Abivax ist ein französisches Biotechnologieunternehmen mit zwei Produktkandidaten in der klinischen Entwicklung: ABX464, ein Medikament mit einem neuen Wirkmechanismus und großem Potenzial zur Behandlung von entzündlichen Erkrankungen und HIV sowie ABX196, ein Immuntherapeutikum zur Behandlung von Leberkrebs.

 

Herr Prof. Ehrlich erläutern Sie uns kurz das Alleinstellungsmerkmal der Abivax.

Abivax wird von einem sehr erfahrenen Management geführt. Die Mitglieder des Vorstandes verfügen jeweils über zwischen 20 und 35 Jahre Erfahrung in der Biotechnologie und Pharmabranche. Seit seinem Börsengang im Jahre 2015, übrigens mit einem Volumen von 57,7 Mio. EUR aufgebrachten Kapital immer noch das größte IPO im Biotechnologiesegment in der Geschichte der Euronext Paris, hat sich Abivax auf die Entwicklung von Medikamenten für Krankheiten mit einem hohen medizinischen Bedarf und einem großen Marktpotential fokussiert.

Wir arbeiten in unserer Forschung eng mit der nationalen französischen Forschungsorganisation CNRS („CentreNational de la Recherche Scientifique“) in Montpellier zusammen. Unter der Leitung von Professor Jamal Tazi betreiben wir ein gemeinschaftliches Labor und können so von der exzellenten Grundlagenforschung dieses Instituts profitieren. Das CNRS ist vergleichbar mit der deutschen Max-Planck-Gesellschaft, allerdings wesentlich größer und weniger eng fokussiert.

 

Abivax hat verschiedene Wirkstoffkandidaten in der Pipeline. Auf welchem Kandidaten ruhen die größten Hoffnungen?

Natürlich auf unserem Leitkandidaten ABX464. Dieser Wirkstoff hat einen einzigartigen Wirkmechanismus. Er hat zum einen in der Behandlung von HIV zu spektakulären Ergebnissen geführt, hat aber durch seine starken entzündungshemmenden Eigenschaften auch für die Behandlung entzündlicher Erkrankungen großes Potenzial.

Der Wirkmechanismus von ABX464 beruht auf einer Modulation des Spleißvorgangs von (HIV-)RNA. ABX464 erhöht die Spleißrate der Virus-RNA, das heißt das Herausschneiden bestimmter Bereiche aus dem RNA-Molekül, und verhindert dadurch die Replikation oder Vermehrung des Virus. Durch das Spleißen wird aber nicht nur die Vermehrung des Virus verhindert, sondern selektiv auch die Bildung von miR-124 beschleunigt oder hochreguliert, einer stark entzündungshemmend wirkenden Mikro-RNA. Dieser Effekt begründet das Potential von ABX464 als neuartigen Wirkstoff in der Behandlung von entzündlichen Krankheiten und der Wirkstoff liegt damit aktuell auch im Fokus unserer Forschungsarbeit. In mehreren Phase-2a-Studien an über 200 Probanden und Patienten mit Colitis ulcerosa, einer Form der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, hat das Medikament eine ausgezeichnete Verträglichkeit, hohe Anwendungssicherheit und herausragende therapeutische Wirksamkeit mit einer statistischen Relevanz in den wesentlichen klinischen und endoskopischen Endpunkten gezeigt. In einer Erhaltungsstudie konnte darüber hinaus die weitere klinische Verbesserung des Krankheitsbildes bei den Patienten über mindestens sechs Monate gezeigt werden. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass der Wirkstoff im Gegensatz zu den meisten zugelassenen Produkten oral eingenommen wird, was die Medikation sehr vereinfacht und für den Patienten wesentlich angenehmer ist.

Mit dem Einstieg von ABX464 in die Phase 2b zur Behandlung von Colitis ulcerosa in den kommenden Monaten ist das Medikament der am weitesten entwickelte Kandidat im Portfolio von Abivax. Es ist geplant, ABX464 auch für andere entzündliche Erkrankungen weiterzuentwickeln. Wir haben bereits mit der Vorbereitung von Phase-2a-Studien in den Indikationen Morbus Crohn und rheumatoide Arthritis begonnen.

 

Vor wenigen Tagen hat Abivax die Zusage der FDA für eine klinische Phase 1/ 2 mit dem Wirkstoff ABX196 gegen Leberkrebs erhalten. Wann rechnen Sie mit belastbaren Ergebnissen?

