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Der Biotechsektor boomt – und dies nicht zuletzt aufgrund immer vielfältigerer Einbindung von Systemen künstlicher Intelligenz (KI). In den letzten Jahren konnten an der Schnittstelle von Pharma, Biotech und Gesundheitsforschung vor allem durch die Verfügbarkeit immer größerer (Trainings-)Datensätze und erheblicher Verbesserungen der Rechenleistung enorme technische Fortschritte erzielt werden. Dabei wirft der Umgang mit KI-Systemen verschiedene rechtliche Fragen auf, die im folgenden Beitrag näher beleuchtet werden.

Die KI-Systeme, denen dabei die meiste Aufmerksamkeit zuteil wird, befassen sich häufig mit Mustererkennung und werden nach dem Training mit Hunderttausenden von Beispielen aus text-, sprach- und bildbasierten Daten immer genauer. Mögliche Anwendungen von KI reichen dabei von Systemen in der medizinischen Forschung über Diagnosewerkzeuge und Behandlungsempfehlungssysteme bis hin zu patientennahen Tools wie Chatbots zur medizinischen Beratung. Die Liste der erhofften Vorteile ist lang: verbesserte Analysemöglichkeiten von (Patienten-)Daten, optimierte Ressourcenallokation,
leistungsfähigere Medikamente und ganz generell erweiterte technische Möglichkeiten, z.B. eine verbesserte und effektivere Unterstützung für Ärzte.
Diese Vielzahl an Möglichkeiten führt zu innovativen Geschäftsmodellen, was nicht zuletzt in jüngerer Vergangenheit durch zahlreiche erfolgreiche Finanzierungsrunden im Digital-Health- und Biotechsektor eindrucksvoll belegt wird. Trotz dieser Euphorie ist der Kommerzialisierungserfolg jedoch nicht vorprogrammiert.
Ob sich das Potenzial einer KI auch wirtschaftlich ausschöpfen lässt, hängt vielmehr auch maßgeblich von rechtlichen Parametern ab. Hierbei spielen die Rechte des geistigen Eigentums („IP-Rechte“) und die hiermit zusammenhängenden Lizenzierungsfragen eine entscheidende Rolle.

Künstliche Intelligenz vs. herkömmliche Computersysteme

Traditionell erstellte Computersysteme funktionieren nach dem Prinzip, dass menschliches Wissen als Fakten und Regeln manuell in das System kodiert werden. Bei KI-Systemen bzw. beim maschinellen Lernen (streng genommen einer Unterkategorie von KI) ist das System hingegen selbst in der Lage, durch einen automatisierten Prozess aus zuvor gesammelten Daten zu „lernen“, indem es in den Daten Muster und Ähnlichkeiten erkennt, hieraus Schlüsse zieht und Aktionen durchführt. In einem solchen „Bottom-up-Ansatz“ werden Ergebnisse auf der Grundlage von Lernerfahrungen generiert, ohne dem System im Vorhinein explizit vorgeben zu müssen, wie es zu diesen Ergebnissen kommen soll. Das daraus resultierende Modell ist dann in der Lage, neue Situationen zu analysieren. Es ist also keine explizite Repräsentation von Wissen notwendig.
Vielmehr hängt der Erfolg eines solchen Ansatzes von der Verfügbarkeit ausreichender (regelmäßig besonders großer) Datenmengen und Rechenleistung ab. Dennoch besteht auch ein KI-System nicht bloß aus einer Aneinanderreihung von Datensätzen. Es bedarf vielmehr einer komplexen Zusammensetzung mathematischer Modelle durch menschliche Entwicklungsleistung. Die Besonderheit des KI-Systems liegt insofern darin, dass das System durch die Verarbeitung neuer Eingabedaten die Parameter seiner zugrunde liegenden mathematischen Funktionen anpasst, um die neuen Informationen zu berücksichtigen und dadurch bessere Ergebnisse zu generieren.

