Das populärste Konzept der Stabilisierungs- bzw. Fiskalpolitik ist ein einfaches. Ganz im Sinne einer antizyklischen Strategie springt der Staat ein, wenn es schlecht läuft und gleicht mit einer erhöhten Staatsnachfrage den privaten Nachfrageausfall aus. Geht es der Wirtschaft wieder besser, fährt der Staat seine Investitionen wieder zurück und überläßt der Privatwirtschaft das Feld. So weit die Theorie.
In der Praxis aber sieht es anders aus, dies zeigt das Beispiel USA aktuell besonders deutlich. Weil die Konjunktur stockt, sah George W. Bush die Zeit für ein Eingreifen gekommen und bescherte seinem Land ein gewaltiges Steuergeschenk. Innerhalb von zehn Jahren sollen Unternehmen und Konsumenten um 350 Mrd. US-$ entlastet werden. Dies und andere Maßnahmen aber haben ein tiefes Loch in den amerikanischen Staatshaushalt gerissen. In gerade einmal zwei Jahren wurde aus einem Haushaltsüberschuß von 237 Mrd. US-$ ein Defizit von 400 Mrd. US-$. Die Neuverschuldung liegt momentan bei gut 4 % des nominellen BIP – wäre die USA ein Mitgliedsland der EU, Brüssel hätte seine wahre Freude. Genauso verklärt wie hierzulande Hans Eichel wirkt dabei Finanzminister John Snow, wenn er behauptet, die Neuverschuldung in den nächsten fünf Jahren um 50 % zu reduzieren.
Natürlich, rein theoretisch ist die amerikanische Haushaltskonsolidierung zu schaffen. Nur ist es eine Sache, Steuern gönnerhaft zu senken. Die umfangreichen Erleichterungen in drei Jahren wieder abzuschaffen, so wie es die Regierung Bush vorhat, dürfte jedoch weniger leicht fallen. Damit ist die Wiederwahl, die Bush anstrebt, nicht zu erreichen. Es wird daher wohl zumindest zu einem Teil bei den gesenkten Steuern bleiben. Die aber könnten zusammen mit den aus dem Ruder laufenden Kosten für den Irak-Krieg und weiteren Subventionen zu einem auch langfristig hohen Staatsdefizit führen.
Dieses Szenario wird an der Börse derzeit (noch) nicht gespielt. Was momentan zählt, sind die Konjunktur-Prognosen für das kommende Jahr. Dort sieht es mit Wachstumsraten im Bereich von 3 % sogar recht positiv aus. Aber an der langfristigen Entwicklung dürfte das dennoch kaum etwas ändern. Hohe kreditfinanzierte Staatsausgaben heute führen in Zukunft zu anfallenden Zins- und Tilgungszahlungen und somit wohl auch wieder zu höheren Steuern. Dieses Problem wird Bush einholen – wenn nicht in der laufenden, dann in der nächsten Amtsperiode.
Die Wirtschaft dagegen könnte sogar schon früher in Bedrängnis geraten, denn mit dem wachsenden Refinanzierungsbedarf des Staates steigen am Anleihemarkt sukzessive die langfristigen Zinsen. Damit werden sich die Investitionen der Unternehmen verteuern – und die Konjunktur herb ausgebremst. Der amerikanische Aufschwung steht auf wackligen Beinen.
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