Ja, das stimmt. ABX196 zeigte bereits in präklinischen Tiermodellen für Leberkrebs eine starke Wirksamkeit: es reduzierte das Tumorwachstum (Bestimmung mit Hilfe der Magnetresonanztomographie, MRT) und erhöhte die Überlebensrate. In einer bereits abgeschlossenen klinischen Phase-1-Studie an gesunden Probanden zeigte der Wirkstoff ein gutes Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil sowie die Aktivierung von invarianten natürlichen Killer-T-Zellen (iNKT-Zellen), eine Untergruppe der Lymphozyten, die eine wesentliche Rolle bei einer effizienten Immunreaktion spielen.

Krebszellen bilden Proteine, die das Immunsystem für diese Zellen blind machen. Checkpoint-Inhibitoren blockieren diese Proteine und machen die Krebszellen damit für das Immunsystem wieder sichtbar und angreifbar. Wir denken, dass ABX196 mit seinem Immunzellen-stimulierenden Effekt die Wirkung von Checkpoint-Inhibitoren signifikant verbessern kann.

Die Genehmigung der FDA ermöglicht es uns, ABX196 in Kombination mit dem Checkpoint-Inhibitor Nivolumab (Opdivo, Bristol Myers Squibb) in einer neuen klinischen Studie der Phase 1/2 zur Behandlung von Patienten mit Leberkrebs zu untersuchen. Die Studie wird am Scripps MD Anderson Cancer Center (San Diego, Kalifornien) sowie an weiteren führenden Krebszentren in den USA durchgeführt. Der erste Patient wird voraussichtlich im Juni dieses Jahres in die Studie eingeschlossen. Die ersten Ergebnisse erwarten wir dann gegen Ende 2020.

 

Neben Krebs will Abivax mit seinen Wirkstoffen auch entzündliche Erkrankungen und virale Infektionen adressieren. In welchem Segment sehen Sie das höchste Marktpotenzial?

Alle von uns adressierten Bereiche haben ein großes Marktpotenzial.

Im Bereich chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED, Colitis ulcerosa plus Morbus Crohn) wurde im Jahr 2017 Studien zufolge ein Umsatz mit Arzneimitteln von etwa USD 15 Milliarden erzielt. Das Marktpotenzial für die gesamte Bandbreite der entzündlichen Erkrankungen, einschließlich der neuro-inflammatorischen Erkrankungen, wird zurzeit auf über 70 Mrd. USD geschätzt.

Für Therapeutika in der Onkologie liegt das Marktvolumen derzeit bei ca. 130 Mrd. USD.

Für uns entscheidend wird sein, welche konkreten Indikationen wir für unsere Produkte sichern können. Aber selbst relativ „kleine“ Indikationen, wie zum Beispiel Leberkrebs mit einem Marktvolumen von ca.  600 Mio. USD, sind für Abivax ausgesprochen attraktiv. Dieser Markt hat trotz neuer innovativer Therapien, wie Checkpoint Inhibitoren, immer noch einen hohen medizinischen Bedarf, da derzeit nur ca. 20% der Leberkrebs-Patienten auf diese Therapien ansprechen. Hier könnten wir mit ABX196 wirklich einen positiven Beitrag leisten.

 

Ihr Unternehmen ist bereits an der Euronext notiert. Erfahrungsgemäß benötigt man für die Durchführung weiterer klinischer Zulassungsstudien eine große Menge Kapital. Wie wollen Sie dieses aufbringen?

Sollte unser Newsflow wie erwartet positiv sein, sind wir sehr zuversichtlich, dass uns der Kapitalmarkt weitere Optionen für eine Kapitalerhöhung einräumt. Dabei ziehen wir auch die Möglichkeit eines zusätzlichen Börsengangs an die Nasdaq in Betracht. Parallel dazu diskutieren wir auf Basis unserer hervorragenden klinischen Daten den Zeitpunkt eines Partnerings mit einem global tätigen Pharma- oder Biotech-Unternehmen. Die Betonung liegt dabei auf dem Wort „Zeitpunkt“: Wir haben immer gesagt, dass wir ABX464 spätestens nach Abschluss der Phase 2 und vor dem Eintritt in die Phase 3 verpartnern wollen, aus heutiger Sicht also gegen Ende 2020. Mit den ausgezeichneten Daten der Phase 2a in Colitis ulcerosa könnte das jedoch bereits auch schon früher erfolgen.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.