In den letzten beiden Jahren gingen US-Unternehmen mehr und mehr dazu über, bei Investoren Vergebung für Management-Mißstände einzufordern. Dies geschieht, indem Abschreibungen auf exzessive Lagerbestände oder auch Kosten im Zusammenhang mit – größtenteils sozial unverträglichem – Stellenabbau als von einmaliger Natur anzusehen erbeten werden. Unter Ausklammerung derartiger angeblich einmaliger und nicht wiederkehrender Posten erleben Pro forma-Erträge eine beklagenswerte Blüte.

Wenn Mißmanagement als „einmalige Sonderabschreibung“ abgehakt werden darf, werden Unternehmen dazu ermutigt, die gleichen Fehler wieder und wieder zu begehen, da Strafen durch die Investorengemeinde nicht befürchtet werden müssen.

Jetzt könnte man einwenden, daß die Malaise der Konjunktur für sowohl das eine wie für das andere verantwortlich ist. Das stimmt nur zum Teil, denn während der letzten US-Rezessionen – 1991 und zuvor 1982 – haben die Unternehmen noch (halbwegs) korrekt nach US-GAAP bilanziert. 1982 stimmten die US-GAAP-Gewinne der Unternehmen und diejenigen, die Standard & Poor`s auswies, noch völlig überein. 1991 lag diese Übereinstimmung nur noch bei 82 %. Im letzten Jahr fiel die Übereinstimmung auf erschreckende 58 %! Und so stieg das KGV (nach US-GAAP) der S&P-Unternehmen von 8 im Jahre 1982 auf unglaubliche 43 im Jahr 2001.

Daraus läßt sich ganz deutlich die Begleiterscheinung (oder etwa das Fundament?) des längsten Bullenmarktes des letzten Jahrhunderts ablesen: Der Zwang – von wem auch immer oktroyiert –, immer noch bessere Ergebnisse auszuweisen, immer noch eins draufzulegen, um Investoren bei Laune zu halten. Ein Händler kommentierte die Studie mit den Worten: „Unterschätzen Sie nie die Möglichkeiten der Wall Street [gemeint ist hier der Verbund aus Brokern, Unternehmen, etc.], Anleger zu Investitionen zu befleißigen!“ Niemand respektiere die strengen US-GAAP-Rechnungslegungsvorschriften, weil es tatsächlich in niemandes Interesse ist, dies zu tun. Der Bullenmarkt muß, wie auch immer, am Laufen gehalten werden.

Nach dem Enron-Debakel und weiteren aktuellen Ungereimtheiten, etwa bei Cendant, Tyco u.a., erscheinen die Accounting-Prinzipien der US-Gesellschaften allerdings in einem ganz neuen Licht. Nicht zufällig brach die Wall Street gestern deutlich ein, und ebensowenig zufällig sagte gestern nacht US-Präsident Bush in seiner Rede an die Nation derartigen Gepflogenheiten publicitywirksam den Kampf an. Wenn es – wie zu erwarten ist (s.o.) – beim guten Vorsatz bleibt, sind in den nächsten Jahren weitere Implosionen à la Enron zu befürchten.

Die GoingPublic Kolumne erscheint jeweils montags, mittwochs und freitags in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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