Und die Moral aus der Geschicht´ rund um österliche Rhetorik-Übungen: Beide Seiten scheinen mit ihrem Latein komplett am Ende. Die rot-grüne Koalition hat sich mit den bisherigen Reformen bis zur absoluten Schmerzgrenze vorgetastet. An der Basis und auch beim Wahlvolk sind weitere einschneidende Maßnahmen nicht mehr vermittelbar. Die geplante Absenkung des Körperschaftssteuersatzes auf 19 Prozent dürfte das letzte Aufbäumen gewesen sein. Unter Hinweis auf die Tatsache, daß ohnehin kein Unternehmen den bisherigen Satz von 25 Prozent abführt, mag die Maßnahme noch durchrutschen. Mehr geht aber nicht. Das spürt der Kanzler, und deshalb der Angriff. Profil schärfen nennen Partei-Taktiker solches Verhalten, das nur einen Schluß zuläßt: Hier ist jemand mit dem Latein am Ende.

Von Seiten der Hundts, Brauns, Kannegießers und so fort wartet man indes auch weiterhin vergeblich auf wirklich konstruktive Vorschläge, die in ihrer Gesamtheit als Konzept zu bezeichnen nicht zu kühn und die überdies geeignet wären, die Menschen mit auf eine gemeinsame Reise in eine erfolgreiche Zukunft zu nehmen. Die fast schon ritualisierte Form des Rufes nach Sozialabbau in den verschiedensten Bereichen ist doch sehr ernüchternd. Offensichtlich sind auch diese Herren mit ihrem Latein am Ende. Es macht sich schlicht nicht gut, wenn die 30 DAX-Unternehmen im Schnitt 1,2 Milliarden Euro in 2004 verdienen und trotzdem Mitarbeiter in Deutschland en masse entlassen werden.

Wo soll das hinführen? Die Anfang der Woche vorgestellte repräsentative Studie von infratest-dimap läßt nichts Gutes erahnen: 45 Prozent der Arbeitslosen in der Bundesrepublik sehen einen wesentlich Grund für ihre Erwerbslosigkeit darin, daß Ausländer ihnen Jobs wegnehmen. Und zwei Drittel prophezeien ein Erstarken der Rechtsradikalen, wenn die Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht bald gelöst würden. Spätestens solche Zahlen sollten alle Beteiligten aufwecken. Doch stattdessen ist die gegenseitige Schuldzuweisung bereits im Gange. Und die Opposition? Reitet auf einer tatsächlichen oder vermeintlichen Visa-Affäre herum, als ob das auch nur einen einzigen Arbeitslosen interessieren würde.

Bislang haben es Rechtsradikale nur in Länderparlamente geschafft. Man sollte es nicht so weit kommen lassen, daß sie 2006 in den Bundestag einziehen. Dafür müssen sich Politik und vor allem die Wirtschaft wieder auf die Gemeinsamkeit der sozialen Marktwirtschaft besinnen. Die sieht in den Zeiten der Globalisierung anders aus als zu Erhardts Zeiten, gewiß, im Kern führt aber kein Weg an ihr vorbei. Ein einschlägig desaströses Wahlergebnis würde vor allem ausländische Investoren vor Engagements  in Deutschland abhalten oder sie zum weiteren Rückzug bewegen. Das würde erneut Arbeitsplätze hierzulande kosten und den Ausbruch aus der Abwärtsspirale weiter erschweren. 

Stefan Preuß

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