Wenn es um potentielle Übernahmekandidaten in der europäischen ISP-Szene geht, dann ist World Online neben der britischen Freeserve sicher einer der ersten Namen, der Marktbeobachtern einfällt. Von dem IPO-Debakel im Frühjahr konnte sich World Online bis heute nicht erholen. Momentan notiert das Papier bei gut 12 Euro, also weit unter dem Ausgabepreis von 43 Euro. Der freie Fall der Aktie begann, nachdem bekannt wurde, daß die damalige Chefin Nina Brink ihre eigenen Anteile bereits vor dem IPO nahezu vollständig verkaufte – und das zu 6 Euro! Mittlerweile wurde Frau Brink achtkantig „verabschiedet“ und durch den Ex-Microsoftie James Kinsella ersetzt. Auf eigene Faust wird Kinsella es aber nicht schaffen. World Online bestätigte heute Gerüchte, wonach man mit der italienischen Tiscali in Fusionsverhandlungen stehe.

Diese Gerüchte kamen, nachdem die World Online-Aktie in den letzten Tagen bereits stark angezogen hatte. Von ihrem Jahrestief bei 9,90 Euro ist die Aktie in kürzester Zeit auf über 12 Euro geklettert. Man befinde sich aber noch in einer sehr frühen Verhandlungsphase, bekräftigte Kinsella gegenüber der Presse. Ob der Deal also durchgeht, bleibt ungewiß. Ein vereintes Unternehmen hätte 5 Mio. Kunden und wäre damit in einer Liga mit den großen europäischen ISPs Wanadoo, T-Online und Terra/Lycos.

Ein Tiscali/World Online-Deal wäre auch kaum etwas, worauf es sich zu spekulieren lohnt. Eine hohe Prämie für World Online-Aktionäre scheint unwahrscheinlich. Ohnehin dürfte es ein All-Stock-Deal werden – Cash zu „verschenken“ hat Tiscali nicht. Erst vor wenigen Monaten mußten die Italiener eine Kapitalerhöhung an der Börse abblasen und stattdessen am Bond-Markt Geld einsammeln. World Online-Aktionäre dürften daher nur mit aufgeblasenen Tiscali-Anteilen entlohnt werden. Bei dieser Aussicht erscheint eine Übernahmespekulation wenig sinnvoll, ganz abgesehen davon, daß eine fusionierte Tiscali/World Online kaum zu den Lieblingen der Börse zählen dürfte.

Sollte der Tiscali-Deal keine Früchte tragen, dann könnte World Online für Spekulanten wieder interessant werden. Schließlich wäre ein größerer Übernahmepartner für die Niederländer attraktiver. Tiscali wird derzeit mit knapp 9 Mrd. Euro bewertet gegenüber rund 4 Mrd. Euro bei World Online. Ein größerer Player wie T-Online oder Wanadoo wäre sicherlich bereit, eine hohe Prämie für World Online zu zahlen – insbesondere wenn man bedenkt, welche Prämien die T-Online-Mutter Deutsche Telekom zu zahlen bereit ist. Die Telekom hat mit Tiscali ohnehin noch eine Rechnung offen, da sich die Italiener zu Gunsten von Hutchison Whampoa gegen eine Zusammenarbeit mit der Deutschen Telekom im italienischen UMTS-Geschäft ausgesprochen haben.

Ein Ende der Tiscali/World Online Gespräche wäre also alles andere als eine Katastrophe. Nachdem T-Online mittlerweile wieder am Ausgabepreis notiert, sind die Deutschen in Zugzwang. Bisher konnte sich T-Online noch nicht als Deal-Maker profilieren – ganz im Gegenteil, wenn man an die geplatzten Verhandlungen mit Freeserve denkt.

Dennoch sollten nur Hartgesottene in World Online investieren, die einem soliden Investment den Nervenkitzel vorziehen.

Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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