Nach dem gründlichen Mißlingen der Fusion mit der Londoner Börse haben die Strategen ihr altes Konzept wieder aus der Schublade geholt, die Börse selbst an der Börse zu listen, um eine „Akquisitionswährung“ zu erhalten. Was mit dieser erworben werden soll, ist unklar: Ein Übernahmeangebot für die Londoner Börse hätte nach der geplatzten Fusion auch ohne die Währung „Aktie“ erfolgen können. Weitere Übernahmeobjekte sind jedoch bisher nicht in Sicht. Es sei denn, die Deutsche Börse AG beabsichtigt, ein Kaufangebot für die Nasdaq abzugeben – was jedoch wenig wahrscheinlich ist. In einer Ehe mit der amerikanischen Technologiebörse dürfte der hiesigen Handelsplattform eher die Juniorrolle zufallen.
Auch auf gesamteuropäischer Ebene ist die Deutsche Börse längst nicht so übermächtig, wie es zunächst den Anschein hat: Zwar hat die Terminbörse Eurex die Liffe beim Handel mit Rentenfutures und anderen Terminkontrakten hinter sich gelassen. Im Aktienhandel mit deutschen Blue Chips liegt der Frankfurter Finanzplatz jedoch hinter London auf Rang zwei. Auch bei der Anzahl gelisteter Aktien führen die Angelsachsen deutlich. Als wichtigstes Asset können die Deutschen neben dem elektronischen Handelssystem Xetra dagegen das Abwicklungssystem Clearstream sowie den Neuen Markt als erfolgreichstes Wachstumssegment für junge Unternehmen in Europa in die Waagschale werfen.
Selbst auf dem Kontinent ist die Vormacht der Frankfurter nicht unangefochten. Als sich im Frühjahr abzeichnete, daß die Deutsche Börse AG mit der London Stock Exchange fusionieren wollte, schlossen sich die Finanzplätze Amsterdam, Brüssel und Paris kurzerhand zu einer alternativen Zweckallianz zusammen. Während jedoch die Fusion zu „Euronext“ im September offiziell verkündet wurde und bisher auch gehalten hat, ist „iX“ schon im Vorfeld aufgrund der gescheiterten Übernahmeofferte der schwedischen Börsenbetreibergesellschaft OM Gruppen für die Londoner Börse gekippt. Momentan sieht es daher unter strategischen Gesichtspunkten nach einem Patt aus: Keiner der drei Blöcke Frankfurt und London sowie Frankreich-Benelux kann die Führung auf dem europäischen Börsenparkett für sich in Anspruch nehmen. Daher heißt das Spiel momentan „Wer mit wem gegen wen?“, wobei der Ausgang völlig offen ist. Die Nasdaq kann sich wahrscheinlich ihre(n) Wunschpartner aussuchen.
Bleibt die Frage: Wem nutzt der Börsengang? Zunächst einmal den bisherigen Hauptaktionären, also in erster Linie den deutschen Großbanken, die mit 81 % an der Deutschen Börse AG beteiligt sind. Diese könnten den Beteiligungsschatz versilbern oder zumindest mit einem höheren Wert in ihrer Bilanz ausweisen. Auch die Kurs- und Freimakler, die 9 % der Anteile halten, könnten durch ein Listing Kasse machen. Privatanleger profitieren allenfalls geringfügig von einem Listing – die zufließenden Mittel sollen in erster Linie für den weiteren Ausbau der elektronischen Handelsplattform Xetra sowie für Akquisitionen verwendet werden. Letztlich nutzt der Börsengang also hauptsächlich den Altaktionären sowie dem Management der Deutschen Börse AG, das seine ehrgeizigen Expansionspläne weiter vorantreiben kann.
Und wer sollen die neuen Aktionäre sein? Inländische Privatanleger wären natürlich eine Möglichkeit. Allerdings würde ein hoher Streubesitz dem Wunsch nach einer Akquisitionswährung widersprechen. Denn dann müßten bei einer etwaigen Fusion oder Übernahme der Gesellschaft auch die Kleinaktionäre zustimmen und später wieder abgefunden werden. Ausländische Banken und institutionelle Anleger könnten natürlich ein Interesse haben. Bei dieser Zielgruppe wäre aber die Gefahr eines Ausverkaufs deutscher Anlegerinteressen groß. Sinn würde daher nur ein Zwischenparken der Aktien bei einer neutralen Institution machen. Diese könnte, ähnlich wie die KfW im Falle von Telekom und Post, die Stücke bis zur endgültigen Plazierung am Markt treuhändlerisch übernehmen. In diesem Falle könnte jedoch auf ein aufwendiges Listing im Amtlichen Handel verzichtet werden und statt dessen eine Privatplazierung vorgenommen werden.
Es wird deutlich, daß ein Börsengang der Deutschen Börse AG für den Finanzplatz Deutschland nicht unbedingt von Vorteil ist. Solange kein ausländischer Kooperationspartner fest steht, öffnet ein Listing ausländischen Mitbewerbern Tür und Tor für ein Übernahmeangebot. Und es ist keineswegs sicher, daß ein solches, im Gegensatz zu der gescheiterten Offerte von OM für die Londoner Börse, nicht von Erfolg gekrönt sein wird…
Die GoingPublic-Kolumne erscheint börsentäglich in Zusammenarbeit mit dpa-AFX.