Bildnachweis: Marinomed.

Biotech ist plötzlich nicht mehr nur Thema für Expertenrunden – seit BioNTech und Co. mit Impfstoffen gegen das Coronavirus die Berichterstattung dominieren, beschäftigen sich auch Laien damit. Das treibt die Aktienkurse der Biotechs und verschafft ihnen die Plattform, die ihre Arbeit verdient. In Österreich ist die Marinomed Biotech AG eine der Firmen, die vom neuen Interesse an Biotech profitieren. Die Wiener kämpfen mit ihrer Forschung auch gegen das Coronavirus.

Sein ganzes wissenschaftliches Leben hat sich Dr. Andreas Grassauer mit Viren befasst – und damit, was man gegen diese ausrichten kann. 2006 gründete der Biotechnologe mit Schwerpunkt Virologie ein eigenes Unternehmen: eine Firma, die sich zunächst dem Thema Virenbekämpfung verschrieben hat. 14 Jahre später brach ein Virus über die Welt herein, das die Lebensweise der Menschen so dramatisch verändert hat wie kaum ein geschichtliches Ereignis zuvor. Und auch Dr. Grassauers Wiener Marinomed verfolgt seither vor allem ein Ziel: Mittel zu finden, die dieses Virus eindämmen können; Mittel, die gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 wirksam sind. Als Spin-off der Universität Wien wurde die Marinomed AG zunächst mit Eigenkapital der Gründer finanziert. Noch im ersten Geschäftsjahr sicherte sich das Unternehmen dann eine Seed-Finanzierung von aws Gründerfonds und dem Family Office Acropora. Nur zwei Jahre später folgte die nächste Finanzierungsrunde mit Acropora, zudem die Markteinführung des ersten Produkts, der sogenannten Carragelose.

Carragelose: ein Wirkstoff gegen das Coronavirus?

Eben diese antivirale Verbindung, ein Polymer aus der Rotalge, entpuppt sich nun als vielversprechender Wirkstoff gegen das Coronavirus. Entwickelt wurde die Carragelose ursprünglich als breitenwirksames Mittel gegen verschiedene Erkältungsviren. Dr. Grassauer: „Es ist nicht leicht, respiratorische Infektionskrankheiten wie Husten, Schnupfen oder Heiserkeit früh und gezielt zu therapieren.“ Laut dem Biotechnologen gibt es mehr als 200 unterschiedliche Viren, die Erkältungen auslösen. Die Carragelose, so der Marinomed-CEO, bekämpft zahlreiche davon. „In Form einer physikalischen Bindung verklebt das Polymer die Viren“, erklärt Dr. Grassauer. „Man muss sich die Wirkung vorstellen wie bei einer Klette, die man umwickelt: Sie kann nicht mehr haften.“ Genauso wenig könnten die Viren nach dem Verkleben durch die Carragelose noch in Zellen eindringen. Ihre Zahl reduziere sich um 90% oder mehr. Dr. Grassauer: „Dadurch werden Erkrankte schneller wieder gesund.“ Die Carragelose gibt es als Nasen- oder Rachenspray im Handel.

Bereits in der Vergangenheit hatte Marinomed die Wirksamkeit der Carragelose gegen Coronaviren getestet – mit positivem Resultat. Als im vergangenen Jahr das neuartige Coronavirus ausbrach, prüften Dr. Grassauer und sein Team ihre alten Erhebungen und kamen schnell zu dem Schluss, dass ihr Polymer mit großer Wahrscheinlichkeit auch gegen die neue Variante wirksam ist. Aktuell laufen zwei klinische Studien, die diese Hypothese belegen sollen. Noch in den nächsten Monaten rechnen die Österreicher mit den Ergebnissen. Schon heute steht die Carragelose auf der Empfehlungsliste der deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Während in den Apotheken der Absatz herkömmlicher Erkältungshemmer wie Aspirin einbrach, weil durch die Kontaktbeschränkungen nicht nur das Coronavirus eingedämmt wird, sondern sich auch andere Erkältungsviren langsamer verbreiten, stiegen denn auch die Verkaufszahlen der Carragelose im dreistelligen Bereich. Dr. Grassauer: „Wir haben massiv an Marktanteil gewonnen, unsere Produkte wurden sehr stark nachgefragt.“

