeisen-Osteuropa-Aktien feiert gerade sein 20-jähriges Bestehen und war einer der ersten Fonds, der in die Region investiert hat. Wie sehen Sie diese 20 Jahre in der Rückschau?
Millendorfer:  Vor allem als sehr abwechslungsreich und spannend. Gleich nach Auflage ist der Fonds zunächst einmal in die Verlustzone geschlittert, doch danach folgten viele überdurchschnittlich erfolgreiche Jahre, in denen die jährliche Performance mitunter den hohen Minusgraden in Russland entsprochen hat. Die unterschiedlichen Transformationsgeschwindigkeiten der einzelnen Länder, aber auch globale Wirtschaftskrisen haben dem zentral- und osteuropäischen Aktienmarkt Höhen und Tiefen beschert. Doch unterm Strich haben wir in den letzten 20 Jahren durchschnittlich fast 9% Wertentwicklung per annum erreicht. Aufgrund der guten Wachstumsperspektiven der Märkte sind wir zuversichtlich, dass sich dieser Trend weiter fortsetzen wird.

GoingPublic: Frau Millendorfer, vielen Dank für das interessante Interview.

Das Interview führte Falko Bozicevic.

Autor/Autorin