An diesem Dienstag, den 14. Oktober 2008, macht es mir am Vormittag gar keinen Spaß mehr, Aktien zu kaufen. Was soll man denn jetzt noch kaufen?, denke ich. Es ist doch schon alles unglaublich viel teurer als am Freitag. Und da ich weiß, dass ich mich von meinem Persönlichkeitsprofil her nicht dazu eigne, in steigende Kurse hinein zu kaufen, habe ich schon vorher gekauft. Damit liege ich natürlich noch im Minus, aber so ist das immer. Wie hat der alte Kostolany dazu immer so schön gesagt: Wer die Aktien nicht hat, wenn sie fallen, der hat sie auch nicht, wenn sie steigen.

Oder kaufen Sie jetzt tatsächlich? In allem Ernst? Mit voller Kraft in die Märkte hinein? Nein, das werden Sie nicht tun. Die guten Zeiten kommen nicht so schnell wieder, werden Sie denken. Doch vielleicht werden wir uns alle bald daran gewöhnen müssen, so etwas zu tun. Auch ich. Vielleicht nicht morgen oder übermorgen, aber in ein paar Monaten, einem halben Jahr oder einem Jahr.

Wir sollten uns die gegenwärtige Situation genau vergegenwärtigen. Wir befinden uns derzeit in einer Rezession. Sie mag durch die Finanzkrise schwerer werden als ohne. Doch noch niemals in der Geschichte der Wirtschaft ist die Geld- und Fiskalpolitik weltweit expansiver als im Moment gewesen. Und bei einem derartigen Trommelfeuer aus geldlichen und fiskalischen Stimulanzen kann es eine heftige Krise eigentlich nicht geben.

Nur ein paar Überlegungen dazu: Die US-Notenbank leiht derzeit direkt an Industrieunternehmen Geld. Gegen Commercial Paper, also blanko. In der Eurozone gibt es bei der Dollarleihe keine Begrenzungen mehr. Hier wird jetzt in unbegrenzter Höhe geliehen. In den USA hat sich die Zentralbankgeldmenge, die Geldmenge M0 – und jetzt halten Sie sich fest – binnen einer Woche schlichtweg verdoppelt! Hierin sind natürlich die Effekte des verstärkten Kassenaufbaus der Banken enthalten. Doch salopp gesprochen heißt das: So viel Munition war überhaupt noch niemals da. Jetzt muss nur noch geschossen werden. Und es wird geschossen werden!

Einen Vorgeschmack haben der Montag und der Dienstagvormittag gegeben. Selbstverständlich bleibt noch offen, ob der Interbankenhandel sofort anspringt. Aber bitte denken Sie daran: Jeder, der heute ein Asset verkaufen will, um selbst liquide zu sein, findet in der Summe mittlerweile einen Partner, der seinerseits dafür selbst keine Liquidität aufgeben muss, weil er (oder ein anderer) sich direkt bei der Notenbank refinanzieren kann.

Es gibt daher jetzt grob gesprochen zwei Möglichkeiten: Die erste ist, dass das ganze neu geschaffene Geld von den Unternehmen und Haushalten, von den Fonds und Versicherungen in voller Höhe als Kasse gehalten wird. Die Gesellschaft wäre dann so etwas wie ein vollgesogener Schwamm. Wir würden alle so viel Bargeld halten wie nie zuvor. Aus Sicherheitsaspekten. Und zu Nullzinsen. Die ganze Welt würde dann das Japan-Modell der 90er Jahre im Großen nachspielen.

Ist das realistisch? Auch damals, als die Bank of Japan so expansiv war wie heute beinahe alle Notenbanken der Welt, ist das Geld allerdings nicht in Japan als Cash gehalten worden. Sondern es ist verliehen worden in den Rest der Welt. Dadurch entstanden die „carry trades“. Da sich gegenwärtig die ganze Welt im Japan-Fall befindet, fällt diese Möglichkeit jedoch weg. Die ganze Welt kann das Geld nicht exportieren. Mit Mond, Mars und dem Weltraum sind keine carry trades zu machen.

Bleibt also nur noch der zweite Fall übrig: Wir werden versuchen, im Gleichschritt unsere Kasse wieder abzubauen. Das schaffen wir jedoch nicht. Das geht erst dann, wenn die Zentralbank mitspielt. Diese wird deshalb der anstehenden Inflation an den Wertpapiermärkten eine Weile lang beglückt zuschauen und dann die in der Krise aus den Märkten genommenen Assets wieder in den Markt zurück schleusen.

Damit kann sich dann die Liquidität sukzessive wieder abbauen. Und Staat und Notenbank haben die Marktwirtschaft nicht außer Kraft gesetzt, sondern sich als perfekt handelnde Marktteilnehmer erwiesen. Dieses Szenario ist eigentlich fast zu schön, um es zu glauben. Doch mir fällt kaum ein Weg ein, der daran vorbei führt. Richtiges Unbehagen habe ich erst vor der Zeit danach.

Bernd Niquet

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