In diesem Zusammenhang ist die Einlassung von SPD-Chef Kurt Beck, man sei an der Grenze der Reform-Zumutbarkeit für die Bevölkerung angelangt, denkbar populistisch. Politiker schielen stets auf mögliche Wählerstimmen, und als Lordsiegelbewahrer der reinen sozialdemokratischen Lehre mag er einige Linkspartei-Wähler auf sich aufmerksam gemacht haben. „Seht her, anders als mein Vor-Vor-Vorgänger bin ich nicht dem diskreten Charme der Bourgeoisie erlegen“, lautet die Botschaft. Hilfreich ist seine Forderung freilich nicht. Vielmehr kann es nach Lage der Dinge kaum einen besseren Zeitpunkt geben als das laufende Jahr, um jegliche Reformen voranzutreiben.

Der günstige Zeitpunkt gilt für die sozialen Sicherungssysteme, aber auch für andere „Zielgruppen“: Die Änderung des Erbschaftssteuerrechts oder die Änderung der Praxis etwa bei der Behandlung und Anrechnung von Zinseinnahmen, dürfen hier als Beispiele gelten. Beck hat Recht, dass die Lasten jeglicher Reformen sozial gerecht verteilt werden müssen – das Reformtempo an sich darf aber nicht abgebremst werden. Reform, das Wort hat heute den Beigeschmack der Verschiebung des sozialen Koordinatensystems nach unten. Es ist eine lohnende Aufgabe für die Sozialdemokratie hierzulande, diesen Beigeschmack durch einschlägige Aktivitäten zu tilgen.

Deutschland gilt neuerdings als ein Land, das seine Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangt hat. Das stimmt so natürlich nicht, denn es war stets wettbewerbsfähig und ist von interessierter Seite heruntergeredet worden. Richtig ist aber, dass die Qualität der Wettbewerbsfähigkeit verbessert wurde. Ständiges Qualitätsmanagement ist heute für Unternehmen unabdingbar, und vom Grundsatz her gilt das auch für Volkswirtschaften. Nach der Reform heißt vor der Reform, so zu sagen, und die Veränderungszyklen werden kürzer.

Diese Einstellung zu vermitteln, die Menschen darauf vorzubereiten und den fortwährenden Wandel so sozial wie möglich zu gestalteten, bedeutete verantwortliche Politik und nicht der Tritt auf die Reformbremse. Alles andere ist konservativ in einem Sinne, wie es sich kein Land im globalen Wettbewerb mehr leisten kann.

Stefan Preuß

Die GoingPublic Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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