IP-Rechte als Kommerzialisierungsvoraussetzung

Aus diesen technischen Besonderheiten der KI ergeben sich neue Anforderungen an ihren rechtlichen Schutz, welcher in aller Regel Voraussetzung für eine kommerzielle Verwertung durch eine Person oder ein Unternehmen ist. Traditionelle Computerprogramme sind regelmäßig nach dem Urheberrecht geschützt.
Sofern die KI in Teilen aus von Menschen programmiertem Softwarecode besteht, sind diese Teile somit ebenfalls urheberrechtlich geschützt. Gleiches gilt dem Grunde nach für die eingebauten Datenbanken. Der urheberrechtliche Schutz entsteht dabei unmittelbar im Zeitpunkt der Programmierung der Software bzw. der Erstellung der Datenbank. Eine Anmeldung, wie z.B. bei einem Patent, ist nicht erforderlich. Geschützt ist immer nur die konkrete Implementierung, nicht aber das zugrunde liegende Verfahren.
Entsprechend dürften einzelne Algorithmen, als bloße Handlungsanweisungen an das System, wohl nicht urheberrechtlich geschützt sein. Insofern einer KI kein Softwarecode, sondern ausschließlich mathematische Modelle zugrunde liegen, besteht das Risiko, dass ein Urheberrechtsschutz mangels „persönlich geistiger Schöpfung“ nicht gegeben ist.
Durch Patente lässt sich Software hingegen nur sehr eingeschränkt schützen, weil hierfür ein konkreter technischer Beitrag notwendig ist. Mit Blick auf KI-Systeme stellen sich beim patentrechtlichen Schutz daher ähnliche Probleme wie bei „traditioneller“ Software. Außerdem setzt die Patentierung regelmäßig eine umfassende Offenlegung der Erfindung voraus, was bei KI-Systemen sowohl technisch zu Herausforderungen führt als auch aus Geheimnisschutzgründen oft nicht im Unternehmensinteresse ist.
Neben dem Schutz des KI-Systems wird es auch relevant sein, ob das Know-how geschützt ist, das mit der KI-Entstehung und -Anwendung in Verbindung steht. In diesem Know-how liegt regelmäßig ein substanzieller Wert, der eng mit der Kommerzialisierung der KI verknüpft ist. Der Begriff des Know-how bezeichnet dabei unterschiedliche Formen von Wissen, Kenntnissen und Informationen, die von einem wirtschaftlichen Wert und bestenfalls nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind. Seit 2019 ist bestimmtes Know-how als „Geschäftsgeheimnis“ nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz geschützt.
Eine Anmeldung oder Registrierung ist nicht erforderlich. Allerdings müssen Unternehmen laut Gesetz „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ ergreifen. Zudem besteht bei Know-how die Schwierigkeit der Abgrenzbarkeit und Nachweisbarkeit. Insofern sollten Unternehmen vor allem für ihr besonders wertvolles Know-how ein „Knowhow-Schutzkonzept“ vorhalten und zudem bei der Entwicklung und Generierung von proprietärem Wissen und Technologie hohe Dokumentationsstandards etablieren.
Ebenfalls von hoher kommerzieller Relevanz sind die mit dem KI-System in Verbindung stehenden Daten. Hierzu gehören sowohl die dem System zugrunde liegenden Lerndaten sowie die von der KI als Output generierten Daten. Der kommerzielle Schutz ist diesbezüglich zum einen über den urheberrechtlichen Datenbankschutz sowie über das Geschäftsgeheimnisgesetz möglich. Ein urheberrechtlicher Schutz besteht jedoch nur dann, wenn die Daten systematisch oder methodisch angeordnet sind und die Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung der Datenbank eine wesentliche Investition erforderte.

