Chuzpe ist zum Beispiel, wenn ein Delinquent Vater und Mutter erschlägt und dann vor Gericht um Milde bittet. Schließlich sei er ja Vollwaise. Wer über Jahre hinweg die finanzielle Grundversorgung breiter Teile der deutschen Bevölkerung außer Acht läßt und sich aus der Finanzierung des Mittelstandes zu einem großen Teil zurückzieht, muß sich nicht wundern, daß Mitbewerber erstarken. Schon die Gründung der Sparkassen in Deutschland geht letztlich auf die Tatsache zurück, daß die damaligen Bankhäuser das Potential im Retailgeschäft nicht erkannten. Nach Witwen- und Waisenkassen der Klöster entstanden aus philanthropischen Erwägungen heraus Sparkassen, um dem vielzitierten „kleinen Mann“ Bankdienstleistungen, die sich zunächst auf das Sparen beschränkten, anzubieten.

Was im Laufe von annähernd 200 Jahren daraus erwachsen ist, flößt nun offenbar den Leuten mit der Vorliebe für Beträge jenseits der Peanuts-Grenze Respekt, wenn nicht sogar Angst, ein. Der Versuch, einzelne Sparkassen per Akquisition aus dem Verbund herauszulösen, kann nur als ungeeignet gewertet werden. So schwächt man keinen Gegner. Diskutiert werden darf aber die zukünftige Rolle der Sparkassen-Organisation zum Beispiel bei der Deckung öffentlicher Haushalte.

Vor langen, langen Jahren erfolgten zumeist regelmäßige Ausschüttungen an die Gewährträger-Gemeinden. Diese Praxis ist etwas aus der Mode gekommen. Statt dessen thesaurieren die Institute die Gewinne. Es ist nichts dagegen einzuwenden, das Eigenkapital beständig zu stärken und durch Auffüllen der stillen Reserven die Risikotragfähigkeit zu verbessern. Doch so ganz ohne Ausschüttung erwächst ein Wettbewerbsvorteil, den Privatbanken zu Recht kritisieren.

Gewiß, Sparkassen unterstützen viele wichtige Projekte in ihren Geschäftsgebieten, und auch die Erziehung der Jugend zu verantwortungsvollem Umgang mit Geld, wie im Sparkassengesetz verankert, kostet Geld. Vielen Sparkassen wurde nie Kapital zur Verfügung gestellt (von begebenen Schuldverschreibungen abgesehen, davon soll hier nicht die Rede sein), das es zu verzinsen gilt.

Trotzdem: Es ist bemerkenswert, daß Politiker bei der Suche nach Geld noch nicht auf die Kassen gekommen sind. Jedenfalls nicht offiziell über Zahlungen, die nachvollziehbar in Kommunalhaushalte fließen.

Stefan Preuß

Die GoingPublic Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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