Bildnachweis: High-Tech Gründerfonds.

Die deutsche Life Sciences-Szene, Unternehmen wie Investoren, steht vor alten und neuen Herausforderungen. Vom Erfolg ihrer US-Kollegen könnten auch hiesige Unternehmen profitieren, denn internationale Investoren schauen auch auf Deutschland. Zu Recht, denn allein die heimische Forschungslandschaft birgt so manchen Rohdiamant. An einer internationalen Ausrichtung der Firmen und Kapitalgeber führt allerdings kein Weg vorbei.

Dr. Michael Brandkamp, Geschäftsführung High-Tech Gründerfonds
Dr. Michael Brandkamp, Geschäftsführung High-Tech Gründerfonds

goingpublic.de: Herr Dr. Brandkamp, das Volumen Ihres Gründerfonds II beträgt rund 300 Mio. EUR. Wie viel Kapital steht für künftige Life Sciences-Finanzierungen noch zur Verfügung?
Ein Drittel des Fonds ist für Life Sciences-Investments vorgesehen, also rund 100 Mio. EUR. Davon sind noch rund 80 Mio. EUR vorhanden. Pro Unternehmen können wir bis zu 2 Mio. EUR investieren. Allerdings bedeutet das Limit von 2 Mio. EUR pro Investment auch die Notwendigkeit, auf Co-Investoren zuzugehen. Die Perspektive ein erfolgreiches Life-Science Unternehmen und die dazugehörige Finanzierung aufzusetzen sind insgesamt positiv.  Daher hege ich den Wunsch, dass sich mehr potenzielle Gründer auf den Weg machen. Die Unternehmen, und auch die Investoren, müssen allerdings in der Lage sein, die internationale Klaviatur zu spielen.  Es ist notwendig sich mit internationalen Investoren professionell zu vernetzen. Allein mit deutschen Kapitalgebern ist kaum ein Life Sciences-Startup mehr ausreichend zu finanzieren. Daher würden wir beispielsweise die Einrichtung eines German Accelerators für Life Science-Start-ups etwa in Boston sehr begrüßen.

Die Zeit der Jahresrückblicke ist vorbei, schauen wir nach vorn: Was erwarten Sie für die Life Sciences-Finanzierung im neuen Jahr?
Das vergangene Jahr hat eine gute Grundlage für 2015 geschaffen. Gerade in den USA war die Biotech-Szene überaus erfolgreich, mit rund 120 IPOs und einem damit verbundenen Liquiditätszufluss  von etwa 10 Mrd. USD. In der Folge sind die anglo-amerikanischen Venture Capital-Fonds sehr gut gefüllt und die Verantwortlichen sind nun auf der Suche nach neuen lukrativen Investments. Diese Suche wird sie auch nach Deutschland führen. Insofern werden wir in 2015 mehr Investments durch ausländische Syndikate erleben, vor allem im Bereich der Wachstumsfinanzierung. Denn im Gegensatz zu deutschen Start-ups sind Biotech-Firmen in den USA vergleichsweise hoch bewertet, was schlussendlich den heimischen Unternehmen auf Kapitalsuche zugutekommt.

Welche Trends sehen Sie in den einzelnen Bereichen, wie Biotechnologie und Medizintechnik?
Vor allem die Biotechnologie wird Zeichen setzen, etwa im Bereich der Immuntherapie oder in der Verbindung zwischen Diagnostik und Therapie, allen voran der Kompendium-Diagnostik. Wir werden aber  auch Entwicklungen in einige  Indikationen erleben, die weniger im Vordergrund stehen. In der Medizintechnik erwarte ich eine Reihe von Anschlussfinanzierungen unter Einbeziehung internationaler Investoren. Die Medizintechnik-Hersteller sind weniger volatil aufgestellt, das sind gute Voraussetzungen für die Einwerbung von Kapital.

Der High-Tech Gründerfonds ist ohne Zweifel einer der wichtigsten Player der deutschen Life Sciences-Finanzierung. Anders formuliert: Ohne den HTGF könnte manches Investment nicht abgeschlossen werden. Ist dies mehr Segen oder Fluch?
Wir konzentrieren uns zunächst auf Investments in der Seed-Phase und laden Co-Investoren ein, sich zu beteiligen. Jedoch denken wir konsequent über den ersten Schritt hinaus. Wir können nur dann eine Seed-Finanzierung vornehmen, wenn wir schon zu diesem Zeitpunkt von den Möglichkeiten einer erfolgreichen Anschlussfinanzierung überzeugt sind.  Auch im Life Sciences-Bereich sehen wir  Interesse unternehmerischer Privatinvestoren, gerade bei Anschlussfinanzierungen. In diesem Zusammenhang sind wir ständig bemüht, unser, auch internationales, Netzwerk zu anderen Investoren und Partner zu pflegen und auszubauen. So können wir über die reine Kapitalvermittlung einen wichtigen Beitrag zur Life Sciences-Finanzierung leisten und gerade jungen Unternehmen eine wichtige Unterstützung bieten. In diesem Sinn ist es ganz klar ein Segen.

