Es ist in jedem Jahr die gleiche Prozedur. Zum Ende des ansonsten so wonnigen Monats Mai steht eigentlich der Termin zur Abgabe der Steuererklärung an. Und das heißt, Hunderte von Belegen heraus zu suchen, aufzutippen und in entsprechende Kästchen riesenhafter Formulare einzutragen. Dabei steigt jedes Mal der große Hass auf und verdirbt die Freunden des allerschönsten Wetters. Denn was für einen Unsinn fabrizieren wir hier?!

Es gab einmal eine Zeit, da existierte bei uns ein rationales Steuersystem, in dem jeder nach seiner steuerlichen Leistungsfähigkeit besteuert wurde und in dem über die Progression bewusste Umverteilungseffekte von oben nach unten eingebaut waren. In diesen Zeiten war es zwar ebenso mühselig, einmal im Jahr eine individuelle Steuererklärung anzufertigen und einzureichen. Doch da hatte das wenigstens noch einen Sinn.

Heute hingegen besitzen wir ein Steuersystem, das nichts mehr mit einer rationalen Besteuerung nach Leistungsfähigkeit zu tun hat. Heute wird fast alles pauschal besteuert. Und ab dem nächsten Jahr gibt es zudem für einen Großteil der Einkommen keinerlei Progression mehr, so dass die Umverteilungseffekte von oben nach unten ausfallen, beziehungsweise sich in ihr Gegenteil wandeln und nun von unten nach oben verlaufen. Die Abgabe einer Einkommensteuererklärung wird dann in Gänze verzichtbar.

Doch natürlich verzichtet niemand darauf. Der Bürger wird weiter gequält, und Heerscharen von Beamten und anderen öffentlich Besoldeten prüfen dann letztlich nur noch völlig Nutzloses.

Ja, warum ist überhaupt noch eine Steuererklärung erforderlich? Alle Einkünfte werden heute direkt an der Quelle besteuert. Jeder Lohnempfänger bekommt die Steuer auf sein Einkommen bereits abgezogen. Und wer Kapitalerträge erzielt, für den ist es nicht anders, selbst wenn er sein Depot in der heiligen Schweiz führt. Und vom Konsum wird die Mehrwertsteuer ebenfalls direkt weggenommen. (Bei Selbständigen wäre es darüber hinaus eine einfache Verordnung, dieses Prozedere ebenfalls einzuführen.)

Also wozu jetzt noch der riesige Papierwust der Steuererklärungen? Damit derjenige, der 30 km zur Arbeit fährt, besser gestellt wird als derjenige, der nur 3 km fährt? Oder der Selbständige, der viele Kunden zum Essen einlädt, weniger Steuern zahlt als jemand, der das nicht tut?

Eigentlich dürfte das alles nicht wahr sein. Man weiß gar nicht, ob man lachen oder weinen soll. Wir haben ein ungeheures Monstrum geschaffen, das uns wie ein Vampir immer stärker aussaugt. Bürokratie ist durchaus notwendig in manchen Bereichen. Doch dort, wo sie überflüssig wird, sollte man sie auch aufgeben können.

Bernd Niquet

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