Die neue virtuelle Hauptversammlung stößt auf ein für viele doch überraschendes Interesse bei den Gesellschaften. Vor allem große Publikumsgesellschaften überlegen, die neue Gesetzgebung gleich zu nutzen und nicht mehr zur Präsenzhauptversammlung alter Prägung zurückzukehren. Die neue virtuelle HV weist allerdings einige Unterschiede zur virtuellen HV nach COVID-Gesetzgebung auf, die es zu beachten gilt.

Viele Unternehmen haben ihre Hauptversammlung jetzt drei Jahre unter der COVID-19-Notfallgesetzgebung durchgeführt. Diese Regelung sowie die Übergangsregelung dazu galt für Versammlungen bis Ende August 2022. Für Hauptversammlungen anno 2023 gehen einige Gesellschaften nun gleich den nächsten Schritt, den das „Gesetz zur Durchführung virtueller Hauptversammlungen“ vom 27. Juli 2022 vorsieht. Eine Checkliste zur Vorbereitung der Grundsatzthemen.

Format

Auch bei Favorisierung der neuen virtuellen HV muss eine Grundsatzklärung erfolgen: Möchte die Gesellschaft die Einreichung von Fragen bereits im Vorfeld der Hauptversammlung ermöglichen? Diese Möglichkeit kommt manchen Aktionären entgegen, die so entscheiden können, wann sie ihre Fragen stellen. Bietet die Gesellschaft eine Vorabeinreichung an, ist sie verpflichtet, die so eingegangenen Fragen bereits im Vorfeld der HV zu beantworten und die Antworten zu veröffentlichen. Zudem muss die Rede des Vorstandsvorsitzenden hier ebenfalls vorab veröffentlicht werden. Der zusätzlichen Arbeit bei der Fragenbeantwortung im Vorfeld der HV steht die Hoffnung entgegen, die Anzahl der (Rück-)Fragen während der Hauptversammlung reduzieren zu können.

Zuschaltung von Rednern

Kernelement der neuen virtuellen Hauptversammlung ist die elektronische Zuschaltung von Rednern im Wege der Videokommunikation. Die so Zugeschalteten können neben Redebeiträgen nun auch Fragen und Anträge stellen.

Technisch erfolgt diese Zuschaltung also anders als die bisher schon übliche Liveübertragung der Hauptversammlung per Videostreaming. Im Videostream ist der Aktionär reiner Konsument der Information, während er bei der Zuschaltung das eigene Bild bzw. den eigenen Ton überträgt, angelehnt an die inzwischen üblichen Videokonferenzen.

Die Umschaltung vom Streaming in die Konferenztechnik will gut geplant sein – schließlich soll der Übergang für die sprechenden Aktionäre reibungslos und ohne technische Unterbrechung während der Zuschaltung erfolgen. Dafür ist die Absprache zwischen den geplanten Dienstleistern für das Streaming und für die Zuschaltung nötig. Zudem müssen Medientechnik und Regisseur frühzeitig eingebunden sein. Nicht zu vergessen die – auch bisher schon zwingend erforderliche – stabile Anbindung der HV-Studio-Location an das Internet.

Eine möglichst weitgehende Integration der Zuschaltung in den Onlineservice für die Hauptversammlung vermeidet Medienbrüche für den Aktionär und die Backoffice-Prozesse. Darüber hinaus bleibt die Aktionärshotline ein wichtiges Element, um technische Probleme der Aktionäre entschärfen oder Fragen zur Bedienung beantworten zu können.

Inhaltlich ist dafür Sorge zu tragen, dass die Rednermeldungen in eine sinnvolle Reihenfolge in der Rednerliste gebracht werden können. Das war auch bei einer Präsenzhauptversammlung bereits bewährtes Vorgehen. Der „virtuelle Wortmeldetisch“, bei dem die Wortmeldungen eingehen, muss neben der inhaltlichen Vorsortierung auch die Information des Versammlungsleiters übernehmen. Neben der Reihenfolge der Redner muss der Versammlungsleiter auch über eventuelle technische Implikationen bei der Zuschaltung informiert werden.

Nach dem Übergang des redewilligen Aktionärs in das Videokonferenzsystem sollte ein technischer Check sicherstellen, dass Bild- und Tonübertragung vom Aktionär von ausreichender Qualität sind. Ist dies nicht der Fall (oder verpasst der Aktionär seinen Aufruf zur Rede gar komplett), muss der Versammlungsleiter entsprechend handeln können und z.B. den Redner auf einen späteren Zeitpunkt in der Versammlung verschieben können. Das System des virtuellen Wortmeldetisches und das Zusammenspiel mit dem Versammlungsleiter müssen im Vorfeld abgesprochen und geprobt werden – nur so kann eine flüssige Versammlung gewährleistet werden.

„Aktienrechtliche Zuschaltung“

Mit der Ausweitung der Teilnahmerechte während der Hauptversammlung – insbesondere um das Frage- und Antragsrecht – stellt sich die Frage nach der Rechtezuordnung schärfer als bei der virtuellen Hauptversammlung nach COVID-Gesetzgebung. Sind Aktionäre und ihre ggf. bevollmächtigten Vertreter ohne Einschränkung zur Rechteausübung berechtigt?

In der Präsenzhauptversammlung wird großes Augenmerk darauf gelegt, eine gleichzeitige Teilnahme von Aktionär und Vertreter zu vermeiden. Dies war eine Kernaufgabe der Präsenzerfassung am Einlass. Sollen jetzt Aktionär und bevollmächtigter Dritter in der neuen virtuellen Hauptversammlung Fragen und Anträge stellen dürfen? Wer wird in das Verzeichnis der „Zugeschalteten“ aufgenommen, das das Aktiengesetz für die neue virtuelle Hauptversammlung erzwingt? Sollen im Teilnehmerverzeichnis auch bereits wieder ausgeloggte Aktionäre dargestellt werden? Wenn ja: in welcher Form? Müssen Klärungsfälle hier an einem „virtuellen Sonderschalter“ abgehandelt werden oder gibt es neue Prozesse?

Der aktuelle Diskussionsstand hierzu zeigt, dass von einer Marktpraxis noch nicht gesprochen werden kann. Daher sollten die rechtlichen Positionen hier frühzeitig auf die Umsetzbarkeit in den Systemen geprüft werden. Zentraler Angelpunkt ist hierbei der Onlineservice für die Anmeldephase und den HV-Tag. Dort werden über den Login des Nutzers die entsprechenden Rechte zugeordnet und mit diesen Daten das Teilnehmerverzeichnis erstellt. Unter die Nutzer fallen neben rechtelosen Gästen bei Gesellschaften mit Namensaktien alle eingeladenen Aktionäre – unabhängig davon, ob sie sich angemeldet haben.

Fazit

Die neue virtuelle Hauptversammlung bringt originär neue Elemente in die Hauptversammlung ein, die eine angemessene Vorbereitung im Vorfeld unabdingbar machen. Mit dieser Checkliste sind die wichtigen Punkte aber für jede Gesellschaft mit ausreichender Vorbereitung gut umsetzbar.

Autor/Autorin

Björn Dobrzweski

Leiter Aktienregister- & Hauptversammlungsservices,
ADEUS Aktienregister-Service-GmbH

bjoern.dobrzewski@adeus.com