Das Interesse am Wirkstoff der Wiener schlägt sich auch im Aktienkurs der Marinomed Biotech AG nieder. 2017 hatte das Biotech als erstes österreichisches Unternehmen überhaupt eine Wandelanleihe herausgegeben – zum späteren Wandelpreis von 40,80 EUR. Beim Börsengang 2019 lagen die Aktien bereits bei 75 EUR das Stück. Die Aussicht auf eine Wirksamkeit der Carragelose gegen das Coronavirus treibt den Kurs jetzt stetig weiter nach oben: Aktuell stehen die Marinomed-Papiere bei rund 120 EUR pro Aktie. Das sei, so Dr. Grassauer, aus Sicht des CEOs natürlich eine erfreuliche Entwicklung; wichtig sind dem Gründer aber vor allem seine Anleger: „Ich gehe davon aus, dass die meisten Aktionäre sehr zufrieden sind.“

Marinomed: Börsengang zur Finanzierung von Marinosolv

Zwar profitiert Marinomed aktuell in erster Linie von dem Interesse an der Carragelose und der Hoffnung auf deren Wirksamkeit gegen das Coronavirus. Grund für die Wandelanleihe und den späteren Börsengang war allerdings nicht dieses Produkt: Vielmehr geht es den Wienern langfristig darum, ihr zweites Asset, Marinosolv, in die Kommerzialisierung zu überführen. Marinosolv macht schwer auflösbare pharmazeutische Wirkstoffe löslich, die in sensiblen Bereichen wie den Augen eingesetzt werden. In einem ersten Anwendungsfall hat Marinomed das Kortison Budesonid in eine stabile Lösung gebracht, die bei deutlich geringerer Dosierung weitaus wirksamer ist. Konkret geht es um ein Nasenspray zur Behandlung von Heuschnupfen. Und das ist nicht alles, was Marinosolv vermag: Anders als viele herkömmliche Wirkstoffe gegen Heuschnupfen bringen die Marinomed-Produkte nach nur drei Stunden Verbesserung. Andere Anbieter weisen in der Packungsbeilage darauf hin, dass erst nach bis zu 14 Tagen ein positiver Effekt einsetzt. Vor allem dieser Erfolg mit dem zweiten Asset habe zum IPO den Kurssprung auf 75 EUR verursacht, erklärt Dr. Grassauer.

Und sobald das Coronavirus nicht mehr die tägliche Arbeit dominiert, wollen sich die Wiener auch wieder verstärkt Marinosolv widmen. Die Plattform soll international in den Markt eingeführt, die Anwendung verbreitert werden. Dr. Grassauer: „Man kann Marinosolv nicht nur gegen allergische Rhinitis, also den Heuschnupfen, einsetzen, sondern auch in anderen Bereichen. Unser nächster Schritt ist die Augenheilkunde.“ Zu diesem Fall gibt es bereits eine Phase-III-Studie, in der Marinosolv in Kombination mit einem Präparat gegen das Trockene- Auge-Syndrom getestet wird. Der Start der klinischen Studie hat sich wegen Corona verschoben, steht aber laut Dr. Grassauer nun unmittelbar bevor.

Lizenzverträge sollen schwarze Zahlen bringen

Marinomed arbeitet mit einem B2B-Lizenzmodell. Die Carragelose wird über Lizenzverträge mit Partnern aus der Pharmabranche international vertrieben. In Deutschland arbeiten die Wiener mit HERMES ARZNEIMITTEL zusammen. Die Carragelose ist in der Bundesrepublik unter dem Namen algovir im Handel. Meilensteinzahlungen, Royalties und Sales brachten dem Unternehmen zum Ende des dritten Quartals 2020 6 Mio. EUR ein. Was die Wiener mit der Carragelose verdienen, investieren sie allerdings direkt in die weitere Entwicklung von Marinosolv – daher schreibt die Firma bisher auch keine Gewinne. Mittelfristig, so Dr. Grassauer, soll sich das ändern. Bis 2023 will der CEO positiv bilanzieren: „Unser Ziel ist es, Marinomed zukunftssicher aufzustellen und mit Erfolg im Umsatz Geld zu verdienen.“

Kapitalerhöhung folgt?

Acropora ist dem Biotech als Investor noch immer treu. Das Family Office hält knapp 16% der Anteile. Die Gründer und das Management sind im Besitz von weiteren zirka 25% der Aktien. Der Rest ist Streubesitz – laut Dr. Grassauer in erster Linie in Hand von institutionellen Investoren aus dem DACHRaum, vor allem aus Österreich. Es seien aber durchaus auch Retail-Investoren beteiligt. Mit den momentanen Finanzmitteln kann das Biotech laut CEO die weitere Entwicklung von Marinosolv sowie der Carragelose stemmen: „Wir haben von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft noch eine Förderung für die Corona-Forschung erhalten, mit der wir unsere Studien zum Thema co-finanzieren können.“ Sollten sich aber weitere Projekte ergeben, so Dr. Grassauer, „werden wir noch einmal auf den Kapitalmarkt zugehen“.

Autor/Autorin

GoingPublic Redaktion / iab