Vor allem jenseits des Atlantiks wird oftmals argumentiert, daß Händler sich nicht positionieren wollten, weil die wichtigen Wirtschaftsdaten XY oder die nächsten richtungsweisenden Quartalsergebnisse anstünden. Wenn diese dann heraus sind, sich trotzdem aber niemand engagiert, beginnt das Spielchen wieder von vorne. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß viele nach der Devise handeln: Wer den ersten Schritt tut – verliert!

Was sich in guten Börsenphasen zum Selbstläufer entwickelt, hat in unsicheren Zeiten praktisch keine (positive) Auswirkung auf die Aktienkurse – im Gegenteil. Gute Quartalszahlen oder gar das Übertreffen der Erwartungen sind jetzt einfach nicht mehr ausreichend. Man kann bekanntlich einige Leute eine Zeit lang zum Narren halten, jedoch nicht alle Leute immer und ewig. Das wußte sogar schon Abraham Lincoln. Einige Wachstumstitel hatten sich in den letzten Jahren derart weit von ihren realen Wachstumsmöglichkeiten entfernt, daß das Unweigerliche eintreten mußte – selbst gute oder hervorragende Geschäftszahlen zeigen keine Wirkung mehr, wenn die Erwartungen in der Vergangenheit schon zum Himmel geschraubt worden waren. Doch dort kann man sich entgegen landläufiger Meinung auch nicht für ewig aufhalten.

Das bekamen unlängst auch die beliebtesten Wachstumsunternehmen zu spüren. Cisco, der Spezialist für Netzwerk-Infrastruktur, präsentierte in seinen letzten Quartalszahlen ein Wachstum, das gemessen an der Größe des Unternehmens, schier unglaublich war. Aber selbst 40 bis 50 % Umsatzwachstum reichten nicht mehr aus, um den Kurs zu beflügeln. Statt dessen rückte in den Vordergrund, daß das Kurs-Gewinn-Verhältnis von knapp 100 auf Basis der geschätzten Gewinne für das laufende Jahr immer noch unverhältnismäßig hoch erscheint. Was im vergangenen Jahr noch für eine Kursexplosion gesorgt hatte – Cisco konnte bislang immer übertreffen – führte dieses Mal zu einem Ausverkauf der Cisco-Papiere. Diese haben mittlerweile bei rund 49 US-$ ihr Jahrestief erreicht.

Noch schlechter erging es einem weiteren Shooting Star der vergangenen Jahre, dem finnischen Mobilfunkkonzern Nokia. Zwar konnten die Skandinavier im Sommer eine abermalige Steigerung bei Umsatz und Gewinn von circa 50 % bekanntgeben, doch auch das war nicht (mehr) ausreichend. Der dezente Hinweis, daß man in den kommenden Quartalen „dieses Wachstum wahrscheinlich nicht mehr beibehalten“ könne, führte zu einem drastischen Kurseinbruch bei Nokia. 30 % langfristiges Wachstum sind zu wenig für ein Unternehmen, das sich in den vergangenen drei Jahren schlichtweg zu weit von den fundamental möglichen Wachstumsraten entfernt hatte. Offenbar kann man ein und derselben Person nicht mehrere Handys andrehen – die Wachstumsraten haben im Mobilfunk den Punkt des maximalen Wachstums überschritten.

Weitere Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit sind der Chip-Hersteller Micron Technologies, das Internet-Portal Yahoo, u.v.a. mehr. Keines dieser Unternehmen profitierte von der Bekanntgabe über den Erwartungen liegender Quartalszahlen – „gut“ ist in Zeiten wie diesen bei weitem noch zu wenig. Das belegt, daß sich die Börsianer nur in Hausse-Phasen an Quartalszahlen aufhängen können. Erwartungen werden übertroffen, Empfehlungen folgen, und die Hausse bleibt am Leben. Das sind die Spielregeln. Erinnern Sie sich eigentlich noch an ein Unternehmen des Neuen Marktes, das überragende Quartalszahlen melden konnte? Nein? Und genau das scheint der Grund zu sein, warum der Neue Markt noch viel stärker in die Knie ging als die US-Computerbörse Nasdaq.

Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.

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