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Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat das Jahr der Wissenschaft ausgerufen. Im Mittelpunkt steht die Bioökonomie. Akteure aus Wissenschaft und Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sind aufgefordert, neue Denk- und Handlungsansätze zu entwickeln. Welche Rolle spielt die Biotechnologie? Und wie können deutsche Biotech-Unternehmen einnehmen?

 

Dabei geht es um nichts weniger, als die Transformation von einer marktwirtschaftlichen und Erdöl-basierten Wirtschaft hin zu einer neuen Marktwirtschaft, in der fossile Ressourcen durch nachwachsende Rohstoffe ersetzt werden. In Zeiten von Klimawandel, knapper werdende Ressourcen und einer stetig wachsende Weltbevölkerung ist ein Umdenken erforderlich. Die Bioökonomie will Alternativen bieten. Sie setzt auf die biologischen Ressourcen von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen. Nachhaltige Verfahren und geschlossene Stoffkreisläufe, Stichwort Kreislaufwirtschaft, sollen Ressourcen und Umwelt schonen. Klingt gut.

Produktionsprozesse umgestalten

Und in der Realität? Im Zuge des Strukturstärkungsgesetzes für die Braunkohleregionen und dem Klimaschutzprogramm der Bundesregierung erhält auch die Bioökonomie in Deutschland einen praktischen Rahmen. Will man die 2015 in Paris vereinbarten Klimaschutzziele erreichen, so gilt es nicht nur schnellstmöglich auf erneuerbare Energie umzustellen, auch die Nutzung erneuerbare Kohlenstoffquellen muss erheblich forciert werden. „Die Transformation unserer heutigen Industrie in eine biobasierte, nachhaltige und wissensbasierte Wirtschaft ist aus verschiedenen Gründen unabdingbar. Einer der wichtigsten und umfassendsten Herausforderungen ist der Klimawandel“, bestätigt auch Dr. Viola Bronsema, Geschäftsführerin von BIO Deutschland. Um hier gegenzusteuern, müsse man Produktionsprozesse so umstellen, dass sie im Idealfall CO2-neutral werden. Zudem müssten Ressourcen geschont und wiederverwertet werden, um den Verbrauch von fossiler und neuer Biomasse zu reduzieren. „Wir müssen die Wirtschaft von einer verbrauchenden in eine wieder- und weiterverwertende umwandeln“, unterstreicht Bronsema.

Der Verband engagiert sich seit vielen Jahren auf dem Gebiet der Bioökonomie. Seit 2012 ist bei BIO Deutschland die Arbeitsgruppe Industrielle Bioökonomie, die im regelmäßigen Austausch mit den Verantwortlichen in der Regierung, in den Ländern und in den Bundestagsfraktionen steht“, erklärt Viola Bronsema. Man sei beispielsweise in der Dialog-Plattform Industrielle Bioökonomie des Bundeswirtschaftsministeriums sehr aktiv engagiert und leite auch im Bundesverband der Deutschen Industrie die Arbeitsgruppe zum Thema. „Dieses Jahr planen wir verbandsseitig zudem das Konzept unseres Biophorie-Ideenwettbewerbs auszuweiten, den wir zum Themenjahr ‚100 Jahre Biotechnologie‘ 2019 ins Leben gerufen hatten“, erklärt die Geschäftsführerin von BIO Deutschland. Mit interaktiven Formaten, in denen die interessierte Öffentlichkeit Szenarien entwerfen kann, wolle man zeigen, wie die Biotechnologie den Alltag der Menschen in der Zukunft verändern wird. „Auch unsere Informationsplattform www.100Jahre-biotech.de und unser Twitter-Kanal @100JahreBiotech werden kontinuierlich weiter mit spannenden Storys aus der Bioökonomie gefüttert“, so Bronsema weiter.

Bislang kaum belastbare Daten

Ein wesentliches Problem scheint aber auch die Faktenlage zu sein. So ist der tatsächliche Stand der Bioökonomie in Deutschland bislang kaum zu bewerten. So werden beispielsweise bioökonomische Produkte in der hiesigen Außenwirtschaftsbilanz nicht gesondert ausgewiesen. Andere Länder, beispielsweise Finnland, zum dies bereits. Auch in punkto Begrifflichkeit, also was tatsächlich Bioökonomie oder dergleichen bioökonomische Dienstleistungen tatsächlich sind, gibt es in Deutschland keine einheitliche Definition. Die vorliegenden statistischen Daten der Bundesregierung seien nicht belastbar, hieß es in einer Antwort auf eine Anfrage der FDP aus dem vergangenen Jahr.

Im Jahrbuch 2019/2020 von BIO Deutschland wird immerhin ein Jahresumsatz von 360 Mrd. EUR mit bioökonomischen Produkten genannt, davon allein 297 Mrd. EUR in Biomasse verarbeitenden Branchen wie Pharma, Chemie, Papier oder Holzverarbeitung. Da ist noch Luft nach oben! Entscheidend ist aber, dass auch deutsche Unternehmen, gefördert durch das Bundeswirtschaftsministerium, sich zunehmend die Märkte für Bioökonomie erschließen können. Eine Reduzierung auf Landwirtschaft und Forschung ist langfristig wenig renditeförderlich.

Fazit

„Wir wünschen uns, dass die zentrale Bedeutung der Biotechnologie für die Bioökonomie entsprechend honoriert wird. Das geschieht unserer Ansicht nach noch zu wenig“, meint auch Viola Bronsema. Es wäre wichtig, die Biotechnologie auch als Schlüsseltechnologie zu benennen und entsprechende Forschungs- Entwicklungsprojekte umfassend zu fördern. Außerdem sei es beunruhigend wie lange es dauert, ein an die Wirtschaft gerichtetes Förderprogramm Bioökonomie aufzulegen. „Zudem warten wir noch immer auch die im Koalitionsvertrag angekündigte Bio-Agenda, die für einen ganzheitlichen und erfolgreichen Ansatz sehr sinnvoll ist“, so Bronsema.

Schlussendlich darf man wohl das Orakel befragen, ob diese Agenda in der laufenden Legislaturperiode noch verabschiedet wird. Angesichts früherer Erfahrungen mit der Bundespolitik bleibt ein gewisses Misstrauen. Und so drohen Hoffnungen und tatsächliche Ergebnisse in einem Missverhältnis zu enden. Dabei wären frühzeitige Förderprogramme ein wichtiger erster Schritt, um im Wissenschaftsjahr 2020 auch wirtschaftlich den Anschluss nicht zu verpassen.

Autor/Autorin

Holger Garbs ist seit 2008 als Redakteur für die GoingPublic Media AG tätig. Er schreibt für die Plattform Life Sciences und die Unternehmeredition.