„Additive Verfahren werden in der Medizintechnik zu zahlreichen Innovationen führen“ zeigt sich Yvonne Glienke, Vorstand der MedicalMountains AG (Tuttlingen), überzeugt. Die Clusterorganisation hat deshalb mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein internationales Innovations-Projekt aufgelegt, das lukrativ ausgestattet ist: Forschungs- und Entwicklungsprojekte können mit insgesamt bis zu 3 Mio. EUR unterstützt werden.

Teilnehmer der Kick-off-Veranstaltung mit Vertretern aus Deutschland und den USA
Teilnehmer der Kick-off-Veranstaltung mit Vertretern aus Deutschland und den USA

Die besondere Idee hinter dem Projekt: Medizintechnik-Unternehmen aus dem Cluster Tuttlingen, aber auch aus dem gesamten Bundesgebiet, sollen verstärkt mit Unternehmen eines anderen Clusters zusammenarbeiten. Dabei handelt es sich um die Metropolregion Minneapolis-St. Paul (Greater MSP) in den USA. Dort hat sich ein Schwerpunkt rund um additive Verfahren, umgangssprachlich auch gerne 3-D-Druck genannt, gebildet. Während einer Kick-off-Veranstaltung, die jetzt im Hofgut Hohenkarpfen stattfand, wurden erste Projektskizzen gemeinsam entworfen.

Die Verheißungen der neuen Technologie sind überzeugend. Die Produktion selbst komplizierter Teile in einem Arbeitsgang verspricht erheblichen Effizienzgewinn: Schneller, preiswerter selbst bei sehr kleinen Losgrößen, prozesssicher durch die Nutzung eines mutmaßlich sehr gut zu kontrollierenden Druckvorgangs. Die neuartigen Fertigungsverfahren haben sich in Teilen des Prototypenbaus durchgesetzt, durch leistungsfähigere Werkstoffe lassen sich zudem innovative Möglichkeiten des Werkzeugbaus umsetzen.

Produktion ohne Werkzeuge: Höhere Effizienz – geringere Kosten

Aktuell zielt die Entwicklung darauf ab, serienidentische Endnutzerteile im direkten, werkzeuglosen Verfahren herzustellen. Entfall von Werkzeugen und Formen für die Herstellung eines Bauteils und einfache Maschinenkinematik versprechen erhebliche Einsparungen. Grundsätzlich eignen sich additive Verfahren für eine Vielzahl von Ausgangsstoffen. In der Medizintechnik kommen neben Kunststoff Materialien wie Metall, Keramik, Sand und biologischen Stoffe in Betracht.

Dass dringender Handlungsbedarf besteht, führte Dr. Stephan Richter, Institut für Innovation und Technologie Berlin, in seiner Keynote aus. Neben der Automobilindustrie und dem Maschinenbau als weiteren Treiberbranchen werden insbesondere in der Medizintechnik additive Verfahren genutzt, weil sich so auch komplizierte Teile in einem Arbeitsgang herstellen lassen und hohe Effizienz auch bei kleinen Losgrößen erreicht wird. Gerade die Individualisierung von Implantaten eröffne riesige Chancen, führte Richter aus: Schon heute gebe es Zähne, Adern, Ohrmuscheln und Herzklappen auf dem Markt, die additiv aus biokompatiblen Werkstoffen hergestellt werden.

Der Wissenschaftler verwies auf einen neu entstehenden Markt: Daten aus bildgebenden Verfahren können in 3-D-Drucke überführt werden, Operateure so im Vorfeld etwa bei einem komplizierten Knochenbruch oder einer herausfordernden Tumoroperation vor dem eigentlichen Eingriff am gedruckten Modell eine Strategie entwickeln und Operationsschritte auf ihre Machbarkeit überprüfen.

Noch sind weitere Grundlagenarbeiten zu erledigen

Ungeachtet einzelner Umsetzungen sind allerdings noch weitere Grundlagenarbeiten zu erledigen, weiß Dr. Oliver Keßling. Er leitet beim Kunststoff-Institut Südwest ein Forschungsprojekt zum industriellen 3-D-Druck, bei dem viele Verfahren noch konkurrieren. Beim Lasersintern werden die Bauteile aus einem Pulverbett hergestellt. Ein Laser verschmilzt die entsprechenden Bereiche Schicht für Schicht. Als Standardmaterial bei diesem Verfahren wird Polyamid 12 genutzt, es gibt inzwischen aber  Materialvielfalt: Polyamid 12 mit Glasfaser, PEEK und Thermoplastische Elastollane. Auch im Bereich der Maschinentechnik gibt es inzwischen mindestens zwei größere Maschinenbauer (EOS und Farsoon), so dass das Themengebiet vielfältiger wird.
Als weiteres Verfahren existiert das so genannte Fused Filament Fabrication (FFF),  wobei der börsennotierte Maschinenhersteller Stratasys in diesem Gebiet sein Verfahren als Fused Deposition Modeling (FDM) bezeichnet. Bei diesem Verfahren wird ein vorgeformter Kunststoffdraht schichtweise extrudiert. Die verwendeten Materialien heißen ABS, ASA, Ultem und PC. Sehr genaue Bauteile können entweder mit der Polyjet-Technologie oder der Stereolithographie hergestellt werden. Beim Arburg-Kunststoff-Freiformen werden Tropfen aus Kunststoff erzeugt und Schicht für Schicht abgelegt. Hierbei kommt ein speziell entwickelter Druckkopf zum Einsatz. Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass herkömmliches Kunststoffgranulat verwendet werden kann.

Versuchsplan adressiert zahlreiche Eigenschaften der Bauteile

Dr. Oliver Keßling
Dr. Oliver Keßling

Die vorgestellten Verfahren besitzen jeweils Vor- und Nachteile. Sie unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich der verwendeten Materialien, der möglichen Auflösung, der thermischen Stabilität der Bauteile, der Zugfestigkeit, der Oberflächenqualität, der Baugeschwindigkeit, im Materialpreis und in den Anforderungen an die Infrastruktur. Dr. Keßling: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei einigen Verfahren gute mechanische Eigenschaften für einen industriellen Einsatz erzielt werden konnten, wobei die Bruchdehnung durchweg unter den Werten der Spritzgießreferenzmaterialien lag. Allerdings ist die Oberflächenqualität je nach Verfahren noch nicht ausreichend.“

Fazit:

Sowohl das Projekt der MedicalMountains AG als auch die Untersuchungen des KISW bieten Unternehmen der Medizintechnik gute Chancen, in der Zukunftstechnologie der additiven Verfahren wertvolle Erkenntnisse zu sammeln und zu den early adoptern zu gehören. Interessenten finden weitere Infos unter:

www.medicalmountains.de  und www.kisw.de

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