Der Pflegebereich wurde hierzulande bis dato nicht von der Digitalisierung erreicht. Der enorme Aufholbedarf fängt vielfach bereits bei einfachen administrativen Aufgaben wie der Zeiterfassung an – von der Unterstützung und Entlastung der Pflegenden bei der Patientenbetreuung ganz zu schweigen. Ein Start-up aus Fürth tritt nun an, das zu ändern. Das moio.care System, das insbesondere für die Betreuung von Menschen mit Demenz gedacht ist, wurde unter Mithilfe der Diakonie Neuendettelsau entwickelt und soll Pflegekräfte zukünftig entlasten.

Über 3 Mio. Pflegebedürftige in 2030 erwartet

Im Jahr 2018 werden in Deutschland 2,6 Mio. Pflegebedürftige betreut, 70% davon zu Hause durch Angehörige. 2030, wenn die Hälfte der Bevölkerung über 48 Jahre alt sein wird, sollen es bereits 3,4 Mio. sein. Obwohl die Zahl der Pflegekräfte in Pflegediensten und -heimen laut Bundesgesundheitsministerium seit 1999 um rund 74% auf etwa 1,1 Mio. Menschen gestiegen ist, werden Fachkräfte händeringend gesucht. Die Ankündigung der Großen Koalition, sofort 8.000 neue Pflegekräfte bereitstellen zu wollen, verdeutlicht dies. Das Thema „Pflege“, insbesondere bei Demenzpatienten, stellt eine enorme Herausforderung dar – für pflegende Angehörige, stationäre und ambulante Pflegedienstleister sowie für Kostenträger.

Ein Wearable für Demenzkranke

Beispiel Pflegeheim: Hier werden in der Nacht die Patienten alle vier Stunden umgelagert, um das Wundliegen zu vermeiden. Vollkommen unabhängig davon, ob sie sich selbst bereits ausreichend bewegt haben. Das bedeutet einen enormen Arbeitsaufwand und stört die Nachtruhe.

Das moio-Sensormodul wird von Pflegebedürftigen mittels einer kaum wahrnehmbaren Pflastertasche am Rücken getragen und zeichnet seine Bewegungen auf. Sofern der Patient sich nachts ausreichend bewegt, ist kein Eingreifen nötig. Erst wenn über einen längeren Zeitraum keine Eigenbewegungen zu bemerken sind und er somit Gefahr läuft, sich wundzuliegen, werden Pflegende verständigt. Dasselbe gilt, wenn sturzgefährdete Personen nach einer längeren Phase des Liegens versuchen aufzustehen, wenn sie gestürzt sind oder sich aus einem definierten Bereich entfernen (Geofencing). Daten werden dabei nur dann vom Modul an den ISO/IEC 27001-zertifizierten Server übertragen, wenn Handlungsbedarf gegeben ist.

Digitalisierung verschafft Pflegern wieder mehr Zeit pro Patient

In anderen hochgradig technologisierten Nationen wie Japan und Südkorea, die ebenfalls mit Überalterung kämpfen, werden bereits seit über einem Jahrzehnt Roboter ergänzend in der Pflege eingesetzt. Deutschland hingegen haderte lange mit der Digitalisierung in diesem Bereich. Eventuell mag das auch etwas mit dem Alter der Pflegekräfte zu tun haben, die gemäß Statistischem Bundesamt im Jahr 2013 im Schnitt 43 Jahre alt waren. „Die digitale Fitness hat seitdem jedoch zugenommen“, so MOIO-Geschäftsführer Jürgen Besser, 37 Jahre alt und ausgebildeter Gerontologe. „Mittlerweile sind Smartphones und digitale Services selbstverständliche Begleiter des Alltags geworden. Tatsächlich kann die Digitalisierung sogar ein zusätzlicher Impuls sein, um den Pflegeberuf für junge Menschen attraktiv zu machen“.

Dabei ist Digitalisierung nicht gleichbedeutend mit einer „Entmenschlichung“ der Pflege. Vielmehr soll der Aufwand für pflegeferne Tätigkeiten reduziert werden, so dass mehr Zeit für den „warmen Kontakt“ bliebt. Bei einem Betreuungsschlüssel in der Altenpflege v.a. in der Nachtschicht, der zwischen 1:30 und 1:40 liegt, würde ein digitaler Assistent eine spürbare Entlastung bedeuten. Dies ist nötig, denn die Arbeitsbedingungen führen dazu, dass Pflegekräfte überdurchschnittlich oft krank sind. Durch den Wechsel von routinebasierter zu anlassinduzierter Pflege steigt die Pflegequalität, da Unterstützung in genau dem Moment gegeben wird, in dem sie notwendig wird. Gleichzeitig verringert sich die Arbeitsbelastung, da unnötige Tätigkeiten unterbleiben können.

Die Pflegekräfte selbst scheinen es ähnlich zu sehen, denn laut der 2016 Survey of U.S. Health Care Consumers-Studie der Beratungsgesellschaft Deloitte würden 40% der befragten Pflegekräfte Sensoren zur Standortermittlung der Patienten oder Sturzerkennung einsetzen.

Anleger setzen auf Digitalisierung in der Pflege

Auch professionelle Anleger wie Venture Capital-Geber haben die Notwendigkeit der digitalen Transformation im Pflegebereich erkannt und investieren substantielle Summen. Allein zwischen 2014 und 2015 haben sich im Care-Coordination-Bereich die Venture-Capital-Investments auf fast 230 Mio. EUR mehr als verdoppelt und machen im Bereich Digital Health nun den zweitgrößten Posten aus. Das ist insofern folgerichtig, als nach einer Prognose von Allied Market Research der weltweite Digital Health-Markt 2018 auf ein Marktvolumen von 142 Mrd. USD anwächst, 2020 sollen es bereits 206 Mrd. USD sein. Auf die Bereiche „Telehealth“ und „Wireless health“ sollen davon 2020 allein 26 Mrd. USD bzw. 110 Mrd. USD entfallen.

Über die Frankfurter Crowdinvesting-Plattform aescuvest (https://www.aescuvest.de/moio), will MOIO aktuell bis zu 250.000 EUR einsammeln. Die Mittel sollen für die weitere Entwicklung des Telecare-Systems bis hin zur Markteinführung verwendet werden, der die Zulassung als Medizinprodukt vorausgeht. Binnen kurzer Zeit haben Anleger hier bereits 110.000 EUR investiert. „Nach nur fünf Wochen Finanzierung über die Crowd auf aescuvest sind bereits über 130.000 EUR zusammengekommen“, sagt Jürgen Besser. „Wir sind guter Dinge, in den übrigen sieben Wochen die Zielsumme von 250.000 EUR zu erreichen.“

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