Herr Dr. Setz, ImmunoLogik hat sich dem Kampf gegen HIV-Infektionen verschrieben. Mit welchem Alleinstellungsmerkmal wollen Sie diesen Kampf gewinnen?

Momentan leben weltweit mehr als 36 Mio. Menschen mit einer HIV-Infektion und demnach mit der Gefahr, früher oder später an AIDS zu erkranken. Obwohl diese ursprünglich tödlich verlaufende Infektionskrankheit dank der inzwischen verfügbaren antiretroviralen Therapie in eine chronische Krankheit umgewandelt wurde, muss man sich immer bewusst sein, dass das Virus ein Leben lang im Körper erhalten bleibt und nur durch die Einnahme der Therapie unterdrückt wird. Die Standardtherapie richtet sich mit einer Reihe von Medikamenten gegen virale Bausteine. Aufgrund der hohen Mutationsrate des Virus entstehen jedoch ständig neue Virus-Varianten, die zunehmend gegen die bestehenden Medikamente resistent sind. Außerdem haben die Medikamente starke Nebenwirkungen und können von einer größeren Zahl von Patienten nicht dauerhaft eingenommen werden.

Unser Wirkstoff attackiert im Gegensatz zur Standardtherapie nicht Bausteine des Virus, sondern gezielt ganz bestimmte Bausteine der Wirtszelle, welche für die Vermehrung von HIV essenziell sind. Dadurch soll die Entstehung resistenter Virusvarianten erheblich reduziert werden und den betroffenen HIV-Infizierten ohne Therapiealternative wieder eine lebensrettende Chance gegeben werden.

Die Mutationsrate des HIV-Virus‘ ist sehr hoch. Was sind unter diesen Voraussetzungen die besonderen Herausforderungen für die Entwicklung eines wirksamen Wirkstoffes gegen AIDS?

HIV besitzt tatsächlich sogar die höchste bekannte Mutationsrate überhaupt, sie ist millionenfach höher als die des menschlichen Genoms. Noch immer sterben jährlich ca. 22.000 HIV-infizierte Menschen allein in West-und Mitteleuropa sowie Nordamerika aufgrund von Resistenzen und Unverträglichkeiten gegen die bestehenden HIV-Medikamente an den Folgen von AIDS. Neue Medikamente müssen daher zum einen eine deutlich verringerte Gefahr der Resistenzbildung aufweisen und zum anderen gut verträglich sein.

Dr. Christian Setz, Geschäftsführer, ImmunoLogik GmbH: „Wir wollen weiteres Kapital bis zu 500.000 EUR einzusammeln.“ Bild: ImmunoLogik GmbH
Können Sie ein Marktpotenzial beziffern?

Die Zahlen in der HIV-Therapie sind sehr groß, weil HIV leider auch ein sehr großes globales Problem ist. Weltweit werden insgesamt 24,3 Mrd. USD mit HIV-Medikamenten umgesetzt. Davon entfallen 80%, d. h. 19,4 Mrd. USD, auf die EU und die USA. Davon wiederum entfallen 15,5 Mrd. USD auf lediglich sechs Länder – USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien.
Da HIV nicht heilbar, aber behandelbar ist muss eine HIV-Behandlung ein Leben lang erfolgen. Die jährlichen Behandlungskosten pro Jahr betragen im Durchschnitt 20.000 USD pro Patient. Falls jemand mit 25 Jahren HIV-positiv diagnostiziert wird und bis zu seinem natürlichen Tod mit 75 Jahren diesbezüglich behandelt wird, ergeben sich Gesamtkosten aus 20.000 USD mal 50 Jahre von insgesamt ca. einer Mio. USD.
Gemäß unserer Ertragsentwicklung gehen wir konservativ davon aus, dass ein potenzieller Lizenzpartner in den zehn Jahren der Medikamentenentwicklung bereit ist, Lizenzzahlungen in Höhe von 55 Mio. EUR zu leisten, um sich Rechte am Wirkstoff IML-106 und dessen Vermarktung in dem oben beschriebenen Milliarden-Markt zu sichern. Dass unsere konservative Annahme realistisch ist, wird gestützt durch vorangegangene Beispiele mit Lizenzierungs- bzw. Verkaufsvereinbarungen von HIV-Medikamentenentwicklungen. Dort wurden Erlöse zwischen 286 Mio. USD und 620 Mio. USD pro Projekt erzielt.

Im November vergangenen Jahres hat ImmunoLogik eine Crowdinvesting-Kampagne auf der Plattform aescuvest gestartet. Wie ist der Stand der Dinge und wofür wollen Sie das neu gewonnene Kapital einsetzen?

Wir haben mit der Kampagne einen sehr erfolgreichen Start hingelegt und haben die Fundingschwelle von 100.000 EUR bereits an Weihnachten geknackt. Damit war die Kampagne sehr früh erfolgreich. Inzwischen sind wir mit der Kampagne bei ca. 142.000 EUR angelangt und streben an, mit zunehmender Dynamik  in den verbleibenden vier Wochen noch weiteres Kapital bis zu 500.000 EUR einzusammeln.  Unsere primäre Zielsetzung ist es, mit dem eingeworbenen Geld umfangreiche und belastbare vorklinische Erkenntnisse über den Wirkstoff IML-106 zu gewinnen sowie die chemische Synthese zu entwickeln. Damit soll bewiesen werden, dass sich IML-106 in den Bereichen Herstellung, Stabilität und Leistungsfähigkeit für die weitere Entwicklung eignet. Im gleichen Zeithorizont wollen wir strategische Partner oder Investoren für die weitere klinische Entwicklung ab Ende 2019 identifizieren.

Warum haben Sie bewusst den Weg des Crowdinvestings gewählt? Sicher sind doch auch klassische VC-Investoren an der Entwicklung eines Wirkstoffes gegen HIV interessiert.

Wir haben diesen ungewöhnlichen Weg in der Branche der Medikamentenentwicklung hauptsächlich aus zwei Gründen gewählt: Wir wollten der Crowd die Chance geben, als Kleinanleger früh bei dieser Entwicklung dabei zu sein und von den Wertsteigerungen zu profitieren. Kleinanleger mit einzubeziehen wäre zu einem späteren Zeitpunkt kaum mehr möglich. Zusätzlich dazu wollen wir auch den klassischen Weg gehen und für weiterführende Entwicklungsschritte VC-Investoren und Partner in der Pharmaindustrie für unser Projekt gewinnen.

Durch die öffentlich geführte Crowdfunding-Kampagne erreichen wir ein breites Publikum. Es ist auch mir persönlich ein sehr wichtiges Anliegen, die Öffentlichkeit und hier vor allem junge Menschen für die immer noch bestehende Problematik einer HIV-Infektion zu sensibilisieren. Dieses Thema ist in den letzten Jahren immer mehr in den Hintergrund geraten und spielt in der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit kaum noch eine Rolle. Eine HIV-Infektion ist jedoch immer noch sehr ernst zu nehmen, denn beim Versagen der Standardtherapie ist HIV nach wie vor eine tödliche Infektion.

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