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Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

Am 8. Oktober 2012 startete das lang angekündigte Premium-Segment für Corporate Bonds, der „Prime Standard für Unternehmensanleihen“, mit der Notierungsaufnahme der 600-Mio.-EUR-Anleihe der Deutsche Börse AG als Transferemission. Bereits zwei Wochen später, am 19. Oktober 2012, folgte die erste Neuemission: die 75-Mio.-EUR-Anleihe der SAF-Holland S.A., die als Fremdemission sowohl die klassische Klientel der institutionellen Investoren als auch Privatanleger ansprach. Die letztere Gruppe hatte die Möglichkeit, zu den gleichen Konditionen wie die institutionellen Anleger über die Xetra-Zeichnungsplattform der Deutschen Börse zu zeichnen. Rund 10% der gesamten Emission bzw. 8,5 Mio. EUR wurden nach Schließung der Orderbücher an die Xetra-Zeichner zugeteilt. Im Schnitt lag die Einzelorder bei den Privatanlegern bei ca. 14.000 EUR und damit in der üblichen Größe, wie sie bei den klassischen Mittelstandsanleihen zu finden ist.

Im Fokus des Prime Standard für Anleihen steht im Vergleich zu dem seit fast zwei Jahren bestehenden Entry Standard für Anleihen die bisher für Privatanleger eher verschlossene Welt der institutionellen Corporate-Bond-Platzierungen, die bei ca. 100 Mio. EUR Volumen beginnen und bis zu den sog. Benchmark-Anleihen (Emissionsvolumen ab 500 Mio. EUR) reichen. Zu den Ziel-Emittenten zählen die größeren börsennotierten und nicht börsennotierten Unternehmen, die bei der Emission Privatanleger und Stakeholder durch den Einsatz des Retail Subscription Services, einschließlich Xetra-Zeichnungsfunktionalität, berücksichtigen möchten.

Anders als bei der typischen Mittelstandsanleihe erfolgen Platzierungen im Prime Standard ausschließlich als Fremdemission unter Federführung einer oder mehrerer Konsortialbanken. Diese bankengeführte Platzierung unterliegt deren Dokumentationswünschen, d.h. neben dem obligatorischen Wertpapierprospekt sind zusätzliche Disclosure und Legal Opinions sowie ein Comfort Letter erforderlich. Im Mittelpunkt steht ein Übernahmevertrag, in dem die Bedingungen für die Wertpapierübernahme durch den Konsortialführer geregelt werden. Dabei ist zu betonen, dass es sich hierbei grundsätzlich um „Best-effort“-Übernahmen handelt, d.h. das Platzierungsrisiko bleibt beim Emittenten. Diese Auflagen sind durchaus mit einer Aktienemission vergleichbar. Im Prime Standard steht es dem Emittenten frei, ob die Anleihe im Freiverkehr (Open Market) oder im regulierten Markt zugelassen wird. Die Antragstellung zur Aufnahme in den Prime Standard hat gemeinsam durch den Emittenten und die Bank zu erfolgen. Sollte die Zulassung aus dem Open Market heraus stattfinden, muss der Emittent zunächst die Zulassung im Entry Standard für Unternehmensanleihen durchlaufen, um anschließend in den Prime Standard zu wechseln.

Grundsätzlich ist im Prime Standard ein Anleihen- bzw. Emittentenrating vorgeschrieben, das jedoch in Einzelfällen erlassen werden kann. Die Transparenzfolgepflichten unterscheiden sich abgesehen von den Veröffentlichungsfristen nur unwesentlich von denen des Entry Standard, sofern der Emittent im Freiverkehr notiert. Für Anleihen, die im regulierten Markt zu gelassen sind, gelten zudem die gesetzlichen Vorgaben für „börsennotierte“ Gesellschaften gemäß WpHG (Ad-hoc-Publizität, IFRS-Rechnungslegung etc.). Im Prime Standard ist zudem die Veröffentlichung von mind. sechs Ratingkennzahlen gemäß DVFA-Standard verpflichtend.

Einem Emittenten ab einem Emissionsvolumen von 100 Mio. EUR steht es nun frei, entweder eine Mittelstandsanleihe im Entry Standard in Eigenregie zu begeben oder sich über die bankengeführte Fremdemission für den Prime Standard für Anleihen zu entscheiden. Beide Optionen stellen den Zugang zu Retailanlegern sicher und garantieren einen öffentlichen und transparenten Sekundärmarkthandel, unterscheiden sich aber beim Kreis der angesprochenen institutionellen Anleger und deren Anforderungen. Welche Alternative die richtige ist, hängt vom Einzelfall ab.

Diese Kolumne ist erschienen im GoingPublic Magazin 12/2012.

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