Das Papier verlor nachbörslich fast 20 US-$ auf 53 US-$ und schloß am Freitag an der New Yorker Börse bei 54 US-$. Vom Jahreshoch bedeutet dies einen Abschlag von fast 36 %. Hat die Börse überreagiert? Wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, um bei Lucent einzusteigen? Dieser Frage wollen wir heute nachgehen.

Lucent entstand 1996 durch eine Ausgliederung aus dem AT&T Konzern und hat eine legendäre Erfolgsgeschichte an der Börse hinter sich. Lucent Aktien waren seither absolute Börsenlieblinge. In Amerika befindet sich keine Aktie in so vielen verschiedenen Portfolios wie Lucent. Mittlerweile ist Lucent sogar mehr wert als die Mutter AT&T und – gemessen an der Marktkapitalisierung – das zweitgrößte Telekommunikationsunternehmen der Welt …. gewesen. Sie haben richtig gehört: gewesen. Diese Tage sind vorerst vorbei. Fast 60 Milliarden US-$ an Marktkapitalisierung hat Lucent jüngst eingebüßt. Von rund 230 Milliarden US-$ schrumpfte der Unternehmenswert auf „nur“ noch 170 Milliarden. Die Deutsche Telekom wird zum Vergleich mit rund 200 Milliarden US-$ bewertet, dicht gefolgt von der finnischen Nokia. Die japanische Nippon Telegraph (NTT) ist einsamer Spitzenreiter. NTT wird zur Zeit mit über 250 Mrd. US-$ bewertet.

                                            

Was also passierte an jenem „60 Milliarden US-$-Donnerstag“? Es war das erste Mal, daß Lucent die Analystenschätzungen nicht einhalten konnte. Das Unternehmen sah sich gezwungen, eine Gewinnwarnung abzugeben. Für das vierte Quartal rechnet Lucent mit 36 bis 39 cents pro Anteilschein. Analysten rechneten nach Angaben von First Call mit 54 cents. Rund 28 % unter den Erwartungen lautet die Diagnose also. So viel hat die Lucent-Aktie dann auch etwa verloren – unerbittliche Börsenlogik. Woher kam aber der plötzliche Schwächeanfall? Ist es der Telekommunikationsmarkt oder Lucent? Die Antwort fällt sehr eindeutig aus. Lucent leidet unter seinen eigenen Problemen. Darin scheint sich Wall Street einig. Lieferschwierigkeiten und erhöhter Konkurrenzdruck bei Zubehör für Glasfasernetzwerke, eine miserable Buchführung und nicht zuletzt auch übertriebene Erwartungen haben diese harsche Korrektur verursacht.

Wurden die Aktien der Konkurrenz anfänglich ebenfalls verprügelt, so konnten sie sich schnell wieder erholen. Konkurrent Nortel Networks verlor im Instinet Handel am späten Donnerstag rund 9 %. Als das Management am Freitag jedoch beteuerte, daß Nortel in bester Verfassung sei und auch in Zukunft deutlich stärker als der Markt wachsen werde, schossen die Aktien in die Höhe. Am Freitag verteuerte sich Nortel um über 18 %. Des einen Freud, des andern Leid!

Momentan scheint es keine gute Idee zu sein, in Lucent zu investieren. Branchenkenner gehen davon aus, daß es mindestens ein halbes Jahr dauern wird, bis das Unternehmen wieder auf Vordermann gebracht ist – wenn überhaupt. Besonders im Markt für Glasfasersysteme scheinen Unternehmen wie Nortel oder auch kleinere Start-Ups Lucent das Leben schwer zu machen. Zwei Extremszenarien sind vorstellbar: Eine Möglichkeit ist, daß die Probleme im Cash-Management sich weiter beschleunigen und Lucent im Markt für optische Netzwerke weiter an Boden verliert und so an der Börse für immer ein „Loser“ sein (wie z.B. Digital Equipment seinerzeit) wird. Auf der anderen Seite könnte das Management die Lage wieder in den Griff bekommen, so daß die Aktie sich in alte und neue, unbekannte Höhen aufschwingen kann.

Das letzte Szenario ist allerdings keineswegs so wahrscheinlich, daß es ein Investment in Lucent rechtfertigen würde. In der Tat wäre es kein Investment, sondern nichts als eine Wette. Wenn Sie dennoch auch Lucent setzen, wünschen wir Ihnen „Viel Glück!“       

Die Kolumne erscheint in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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