Frank Riebel, Vorstand, IR-one
Frank Riebel, Vorstand, IR-one

Wird der Geschäftsbericht – das wohl wichtigste einzelne jährliche Dokument eines Unternehmens – massiv unter Wert verkauft? Und woher könnte die Trendwende, ein Art Erweckung aus dem Koma, kommen? Das GoingPublic Magazin sprach mit Frank Riebel über diese und viele weitere Punkte, den Geschäftsbericht wieder mehr in den – verdienten – Vordergrund zu rücken.

GoingPublic: Herr Riebel, Unternehmen und ihre Dienstleister stecken jedes Jahr enormen Aufwand und Ressourcen in ihre Geschäftsberichte – in ein Produkt, das möglicherweise stark unter Wert verkauft wird?
Riebel: In der Tat, wenn man sich überlegt, was von einem exzellenten Geschäftsbericht heutzutage abverlangt wird. Heute leistet er neben den gesetzlichen Pflichtauflagen weitaus mehr: Er konkretisiert die Kernbotschaft des Jahres aus der Unternehmensstrategie und flankiert die Marketingkampagnen. Außerdem präsentiert er das Produktspektrum und setzt Standards im Design. Neuerdings integriert er sogar den Nachhaltigkeitsbericht gleich mit. Der Geschäftsbericht ist der wahre Alleskönner im Baukasten der Unternehmenskommunikation.

GoingPublic: Der Trend bescheinigt weniger Druckauflagen und weniger Abrufe von Online-Geschäftsberichten. Droht das wichtigste Jahresdokument eines Unternehmens in so etwas wie einen Dornröschenschlaf abzugleiten?
Riebel:Wenn man die Entwicklung der letzten zehn Jahre betrachtet, kann man es so bezeichnen. Es bedarf einer Trendwende, bei der die neue Generation der Investoren mit dem Geschäftsbericht richtig angesprochen wird.

GoingPublic: Da die Leserzielgruppen so inhomogen sind, stellt sich stets die Frage, woher die Trendwende

Online-Bericht 2012 der Francotyp Postalia AG. Foto: IR-one
Bewegte Animationen unterstützen die Kernbotschaft: Online-Bericht 2012 der Francotyp Postalia AG. Foto: IR-one

kommen könnte. Von Privatanlegern vielleicht, die gemeinhin dem Geschäftsbericht zu wenig Stellenwert beimessen?
Riebel: Auf jeden Fall bieten Geschäftsberichte den Privatanlegern Möglichkeiten, die Informationskluft zwischen ihnen und Analysten bzw. institutionellen Investoren zu verkleinern. Genau diese Zielgruppe kann von der intensiven Nutzung des gedruckten Reports am meisten profitieren.

GoingPublic: Was kann man aus dem Geschäftsbericht auch „zwischen den Zeilen“ herauslesen?
Riebel: Vor allem die Einstellung des Unternehmens, ehrlich und vertrauensvoll zu informieren. Ein Beispiel: Der Prognoseberichterstattung wird häufig zu wenig Aussagekraft vorgeworfen. Aber betrachtet man dies genau, findet der Leser an oberflächlich behandelten Inhalten die meiste Wahrheit. Hier sollte gezielt recherchiert und nachgebohrt werden. Dies schafft Sicherheit bei der Investitionsentscheidung, schließlich ist keine Aussage auch eine Aussage. Häufig „erzählt“ der Bericht dem Leser aber noch mehr: über unternehmerischen Anspruch an die Außendarstellung und Wahrnehmung, das Engagement für das Thema Investor Relations und verantwortungsvollen Umgang mit Budgets.

GoingPublic: Wie qualifiziert/geübt muss ein Leser dafür Ihrer Ansicht nach sein?
Riebel: Es braucht vor allem Neugierde. Sie ist die ausschlaggebende Motivation, sich mit dem Geschäftsbericht aussichtsreicher Kandidaten zu beschäftigen. Danach stellt sich die Frage: Kann ich die Branche des Unternehmens mit ihren Besonderheiten richtig einschätzen? Eine gewisse Erfahrung im Börsengeschehen ist auch hier unerlässlich.

GoingPublic: Plädieren Sie für den integrierten Geschäftsbericht mit allem drum und dran?
Riebel: Das kommt auf das jeweilige Unternehmen an. Ein Großkonzern wie ENBW beispielsweise kommt am Thema Nachhaltigkeitsstrategie im Geschäftsbericht nicht vorbei. Jedes Unternehmen, in dem dieses Thema die Kaufentscheidung der Kunden bereits beeinflusst oder noch wird, sollte diesen Weg gehen und die Nachhaltigkeitsstrategie im Unternehmen verankern. Dies integriert aufzubauen, ist sicher ein Weg, aber auch ein anstrengender, wenn man es richtig machen will.

GoingPublic: Lässt sich ein – vielleicht guter, aufwändiger – Geschäftsbericht denn tatsächlich aktiv vermarkten?

GB 2012 United Internet AG
Innovative Verarbeitung beweisen Engagement des Unternehmens mehr als nur die Pflicht zu erfüllen: Geschäftsbericht 2012 der United Internet AG. Foto: IR-one AG

Riebel: Auf jeden Fall. Die ERGO Versicherungsgruppe hat es vorgemacht. Mit einer digitalen Kampagne in Kombination mit TV-Spots wurde der Kundenbericht aktiv beworben. Wenn es gelingt, insbesondere Privatanleger auf die Vorteile des Geschäftsberichts aufmerksam zu machen, wird eine Trendwende möglich. Gerade Small- und MidCaps könnten davon immens profitieren.

GoingPublic: Wen im Unternehmen muss man davon überzeugen – etwa stets den CEO/CFO persönlich, oder wo liegen hier die Widerstände?
Riebel: Es bedarf eines großen Eisbrechers im Markt gekoppelt mit einer Erfolgsmeldung über den Kanal Public Relations. Ich bin davon überzeugt, dass es danach überhaupt keine Widerstände mehr geben wird.

GoingPublic: Herr Riebel, Ihnen vielen Dank für die interessanten Einblicke.
Das Interview führte Falko Bozicevic

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