Vom IP-Recht zur Verwertung – Herausforderungen der Lizenzierung

Die Kommerzialisierung einer KI kann auf unterschiedliche Weise erfolgen. Sofern die KI Dritten zur Nutzung überlassen werden soll, bedarf es einer Lizenzierung. Dabei ist zunächst zu klären, was von einer solchen Lizenz genau umfasst sein soll: Besteht bereits ein Patentschutz, handelt es sich um die Gewährung eines Nutzungsrechts an einem Softwaresystem oder wird lediglich Zugang zu bestimmten Daten oder Know-how gewährt? Daneben muss klar formuliert sein, welche Rechte an dem System gewährt werden sollen. Möchte z.B. der Entwickler eines KI-Systems dieses selbst weiter nutzen, sollten die Lizenzen entsprechend eng gestaltet werden; etwa über eine nicht-ausschließliche Lizenz, eine klar eingegrenzte Field-Definition und die Bestimmung des örtlichen und zeitlichen Umfangs. Außerdem kann es erforderlich sein, im Lizenzvertrag klarzustellen, dass als Vertragsgegenstand lediglich die (Nutzungs-)Rechte an der KI als „abgeschlossenes System“, nicht jedoch an dem zugrunde liegenden Quellcode oder Modell lizenziert werden.
Von besonderer Bedeutung ist außerdem, wie mit Verbesserungen des KI-Systems umzugehen ist. Wird beispielsweise ein KI-System an einen Partner auslizenziert und danach durch diesen mit neuen Daten „gefüttert“, so ist bei guten KI-Systemen regelmäßig mit Verbesserungen der KI zu rechnen, von denen ihr Inhaber profitieren will. So stellt sich die Frage, wem die Rechte an den so entstehenden Verbesserungen zukommen. Da die ständige Weiterentwicklung des Systems in aller Regel einen wesentlichen Kernaspekt des KI-Systems darstellt, stehen beteiligte Unternehmen bei der Lizenzierung von KI-Systemen insofern vor der Herausforderung einer fairen und klaren IP-Allokation.
Letztlich werden in Lizenzverhandlungen auch Gewährleistungs- und Haftungsfragen eine große Rolle spielen, da die weitere Entwicklung des KI-Systems in vielen Fällen unvorhersehbar und somit teilweise der Sphäre des Lizenzgebers entzogen ist. Hier gilt es aus Sicht des Lizenzgebers für eine ausreichende Absicherung zu sorgen – z.B. durch vertragliche Einschränkungen gesetzlicher Gewährleistungs- und Haftungsansprüche des Lizenznehmers.

Checkliste für die Praxis

Der teils komplexe Aufbau von KI-Systemen stellt deren rechtlichen Schutz sowie die Lizenzgestaltung vor Herausforderungen, wobei insbesondere die skizzierten Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Eine erfolgreiche Kommerzialisierung wird dabei regelmäßig auf das Handwerkszeug des IP-Lizenzrechts zurückgreifen. Folgende Checkliste sollte bei der rechtlichen Begleitung der Kommerzialisierung eines KI-Systems beachtet werden:

– die einzelnen Schutzgegenstände des KI-Systems identifizieren, definieren und dokumentieren (Bestandteile des Systems, Grundsystem, Daten, Know-how);
– Know-how-Schutzkonzept erstellen, das die wesentlichen Bestandteile des KI-Systems (insbesondere Quellcode, Trainingsdaten) berücksichtigt;
– Lizenzierungsstrategie erarbeiten; Themen wie Gewährleistung und Haftung von Beginn an hohe Priorität einräumen;
– besonderes Augenmerk auf die Rechte an bzw. den Zugang zu Weiterentwicklungen des KI-Systems legen und durch klare und detaillierte IP-Allokation flankieren;
– fortwährende Weiterentwicklung des KI-Systems überwachen, beispielsweise durch entsprechende Monitoring- und Berichtspflichten des Lizenznehmers.

ZU DEN AUTOREN
Dr. Jonas Welge und Daniel Schuppmann, LL.M. (im Foto v.l.n.r.) sind Rechtsanwälte bei NEUWERK in Hamburg. Sie beraten v.a. Unternehmen aus dem Pharma-, Biotech- und Medizinproduktebereich zu allen Fragen des geistigen Eigentums, bei Lizenzverträgen und F&E-Kollaborationen sowie bei Entwicklung, Vertrieb und Vermarktung von Technologien und Produkten.

Der Beitrag erschien zuerst in Heft 2-2021 der Plattform Life Sciences „Smarte Medizin“.

 

Autor/Autorin

Dr. Jonas Welge und Daniel Schuppmann, NEUWERK Anwälte