Life Science-Investments sind risikoreich und bis zum erfolgreichen Markteintritt können mehrere Jahre vergehen. Als Frühphasenfinanzierer sind Sie nahe dran am eigentlichen Gründungsgeschehen. Hat sich gerade im Life Sciences-Bereich die Mentalität zum Gründen und Investieren in den vergangenen Jahren verändert?
Wir wollen die bestehenden Probleme nicht kleinreden. Gerade das Volumen vieler Anschlussfinanzierungen könnte größer ausfallen. Im Schnitt reicht das in Anschlussfinanzierungen eingeworbene Kapital für rund 1,5 Jahre. In diesem Zeitraum können natürlich nicht alle anvisierten Meilensteine erreicht werden. Die Finanzierung erfolgt schrittweise. In  der Seed-Phase vielfach mit Business Angels und in Folgerunden  zunächst mit sehr vermögenden, unternehmerischen Privatinvestoren danach mit internationalen Venture Fonds. In diesem Zusammenhang ist es absolut notwendig, das deutsche ECO-System mit internationalen ECO-Systemen in den USA und auch in Asien zu vernetzen. Natürlich fühlen sich viele potenzielle Gründer auch abgeschreckt, angesichts mangelnder VC-Finanzierung in Deutschland oder der langen Wege und hohen Risiken, die bis hin zu einem erfolgreichen Markteintritt zu bewältigen sind. Auf der anderen Seite profitieren Gründungsinteressierte aber auch von einer immer größer werdenden Entrepreneurship-Szene in Deutschland. Diese Verbindungen wirken sich auch positiv auf die Life Sciences-Szene aus. Wir erleben mehr Serial Entrepreneurship aber auch talentierte Berater, die selbst unternehmerisch tätig werden wollen und sich in Start-ups engagieren.

Was fehlt dem deutschen Life Sciences-Markt im Vergleich zu manch Erfolgsgeschichte von der anderen Seite des Atlantiks? Oder ist es einfach nur eine Frage des Geldes?
Die Unterschiede sind in der Tat so gravierend geworden, dass vor allem die deutsche Venture Capital-Szene als Life Sciences-Finanzierer aufpassen muss, nicht abgehängt zu werden. Natürlich verfügen die US-Fonds über deutlich höhere Volumina und können mit exzellenten Renditen aufwarten. Helfen würde beispielsweise ein europäisches Börsensegment für Technologie-IPOs, analog der Nasdaq in den USA. Die Liquidität deutscher Life Sciences-Start-ups versickert an rund 30 verschiedenen Börsenplätzen in Europa. Ein Unternehmen wie Probiodrug geht nach Amsterdam, andere Firmen gehen direkt an die Nasdaq. Die einzelnen Start-ups gehen in der Masse unter, sie sind quasi nicht sichtbar, weil ihre Liquidität nicht an einem einzelnen Börsenplatz gebündelt wird. Diese Vielfalt der europäischen Börsen ist ein Nachteil.

Lassen Sie uns einen Blick in Ihr Life Sciences-Portfolio werfen: Von welchen Unternehmen werden wir in 2015 noch viel hören?
Da wäre zum einen Rigontec, ein biopharmazeutisches Unternehmen, das RNA-basierte Immuntherapeutika für die Behandlung von malignen Tumoren und Viruserkrankungen entwickelt. Rigontec Kernexpertise liegt auf synthetischen Liganden für einen neuen Rezeptor des angeborenen Immunsystems, „Retinoic Acid Inducible Gene I (RIG-I)“, der virale RNA erkennt. Gemeinsam mit Wellington Partners und Boehringer Ingelheim konnten wir eine erfolgreiche Anschlussfinanzierung realisieren. Das Unternehmen hat eine gute Perspektive. Ein weiteres Unternehmen ist Gilupi, welches auf Basis eigener patentierter Entwicklungen diagnostische Produkte zur in vivo-Isolation von seltenen Zellen aus dem Blut entwickelt. Dabei konzentriert sich Gilupi derzeit auf den onkologischen Diagnostikmarkt. Der Gilupi CellCollector ist weltweit das erste Produkt zur in vivo-Isolation von zirkulierenden Tumorzellen mit einer CE-Zertifizierung. Gilupi hat zuletzt einen zweistelligen Millionenbetrag einwerben können, auch unter Beteiligung chinesischer Investoren. Damit befindet sich das Unternehmen ganz klar auf einem Internationalisierungskurs  und adressiert neben den USA auch den chinesischen Markt. Darüber hinaus sehen wir einige sehr interessante Kandidaten für erfolgreiche Exits  und erfolgreiche Anschlussfinanzierungen in unserem Portfolio.

Das Interview führte Holger Garbs.

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