Analyst zu sein, das ist in Zeiten der Baisse nicht immer ein Vergnügen. Mitunter gilt der geflügelte Spruch in der Branche: „Sag Mama nicht, daß ich jetzt als Analyst arbeite. Sie ist noch so stolz auf mich, weil ich Pianospieler im Nachtclub bin.“ Wie in jedem Berufszweig gibt es aber auch in diesem Bereich Überflieger. Leute, die nachweislich über Jahre hinweg mit ihren antizyklischen und gegen den Mainstream votierenden Empfehlungen nicht nur ihre Kollegen, sondern auch die Indexes schlugen.

Einer von ihnen ist Andrew McQuilling von UBS. Er empfiehlt derzeit die Aktie der Weight Watchers. Die notieren derzeit zwar nahe eines 52-Wochen-Tiefs, würden sich aber bald erholen. Im Moment befinden sich die Vereinigten Staaten von McDonald’s, Pizza Hut und KFC zwar im kollektiven Atkins-Diät-Rausch – aber wenn die 65 % übergewichtigen Amerikaner realisieren würden, daß die Diät gar nicht dauerhaft helfe, würden die alteingesessenen Ernährungsberater wieder zur alter Blüte kommen.

Der 11. September, der Irak-Krieg und die allgemeine Terror-Angst haben in den Bilanzen der Fluggesellschaften tiefe Spuren hinterlassen. Stagnierende oder zumindest langsamer als prognostiziert ansteigende Passagierzahlen sind auch nicht wirklich gute Nachrichten für Ziviljet-Hersteller. Joseph Campbell, Top-Analyst von Lehman Brothers, rät dennoch zu Airbus-Mutter EADS – mit klassisch antizyklischer Begründung: Der Fracht- und Passagierflug werde langfristig enorm wachsen. Was heute nicht in den Auftragsbüchern stehe, komme eben in ein oder zwei Jahren als Welle auf die Hersteller zu.

In kaum einer Branche findet man so viele „lame ducks“ wie im Automobilbau. In USA haben die Hersteller wegen der Rabattschlachten immense Margenprobleme, in Europa ist nur Porsche so richtig profitabel, und in Asien stehen sogar Konzerne auf der Kippe. Was Stephen Girsky von Morgan Stanley nicht hindert, einen Zulieferer heiß zu empfehlen: Lear, Spezialist für Innenraumgestaltung, habe eine hervorragende Marktposition, beste Aussichten und sei spottbillig.

Praktisch alle Institute haben die US-Immobilienbranche auf „Untergewichten“ gestellt, weil in Folge der Zinswende die Preisblase zu platzen drohe. Paul Puryear von Raymond James empfiehlt dennoch den Immobilienwert Toll Brothers. Die seien im nicht so zinssensitiven Hochpreisgeschäft unterwegs und deshalb ein Kauf.

Schwere Entscheidung: Ein kursmäßig ausgebombter Ernährungsberater im Land der Big Macs, ein Flugzeughersteller in den Zeiten der Terrorangst, ein Zulieferer in einer lame duck-Branche und eine Immobiliengesellschaft am Vorabend des Platzens der Preisblase. Empfohlen von den nachweislich erfolgreichsten Analysten der vergangenen Jahre. Wer traut sich also?

Stefan Preuß

Die GoingPublic Kolumne erscheint wöchentlich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

 

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