Das gewohnte Bild beim Öffnen des eMail-Accounts. Die tägliche Ration Werbemails. „Ten stocks to buy now“, drei Ausrufezeichen dahinter und ein Link. Schön. Danke. Gelöscht. Genauso wie die Kaufempfehlung für Nokia und die „Herbstreise-Schnäppchen“. Man sollte gewissenhafter mit seiner eMail-Adresse umgehen. Beim Blick über die Betreffspalte dann etwas Ungewöhnliches. „Bitte lesen und unbedingt weiterleiten!“ Einer dieser unsäglichen Kettenbriefe, die ihren epidemischen Weg in die virtuelle Welt erfolgreich gegangen sind? Es sieht so aus. Löschen? Die Neugier siegt.

Dieser hier sieht nach einer der Kategorie Hilferuf aus. Gleich der erste Satz, sachlich aber dringend formuliert. „Es geht mir schlecht, so schlecht, daß ich mir selbst nicht mehr zu helfen weiß. Darum wende ich mich an Sie. Genau genommen geht es gar nicht um mich, sondern um jemanden, der mir sehr nahe steht. Keine Person, eher eine Gesellschaft.“ Was soll das denn sein?! Welche Gesellschaft? Ich lese weiter.

„Wir, das heißt die Gesellschaft, brauchen Geld, viel Geld sogar. Wir haben Schulden gemacht in den letzten Jahren. Soviel, daß wir sie nun nicht mehr begleichen können. Es sind schon fast 70 Mrd. Euro. Eine unglaubliche Summe, ich weiß. Aber wir wollten weit kommen mit der Gesellschaft. Global Player, Markführer und so. Sie wissen, was ich meine. Wir haben viel investiert. Zahllose Unternehmen gekauft. Geradezu kaufwütig waren wir. Und um ehrlich zu sein, aufs Geld haben wir dabei nicht besonders geachtet. Ich und meine Kollegen haben gut verdient. Geld, Macht, Ansehen. Die ganze Palette. Aber dann war auf einmal alles anders. Die gekauften Unternehmen entpuppten sich viel zu oft als Fehlinvestition. Besonders die im Ausland. Aber wer hätte das ahnen können, frage ich Sie? Vor drei Jahren sah alles noch nach einer goldenen Zukunft aus. Merde.“

Klingt wütend denke ich – und nach einer wohlüberlegten Expansionsstrategie, damals zumindest. Aber egal. „Um nicht zu ausschweifend zu werden, nun meine Bitte. Wir brauchen ungefähr 10 bis 15 Mrd. Euro. Das ist viel. Ich erwarte nicht, daß Sie den gesamten Betrag überweisen. Geben Sie so viel, wie Sie sich zutrauen. Jeder Euro hilft! Im Austausch würden Sie natürlich Anteile an der Gesellschaft erhalten. Und noch etwas: Bitte senden Sie diese eMail an mindestens neun Bekannte und Geschäftspartner weiter! Merci pour Votre assistance. Michel B.“

Ein gewagtes Vorhaben von diesem Michel B. hat. Warum sollte jemand jetzt die Zeche zahlen für die verfehlte Konzernpolitik der vergangenen Jahre? Was für eine Perspektive kann er den Investoren jetzt noch geben? Da ist sehr viel Vertrauensarbeit nötig! Ich wünsche ihm das Allerbeste, aber zeichnen werde ich wohl kaum. Die Zeit drängt. eMail gelöscht.

Kurz vorm Wegklicken des eMail-Accounts schon die nächste neue Nachricht. „Brauche Ihre Hilfe. Dringend!!!“ Der Absender: Gerhard S. Ich frag’ mich nur, ob das jetzt der Bundeskanzler ist oder doch nur der MobilCom-Pleitier…

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