Prozykliker kaufen Aktien, wenn sich die Märkte im Aufwärtstrend befinden. Bei einer Trendumkehr hat man sich dann entsprechend außerhalb des Marktes aufzuhalten. Vorteilhafter wäre freilich, einen Aufwärtstrend vorherzusehen und, vice versa, rechtzeitig vor einem Rückschlag seine Positionen zu liquidieren.
Über einen langen Zeitraum – dem „Aufwärts-Sog“ am Neuen Markt von 1998 bis Anfang 2000 – gereichte nahezu jegliche Aktienempfehlung zu einem ansehnlichen Kurserfolg. Da die meisten Papiere einen rasanten Aufstieg feierten, hatten Analysten ein leichtes Spiel. Unter den Lorbeeren für Vervielfacher fiel Dörrobst nicht sonderlich auf. Die Qualität der Empfehlungen zeigt sich in der Regel erst dann, wenn es auf Selektivität ankommt. Also beispielsweise jetzt.
Daß sich die vielen Aktienprofis nicht gänzlich einig sind, sollte an sich nicht weiter verwundern. Wie aber kann es zu völlig gegensätzlichen, einander widersprechenden Einschätzungen kommen? Banker der Deutschen Bank sahen Anfang September für die Papiere des Mobilfunkanbieters MobilCom ein mittelfristiges Kursziel von 156 Euro. Ein Herr aus Frankfurt, seines Zeichens intimer Kenner des Büdelsdorfer Mobilfunk-Unternehmens und seines Vorstandschefs Gerhard Schmid, wechselte von ehemals hohen vierstelligen Kurszielen (vor den beiden Aktien-Splits bei MobilCom) auf Konfrontationskurs: Sein Kursziel lautete 43 Euro, und MobilCom landete auf den vordersten Plätzen einer jeden Cash Burn Rate-Liste. Die Zielmarken beider Analysten erwecken den Eindruck unglaublicher Präzision, so daß man sich unwillkürlich fragen muß, weshalb sie nicht auch noch die Nachkomma-Centbeträge angegeben haben.
Anfang März lehnte sich die Bankgesellschaft Berlin offenbar nicht besonders weit aus dem Fenster, als sie für Poet, einem Anbieter von Datenbank-Management-Software, ein Kursziel von 200 Euro veranschlagte. Zu diesem Zeitpunkt stand Poet ohnehin schon bei rund 150 Euro. Leider völlig daneben. Etwa um den Faktor 20 irrten sich die Banker: Heute steht Poet gerade mal noch bei 12 Euro. Keines der unternehmensspezifischen Probleme bei Poet wurde vorhergehen, sondern lediglich auf den aktuellen Kurs ein Aufschlag von so und soviel Prozent vorgenommen und als Kursziel deklariert. Eine intensivere – oder überhaupt eine – Beschäftigung mit dem Unternehmen wäre wohl vonnöten gewesen. Auffällig auch, daß die ehemals konsortialführende DG Bank gleich drei Empfehlungen innerhalb von nur zwei Monaten beisteuerte. Von Verlusten im ersten Quartal haben die Banker scheinbar keinen blassen Schimmer gehabt oder aber, auch nicht sonderlich besser, wider besseren Wissens noch ein paar stützende Empfehlungen abgegeben.
Was kann man dann also überhaupt noch für bare Münze nehmen? Ein Bankhaus sah letzte Woche bei Intershop „zwingende Nachkäufe“ – da standen die Papiere allerdings noch bei 80 Euro. Jetzt, bei 50 Euro, darf man auf einen weiteren, wahrscheinlich abermals amüsanten Kommentar der „Profis“ gespannt sein.
Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.